
Seit seinem Amtsantritt attackiert US-Präsident Trump auch Kanada. Nun hat das Nachbarland einen neuen Ministerpräsidenten. Trotz aller vorherigen Giftpfeile bleibt der erfahrene Banker ruhig - aber kommt einmal entschlossen aus der Deckung.
Es ist eine professionelle Begegnung im Weißen Haus. Mark Carney, der neue Ministerpräsident von Kanada, sitzt im Oval Office neben US-Präsident Donald Trump - und wird nur einmal kategorisch. "Kanada wird niemals zum Verkauf stehen", meint er ruhig, aber bestimmt über Trumps Annexionswünsche, der das Nachbarland zum 51. Bundesstaat der USA machen möchte. Trump hört mit gesenktem Blick zu, hebt die Augenbrauen und meint: "Sag niemals nie."
Carney hatte seinen ganzen Wahlkampf an Trump ausgerichtet und ist seinetwegen überhaupt im Amt. Trump hatte öffentlich gedroht, Kanada zu annektieren und dies mit einem Handelskrieg zu erzwingen. Die Kanadier reagierten empört. Trumps Pläne wurden zum wichtigsten Wahlkampfthema und spülten Carney, der versprach, die Souveränität des Landes zu verteidigen, ins Amt. Trump hatte immer wieder gegen das Nachbarland gepöbelt und Carneys Vorgänger Justin Trudeau als "Gouverneur" verspottet. Das Verhältnis war offensichtlich zerrüttet.
Carney hatte in den vergangenen Wochen mehrfach gesagt, die "alte Beziehung" zu den USA sei vorbei. Nun hat er die Möglichkeit, auf eine konstruktive Arbeitsebene mit Washington zurückzukehren. Der neue Regierungschef hat Erfahrung auf internationalem Parkett. Er war während der Finanzkrise 2008/2009 Chef der kanadischen Zentralbank sowie der Bank of England während des Brexits.
Von seinem Verhältnis zum US-Präsidenten wird auch abhängen, wie das nordamerikanische Freihandelsabkommen USMCA fortgesetzt wird, das die USA in Trumps erster Amtszeit mit Kanada und Mexiko geschlossen hatten. Für das kommende Jahr sind Nachverhandlungen vorgesehen. Die persönliche Beziehung zu anderen Staatschefs ist Trump wichtig, da er andere Länder primär wie konkurrierende Unternehmen behandelt. Er und Carney werden eine Weile vor der Presse ein paar kühle Nettigkeiten austauschen, bevor die beiden sich zu einem Arbeitsessen zurückziehen.
Vorsichtig ausgestreckte Hand
Um 11.23 Uhr, die Fahnen der USA und Kanadas am Eingang des Weißen Hauses sind schon präsentiert, warten die Journalisten auf die Ankunft des neuen Ministerpräsidenten des Nachbarlandes, Mark Carney. Auch US-Präsident Donald Trump wartet - und veröffentlicht einen Post bei Truth Social: "Wir brauchen ihre Autos nicht, ihre Energie nicht, ihr Holz nicht, wir brauchen nichts, was sie haben, außer ihre Freundschaft." Aber, so der Präsident: "Sie brauchen alles von uns." Die "einzige entscheidende Frage" werde das Handelsdefizit der USA mit Kanada sein, was Trump als "Subvention" bezeichnet.
Dies wird Trump vor Kameras, Mikrofonen und vor Kanadas Premier im Oval Office wiederholen. Die USA unterstützten Kanada jedes Jahr mit 200 Milliarden Dollar, behauptet er dort - "oder wie viel auch immer", es sei jedenfalls eine hohe Zahl. Laut der US-Handelsbehörde belief sich das Handelsdefizit mit Kanada im vergangenen Jahr auf rund 63 Milliarden Dollar.
Mit Abstand sind die USA der wichtigste Geschäftspartner Kanadas, drei Viertel aller Exporte gehen in die Vereinigten Staaten. Zugleich verkaufen diese 17 Prozent ihrer Güter an den nördlichen Nachbarn. Carney bestreitet das nicht, formuliert es jedoch anders: "Wir sind der größte Kunde der USA." Jedes kanadische Auto komme zur Hälfte aus den Vereinigten Staaten. Das klingt nach einer ausgestreckten Hand: Zusammen sind wir stark.
"Wollen Kanada nicht weiter subventionieren"
Trump entgegnet, die USA wollten ihre eigenen Autos bauen: "Wir wollen keine Autos aus Kanada." Vor allem aber wolle man Kanada nicht weiter "subventionieren". Carney wird unruhig auf seinem Stuhl, lehnt sich in Richtung Trump, kehrt in seine Ursprungsposition zurück. Es sei hart, die "vielleicht 200 Milliarden zu rechtfertigen", sagt Trump. Carney hebt kurz seine rechte Hand, wie um Einspruch zu erheben, lässt sie wieder sinken.
Mehrmals bittet Carney höflich um das Wort, ergänzt Trumps Ausführungen knapp und nüchtern mit seiner Sicht auf die Dinge, bietet aber kaum Angriffsfläche. Nach rund einer halben Stunde ist der öffentliche Teil des Treffens vorbei.
In seinen ersten Wochen als kanadischer Ministerpräsident hat Mark Carney gezeigt, an wessen Seite er steht - und es ist nicht primär sein Nachbar. Statt des üblichen ersten Amtsbesuchs in den USA flog der frühere Banker im März nach Europa und traf sich dort mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, nach einem Weiterflug nach London auch mit dem dortigen Premierminister Keir Starmer. Dann reiste er in das Nuavut-Territorium der Inuit.
Bereits wenige Tage zuvor hatte Carney dies rhetorisch vorbereitet. Kanada sei ein Land, "das auf dem Fundament dreier Völker errichtet wurde: der indigenen, französischen und britischen", sagte er bei seiner Antrittsrede. Er rief Kanada zur Geschlossenheit gegenüber den USA auf und kündigte "schwierige Monate" an. Kanada dürfe die Lehren aus dem "Verrat" durch die USA "niemals vergessen", sagte Carney. Trump versuche, den Nachbarn "zu brechen, um uns zu besitzen". Er versprach: "Wir werden diesen Handelskrieg gewinnen."