3 months ago

Jahrelange, aufwendige Prüfung: AfD-Verbot? "Juristisch sehe ich eine realistische Chance"



Wird die AfD wirklich verboten? Eine kleine - aber ausreichende - Gruppe von Bundestagsabgeordneten will ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD beantragen. Der Bundestag könnte sich schon bald mit dem Antrag beschäftigen, der genau das beim Bundesverfassungsgericht beantragen will. Franz-Alois Fischer, Rechtsanwalt und Professor für öffentliches Recht an der FOM Hochschule in München, sieht im Interview mit ntv.de eine realistische Chance: "Ein Verstoß gegen die Menschenwürde könnte man der AfD am ehesten nachweisen".

ntv.de: Mehrere Bundestagsabgeordnete von SPD, Union, Grünen und Linken wollen ein Verbotsverfahren gegen die AfD beantragen. Offenbar bereiten sie das seit Monaten vor. Wie gut oder schlecht ist es, dass dieses Vorhaben jetzt durchgesickert ist?

Franz-Alois Fischer: Dass es im Hintergrund schon länger geplant wird, ist aus meiner Sicht keine große Überraschung. Dass man jetzt tatsächlich auch rechtsförmlich den Stein ins Rollen bringen will, ist eine Neuigkeit. Das war jetzt nicht unmittelbar zwingend zu erwarten. Jetzt geht es erst mal darum, ob sich der Bundestag überhaupt mit dieser Frage befasst. Es ist nicht so, dass sie direkt den Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Das können die einzelnen Abgeordneten gar nicht. Die können aber den Bundestag dazu "zwingen", dass er sich in einer ordentlichen Debatte mit dem Thema befasst. Und das finde ich gut. Das hat eine Öffentlichkeit, das ist institutionalisiert im Bundestag, so viel sollte man tun, und zwar unabhängig davon, wie es ausgeht, ob es zu so einem Antrag kommt, geschweige denn zu einem Verbot.

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Die Abgeordneten beziehen sich unter anderem auf Gerichtsentscheidungen, wonach der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Außerdem nennen sie als Gründe, dass die AfD ihrer Auffassung nach gegen die Menschenwürde verstößt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen will. Kann das ausreichen, um die AfD zu verbieten?

Die AfD wird schon lange vom Verfassungsschutz sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene beobachtet. Teilweise ist die AfD als extremistischer Verdachtsfall eingestuft. Das gilt zum Beispiel für die gesamte Bundes-AfD. Teilweise sind Landesverbände, vor allem in Ostdeutschland, als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Das ist eine sehr bedeutende und schwerwiegende Einschätzung des Verfassungsschutzes. Das führt aber per se noch nicht zu einem Parteiverbot. Das kann mittelbar mit hineinwirken. Aber über ein Parteiverbot entscheidet exklusiv das Bundesverfassungsgericht. Es könnte niemals eine Behörde von sich aus aussprechen, auch nicht ein Ministerium, auch nicht die Bundesregierung, auch nicht der Bundestag.

Für ein Verbot gibt es ein paar Voraussetzungen. Der Kernbegriff ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Man müsste also nachweisen, dass die AfD als Partei eben gegen diese freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist. Es muss sie beeinträchtigen oder beseitigen, heißt es in der entsprechenden Norm. Das ist unter anderem dann gegeben, wenn man einen Verstoß gegen die Menschenwürde feststellen kann. Das wäre auch aus meiner Sicht das, was man der AfD am ehesten nachweisen könnte.

Wie könnte man das nachweisen?

Franz-Alois Fischer ist Rechtsanwalt und Professor für öffentliches Recht an der FOM Hochschule in München. Franz-Alois Fischer ist Rechtsanwalt und Professor für öffentliches Recht an der FOM Hochschule in München.

Franz-Alois Fischer ist Rechtsanwalt und Professor für öffentliches Recht an der FOM Hochschule in München.

Artikel 1 des Grundgesetzes beginnt mit dem berühmten Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Nicht irgendeines Menschen oder irgendeiner Menschengruppe. In dieser Menschenwürde steckt eine universelle Gleichheit aller Menschen. Wenn jetzt die AfD davon ausgehen sollte, dass manche Menschen vielleicht doch nicht ganz so gleich sind wie andere, dass es gute und schlechte "Deutsche" gibt, dass man vielleicht etwas weniger rechtlich wert ist, wenn man einen Migrationshintergrund hat. Das wären Dinge, die mit der Menschenwürde, so wie das Grundgesetz sie versteht, nicht vereinbar sind. Das muss man als Parteilinie nachweisen können. Da reicht es noch nicht aus, zu sagen, der ein oder andere "Verrückte", der mit dieser AfD assoziiert ist, vertritt so etwas. Das ist eine sehr aufwendige, kleinteilige Arbeit. Das Bundesverfassungsgericht müsste alle möglichen Äußerungen, jedes Social-Media-Posting, alles, was es so gibt, auswerten. Wer hat es gesagt? Spricht er für die AfD oder nur für sich selber? Hat sich das die Partei zu eigen gemacht? Oder hat sie sich sogar davon distanziert?

