Welche Auswirkungen das Zündeln in Nahost und die Drohung des Irans mit einem Großangriff auf Israel auf die Märkte haben, erklärt der Investmentchef der Oddo BHF.
Herr Viebig, seit Tagen rechnet die Welt mit einem großen Angriff des Iran auf Israel, aber noch ist nichts passiert. Nun ist der Ölpreis leicht angestiegen. Wie hängt das zusammen?
Der Ausschlag beim Ölpreis ist nicht besonders groß, trotzdem haben die Märkte gerade insgesamt sehr viel Angst. Der "Angst und Gier"-Index liegt momentan bei 22, das ist ziemlich niedrig. 0 würde extreme Angst bedeuten, 50 ist neutral. Diese Angst hat aber nicht nur mit dem Nahen Osten zu tun, sondern auch mit Rezessionsängsten und hohen Bewertungen am Markt, die sich in diesem krisengeplagten Umfeld abspielen.
Die Märkte fürchten also eine große Krise? Immerhin gab es vergangene Woche einen Börsencrash.
Am 5. August hatten wir wirklich eine absolute Krise, die aber vor allem auf die sogenannten Yen Carry Trades zurückzuführen ist. Die meisten Marktbeobachter sind sich gerade einig, dass sich die ökonomischen Auswirkungen des Kriegs in Nahost in Grenzen halten werden. Bei den Ölkrisen in den 1970er Jahren war die OPEC relativ stark. Sowohl die Krise 1973 als auch 1979 haben die Weltwirtschaft beeinflusst, weil Öl knapp geworden und der Ölpreis sehr, sehr stark gestiegen ist. Natürlich können auch jetzt verschiedene Szenarien eintreten, zum Beispiel Anschläge auf Militärbasen in den USA oder Angriffe auf die Ölinfrastruktur wie 2019. Aber mit extremen Auswirkungen ist nicht zu rechnen.
Warum nicht?
Die heutige Situation ist eine andere als in den 1970er Jahren. Zum einen sind die westlichen Industrieländer jetzt viel weniger abhängig vom Öl. Zum anderen sind die USA heute der größte Ölproduzent der Welt, das ist makroökonomisch sehr bedeutend und macht sie unabhängiger von Verwerfungen. Ich denke, selbst wenn etwas Schreckliches passieren würde und es einen Angriff des Irans auf Israel gibt, hätte das wahrscheinlich relativ geringe Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Die einzige Ausnahme wäre, wenn der Krieg die Handelsrouten außer Kraft setzt.
Die Route durch das Rote Meer über den Suezkanal meiden die meisten Reedereien bereits wegen Angriffen der Huthi-Rebellen im Jemen, den Verbündeten des Irans und der palästinensischen Hamas. Stattdessen fahren die Schiffe nun rund um Afrika.
Genau, beim Roten Meer gibt es eine Ausweichroute. Die ist zwar länger und teurer, aber vom Markt eingepreist. Öl wird aber hauptsächlich über die Straße von Hormus am Persischen Golf ausgeführt zwischen dem Iran und dem Oman entlang. Über diese Route werden von den Ölhäfen des Iraks, Bahrains, Kuwaits, Katars, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabiens täglich 21 Millionen Barrel Öl transportiert, also ungefähr ein Fünftel des weltweiten Ölverbrauchs, das ist unglaublich viel – und dafür gibt es keine andere Route.
Käme es hier zu Beeinträchtigungen, würde der Ölpreis stark ansteigen.
Ja, würde dieses Szenario eintreten, wäre das ein makroökonomischer Schock und davor haben die Finanzmärkte Angst. Andere Ausweichmöglichkeiten sind hier sehr begrenzt. Die USA könnten ihre Ölförderung erhöhen, man könnte andere Energieträger nutzen, aber all das dauert lange. Momentan ist dieses Szenario allerdings noch sehr unwahrscheinlich, weil die Amerikaner sich geschickt verhalten. Einerseits verlegen sie zur Abschreckung schweres Kriegsgerät in die Region, andererseits bemühen sie sich um diplomatische Verhandlungen.
Trotzdem stehen sich mit den USA und dem Iran zwei große Mächte gefährlich nah gegenüber. Eine Eskalationsspirale droht. Hat das wirklich so wenig Einfluss?
So viel menschliches Leid dieser Konflikt auch verursacht, ist es ökonomisch betrachtet "nur" eine kriegerische Auseinandersetzung und hat genau wie der Ukrainekrieg geringen Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft. Sowohl der Iran als auch Israel sind relativ kleine Volkswirtschaften, besonders der Iran ist bis auf seine Ölvorkommen ein sehr armes Land. Die weltweiten volkswirtschaftlichen Effekte eines möglichen Angriffs des Iran und die Auswirkungen auf die Finanzmärkte wären daher sehr begrenzt. Kurzfristig mag die Volatilität ansteigen, weil Anlegerinnen und Anleger Angst bekommen. Aber schon nach wenigen Wochen erkennen die Marktteilnehmer dann meist, dass die makroökonomischen Auswirkungen regional begrenzter Konflikte gering sind, solange die Lieferketten weiter funktionieren.
Anlegerinnen und Anleger sollten also einfach die Füße stillhalten?
Geld in Aktien sollte man prinzipiell nur für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren anlegen. Natürlich kann es kurzfristig Turbulenzen am Markt geben, aber wer langfristig Geld in Aktien anlegt, senkt die Verlustwahrscheinlichkeit erheblich.