4 months ago

IS-Anschlag treibt Italien um: Meloni-nahe Presse sieht sich nach Solingen bestätigt



Der islamistische Messerangriff in Solingen beschäftigt auch Italiens Medien. Terrorismus und Migration geraten wieder in den Fokus. Regierungsnahe Medien empfehlen der Bundesregierung, sich Rom zum Vorbild zu nehmen.

"Berlin fordert Rom heraus", titelt die linksliberale Tageszeitung "La Stampa". Im Beitrag heißt es, Deutschland wolle zurück zu den Dublin-Regeln, nach denen Migranten den Asylantrag in dem ersten EU-Ankunftsland stellen müssen, zum Beispiel in Italien. Wer stattdessen einfach weitergereist ist, etwa nach Deutschland, muss deswegen ins Erstankunftsland zurückgeschickt werden. Die Regierung in Rom aber setzte diese Regel im Dezember 2022 einseitig außer Kraft.

Die Rechts-Mitte-Koalition von Giorgia Meloni war erst wenige Wochen im Amt und begründete ihren Entschluss damit, dass die italienischen Aufnahmezentren restlos überfüllt seien. "La Stampa" zufolge kommt es nun für Melonis Regierung überhaupt nicht infrage, wieder Migranten aus Deutschland zurückzunehmen. In Italien wird die Ankündigung Berlins als Reaktion auf das IS-Attentat in Solingen mit drei Todesopfern gedeutet. Dieses hatte ein Syrer verübt, der nach der Dublin-Regelung eigentlich in Bulgarien hätte sein müssen, nicht in Nordrhein-Westfalen.

Melonis Hausblatt belächelt Messerverbot

Italiens Politiker hielten sich mit Kommentaren zu dem Anschlag bisher zurück, selbst der rechtsnationalistische Lega-Chef, Vizepremier und Infrastrukturminister Matteo Salvini. Dagegen findet der brutale Vorfall in den italienischen Medien viel Aufmerksamkeit. In deren Analysen und Kommentare schieden sich aber die Geister, je nach politischer Orientierung. Regierungsnahe Zeitungen und Sender sehen sich bestätigt, ihr zynisch-rechthaberischer Unterton ist dabei kaum zu überhören.

Zum Beispiel im Fall der Tageszeitung "Il Secolo d’Italia", die 1952 gegründet und ab 1963 Parteiorgan der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) wurde. Das MSI ist die Vorgängerpartei der von Meloni angeführten Fratelli d’Italia. Der "Secolo d’Italia" titelte am 27. August: "Migranten, Scholz entdeckt, dass Italiens Richtlinie die richtige ist".

Der deutsche Bundeskanzler mache sich aber "mit strengeren Regeln für den Umgang mit Messern lächerlich". Die Frage, die sich nämlich stelle, hieß es im Artikel, ist, ob auch Küchenmesser in Zukunft strengeren Regeln unterliegen werden. Immerhin könne man auch damit einen Menschen erstechen. "Solche Vorschläge sind der Beweis für die schwierige Lage, in der sich der Kanzler gerade befindet. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als solche Ansagen zu machen", deren Nutzen zwar fraglich sei, die aber dazu dienten, eine aufgebrachte Öffentlichkeit zu beruhigen.

Die Tageszeitung "il Giornale", einst im Besitz Silvio Berlusconis, heute in den Händen der regierungs- und in erster Linie Lega-nahen Unternehmerfamilie Angelucci, schrieb über den "Fall einer Illusion". Die Zeitung erinnerte an den berühmten Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2015 "Wir schaffen das" und zitiert ihn auf Deutsch. Dieser Satz sollte für das größte Integrationsprogramm der Nachkriegszeit stehen, das sei es wahrscheinlich auch gewesen, hieß es im Kommentar. "Mit dieser sich selbst Mut machenden magischen Formel beschloss Angela Merkel, eine überwältigende Zahl an syrischen Antragstellern, die vor einem grauslichen Bürgerkrieg flüchteten, aufzunehmen." Deutschland wurde zu einem Willkommensland, während Italien "eine Menge Rügen, Vorwürfe und Belehrungen einstecken musste. Und zwar nicht nur von Europa, sondern auch vom linken Lager in Italien", lautete ein leicht giftiges Fazit.

Italien als Vorreiter

Die Tageszeitung "il Tempo" titelte wiederum "Migranten, Deutschland macht es Meloni nach - Scholz will strengeres Vorgehen den Migranten gegenüber", während auf der Website des stellvertretenden Chefredakteurs des "Giornale", Nicola Porro, er über Solingen schrieb: "Ah, der Terrorist war ein Flüchtling" und "Das sind die Folgen einer wahllosen Aufnahmepolitik". Porro schrieb weiter: "Sagt es den Opfern, dass die offenen Türen im Stil Angela Merkel immer gut und richtig waren. Sagt es der Frau und den zwei Männern, die während des 'Festivals der Vielfalt' in Solingen, Deutschland, mit aufgeschlitztem Hals leblos in einer Blutlache gelassen wurden. Der Unterschied zwischen Regeln und 'ungeregelte Aufnahme' liegt an der Fähigkeit eines Landes, zu vermeiden, dass Immigration zu Unbehagen, Problemen und Terror führt."

Auch die Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz "l'Avvenire" spricht Italien so etwas wie eine Vorreiterrolle an, wenngleich mit ausgewogeneren Argumenten. Diese Wertung bezog sich nicht nur auf Solingen, sondern auch auf das am Tag darauf versuchte Attentat auf die Synagoge Beth Yaacov in Südfrankreich und generell auf die internationale Lage, mit Fokus auf die verheerenden Lebensumstände im Gazastreifen: "Das italienische Modell gezielter (und streng geregelter) Abschiebungen von Ausländern, die der Radikalisierung verdächtigt sind (120 solcher wurden in den letzten 18 Monaten abgeschoben, davon mindestens 60 nach dem 7. Oktober), scheint die richtige Strategie zu sein, um sporadische Angriffe unter Kontrolle zu halten und die Bildung von strukturierten Gruppen zu vereiteln." Außerdem sei es ein Beweis, dass es möglich sei, vorbeugend zu handeln und gleichzeitig keine Panik zu verbreiten.

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