Müssen die Beweise schriftlich vorliegen oder können das auch mündliche Äußerungen sein?

Das dürfen auch mündliche Äußerungen sein. Die Form der Äußerung ist egal. Das kann ein offizielles Parteiprogramm, eine Schrift der Partei oder sogar ein Artikel in einem Magazin, in einer Zeitschrift sein, die mit der AfD assoziiert ist. Das muss gar nicht offiziell von der Partei kommen, das kann auch von Anhängern und Unterstützern verbreitet werden. Man muss sich bei jeder einzelnen Sache die Frage stellen: Kann ich das wirklich auf diese gesamte Partei beziehen oder nicht? Die AfD ist etwas geschickter als andere Parteien, wie die NPD, heute Die Heimat. Die haben alles knallhart in ihr Parteiprogramm reingeschrieben und haben dazu gestanden. Ich zitiere mal den ehemaligen NPD-Vorsitzenden (Frank Franz, Anm. d. Red.): "Wir sind lieber verfassungsfeindlich als volksfeindlich". So einfach ist es bei der AfD nicht.

Eine Partei zu verbieten, das ist ein schwieriger Schritt in einer Demokratie, der auch leicht missbraucht werden kann. Bisher sind in Deutschland nur zwei Parteien verboten worden, in den 1950er Jahren. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Partei verboten werden kann?

Die Hürde ist sehr hoch. Man spricht oft davon, das sei das schärfste Schwert, was man zur Verfügung hat, das man auch wirklich nur in extremen Ausnahmefällen überhaupt ziehen sollte. Ein Parteiverbot ist ausschließlich im Grundgesetz geregelt. Das ist eine Besonderheit. Darüber kann dann nur der verfassungsändernde Gesetzgeber mit Zweidrittelmehrheit verfügen.

Vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Erstens muss dieser Bezug zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bestehen. Die besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen nur aus drei Punkten: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat. Die Stoßrichtung der Partei muss sich gegen eine dieser drei Punkte richten. Da ist die Menschenwürde das Wahrscheinlichste, wo man die AfD drankriegen könnte.

Zweitens muss es sich um ein Beeinträchtigen oder Beseitigen dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung handeln. Entweder muss man sie abschaffen oder zumindest schwer beschädigen wollen.

Drittens muss es sich aus den Zielen der Partei oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben. Was steht im Parteiprogramm, was äußern Funktionäre? Wenn das ein Bundesvorsitzender macht, ist das natürlich sehr gravierend. Bei jeder einzelnen Äußerung muss man überlegen: Kann man das der ganzen Partei zurechnen?

Außerdem gibt es noch ein viertes Kriterium, das allerdings für die AfD ohne jeglichen Zweifel erfüllt ist. Es muss ein sogenanntes Potenzial bestehen, dass diese Ziele auch tatsächlich verwirklicht werden können. So nennt es das Bundesverfassungsgericht. Daran ist damals das NPD-Verbotsverfahren gescheitert, weil man - umgangssprachlich - gesagt hat, die sind zu klein und zu unbedeutend, um wirklichen Schaden anzurichten. Das kann man bei der AfD nicht sagen.

Sie haben schon die zwei NPD-Verbotsverfahren angesprochen. Die Partei sollte 2003 und 2017 verboten werden. Beide Male ist das Vorhaben gescheitert - was ist diesmal noch anders?

Es gibt natürlich ein paar Übereinstimmungen zwischen der NPD und der AfD, man darf sie aber nicht in einen Topf werfen. Mittlerweile hat man die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das geht auch ohne diese Potenzialität. Auch das wäre bei der AfD theoretisch ein Mittel. Da bei der AfD die Potenzialität gegeben ist, kann man aber im Prinzip gleich versuchen, auf das Parteiverbot zu gehen. Auch bei der NPD waren es sehr lange, aufwendige Verfahren. Aber es ist ungleich einfacher gewesen als bei der AfD, weil das Verfassungswidrige bei der NPD offizielles Parteiprogramm war. Das ist bei der AfD nicht der Fall. Die sind nicht so "doof" wie die NPD, dass sie das einfach wörtlich reinschreiben. Bei der AfD muss man genauer hingucken.

Wie gut sind die Chancen, dass es zu einem Verbot der AfD kommt?

Sollte es zu einem Antrag beim Bundesverfassungsgericht kommen, dann würde ein sehr langes Verfahren in Gang gesetzt werden. Könnte man die AfD noch vor der nächsten Bundestagswahl verbieten? Nie im Leben! Ich wäre überrascht, wenn das Verfahren vor der übernächsten Bundestagswahl schon durch wäre. Zu hoffen, durch dieses Verbot kriegt man die jetzt los, das ist illusorisch. Wenn man einen Antrag stellt, würde ich am ehesten Chancen auf dieser Menschenwürde-Schiene sehen. Wenn man nachweisen kann, dass tatsächlich geplant ist, auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit, Menschen, die man als nicht zugehörig empfindet, rauszuschmeißen und ihnen Rechte wegzunehmen. Da sehe ich juristisch eine realistische Chance. Die anderen beiden Aspekte - Rechtsstaat und Demokratie - sind keine, die man juristisch belastbar durchexerzieren kann. Meinungsfreiheit und auch die Handlungsfreiheit einer politischen Partei sind sehr weit verstanden. Ich glaube nicht, dass man über diese Schiene ein Verbot hinbekommt.

Ist es politisch klug, ein AfD-Verbotsverfahren durchzuführen?

Während des Verfahrens kann die AfD das für sich schon sehr nutzen, sich über viele Jahre in diese Opferrolle begeben und es auch entsprechend politisch "ausschlachten". Dieses Narrativ, wir sind die Opfer, das ist alles undemokratisch hier, kommt leider bei sehr vielen Leuten an. Man kann sagen, da muss man durch und das muss man einmal ausfechten. Aber das muss man gut überlegen.

Der Aufwand ist immens, eine wahnsinnig kleinteilige Sisyphosarbeit. Aber dafür haben wir einen Rechtsstaat. Dafür haben wir ein Bundesverfassungsgericht. Das ist kein Argument, es ganz zu lassen, dafür sind die ja da. Aber Spaß macht es nicht, so ein Verbotsverfahren durchzuführen.

Nehmen wir mal an, es kommt zu einem Verbotsverfahren und das Bundesverfassungsgericht entscheidet tatsächlich eines Tages, dass die AfD verfassungswidrig ist. Was wären die Konsequenzen, wie geht's dann weiter?

Die AfD-Abgeordneten würden ihre Mandate verlieren. Das ist in den entsprechenden Wahlgesetzen auf Bundes- und Landesebene geregelt. Die Partei würde kein Geld mehr vom Staat kriegen. Sie könnte nicht mehr zu weiteren Wahlen antreten. Dann wäre die AfD daran gehindert, am politischen Prozess teilzunehmen. Die große gesellschaftspolitische Frage ist aber: Was ist dann mit ihren Leuten und mit ihren Wählern? Wo gehen die denn hin? Niemand, der nicht ganz naiv ist, geht davon aus, dass die dann sagen: Ja gut, dann wählen wir alle wieder CDU und SPD. Das wird sicher nicht passieren. Dann werden sich neue Kräfte formieren. Vielleicht wird sich dann entweder eine Partei, die es schon gibt, radikalisieren, um diese Leute an sich zu binden. Oder es wird wieder eine neue Partei kommen, die das vielleicht dann noch mal geschickter macht als die AfD. Das Problem verschwindet damit nicht.

Wenn der Bundestag gegen den Antrag zum Verbotsverfahren stimmt, was wäre eine Alternative zu einem Parteienverbot? Was könnte man vielleicht auch schneller umsetzen?

Eine naheliegende Alternative wäre ein Verbot einzelner AfD-Landesverbände. Das wäre auch eine theoretische Möglichkeit. Ist auch kein Zuckerschlecken, ist auch komplex, würde auch länger dauern, aber vielleicht nicht ganz so lang. Zumal einzelne Landesverbände schon als gesichert rechtsextremistisch eingestuft sind. Da wird es dann wahrscheinlich schon Material geben, auf dem diese Einstufung beruht, die man in so einem Teilverbotsverfahren nutzen könnte. Das ist unter Juristen ein bisschen umstritten, ob das ginge. Ich kenne aber viele Stimmen, die das für möglich halten. Ich halte das auch für möglich, allein schon, weil es ein milderes Mittel zu einem Gesamtparteiverbot ist.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, von der ich persönlich allerdings nicht so viel halte. Das ist die Grundrechtsverwirkung einzelner Personen. Das Bundesverfassungsgericht würde darüber entscheiden, einzelnen Personen bestimmte Grundrechte auf eine bestimmte Zeit zu entziehen. Beispiel Höcke: Man entzieht ihm seine Grundrechte, zumindest zum Teil, und entzieht ihm auch das Wahlrecht, sodass er zum Beispiel dann nicht mehr gewählt werden kann. Juristisch gibt es sehr hohe Hürden. Das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich würde da die Gefahr sehen, dass man diese Opferrolle kreiert und Märtyrer erschafft.

Wäre es leichter, die Partei komplett zu verbieten, wenn man vorher schon einzelne Landesverbände verboten hat?

Vielleicht ein bisschen, aber nicht sehr viel. Man kann nicht sagen: Jetzt haben wir den Teil schon und dann machen wir nur noch zwei, drei Prüfungen dazu und dann beziehen wir es auf die ganze Partei. Es ist trotzdem wieder ein komplett neues Verfahren. Aber man könnte da womöglich dann auch auf Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Teil-Verbotsverfahren rekurrieren.

Mit Franz-Alois Fischer sprach Caroline Amme. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast "Wieder was gelernt"anhören.

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