28 Milliarden Euro wurden dem Staat durch Cum-Cum-Deals gestohlen – so hat es Steuerprofessor Christoph Spengel berechnet. Im stern erklärt er, wie die Politik dabei versagte.
Herr Spengel, Sie bezeichnen Cum-Cum als den größten Steuerskandal der Geschichte der Bundesrepublik. Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?
Das geht keine Nummer kleiner. Cum-Cum ist der große Bruder von Cum-Ex. Der Steuerschaden beträgt konservativ berechnet rund 28 Milliarden Euro. Nicht einmal die Bundesregierung weiß, wie groß der Schaden wirklich ist.
Bei Cum-Cum-Geschäften umgehen – grob vereinfacht gesagt – ausländische Investoren die deutsche Kapitalertragssteuer. Dabei helfen ihnen deutsche Banken, der Gewinn wird aufgeteilt. Das war jahrzehntelang gängige Praxis, die Finanzämter intervenierten auch nicht. Wo liegt überhaupt das Problem?
Es war auch gängige Praxis, dass Autohersteller im Dieselskandal ihre Abgaswerte manipuliert haben. Nur weil es viele machen, heißt es nicht, dass etwas in Ordnung ist. Das Problem liegt im Steuergesetz in Deutschland, das bei Cum-Cum-Geschäften eine Lücke aufweist. Das bedeutet aber nicht, dass Cum-Cum-Geschäfte aufgrund der Lücke legal gewesen sind. Spätestens seit 2001 hätten die Finanzämter im Einzelfall prüfen müssen, ob bei Cum-Cum-Geschäften ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt.
Warum haben Sie das all die Jahre nicht gemacht?
Die Banken haben ihre Cum-Cum-Deals nicht transparent in ihre Steuererklärungen geschrieben. Solche Geschäfte aufzudecken, ist enorm schwierig.
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Die HSH Nordbank hat zum Beispiel erst im Jahr 2017 ihre Cum-Cum-Deals über 275 Millionen Euro, die sie zwischen 2003 und 2012 tätigte, dem Hamburger Finanzamt offengelegt.
Jeder, der sich mit Steuergestaltung in den vergangenen Jahrzehnten auseinandergesetzt hat, wusste, dass bei Cum-Cum-Geschäften die Gefahr von steuerlichem Missbrauch bestand. Trotzdem haben es die Banken gemacht und die Finanzverwaltungen haben nichts dagegen getan. Trotz eindeutiger Rechtslage.
Also haben die Finanzämter ihren Job nicht gemacht.
Ich würde nicht bei den Betriebsprüfern ansetzen, sondern viel weiter oben. Das Bundesfinanzministerium hat unter der Leitung von Wolfgang Schäuble 2016 eine Neubewertung von Cum-Cum-Geschäften vorgenommen. Vorher hatte Schäuble gesagt, Cum-Cum sei moralisch illegitim, aber nicht illegal. Dabei gab es bereits vom Bundesfinanzhof die Rechtsprechung, dass die Geschäfte unter bestimmten Voraussetzungen illegal sind. Das, was das Bundesfinanzministerium dann aber veröffentlicht hat, hat die Geschäfte rückblickend reingewaschen und ließ die Cum-Cum-Geschäfte einfach weiterlaufen. Da fehlte eine klare Ansage, wie diese Geschäfte nun rechtlich einzustufen sind.
Sie haben die vom Bundesfinanzministerium veröffentlichte Neubewertung von Cum-Cum-Geschäften zu der Zeit als "unerträgliche Situation des kollektiven Versagens und Nichtwollens" kommentiert.
Die Konsequenzen des Schreibens aus dem Bundesfinanzministerium waren dramatisch. Eine Woche nach der Veröffentlichung hat die Oberfinanzdirektion Frankfurt seine Betriebsprüfer angewiesen, Prüfungen zu Cum-Cum-Fällen einzustellen. Wir reden hier über den zentralen Bankenplatz in Deutschland. Das Schreiben wurde übrigens gegen den Widerstand vom damaligen Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, veröffentlicht. Er hatte ein Veto eingelegt, in Berlin setzen sie sich aber einfach darüber hinweg. Ein Novum.
Im Jahr darauf, 2017, wurde deshalb aber doch nachgebessert, mit einem neuen Schreiben. Dahinter standen Bund und Länder gleichermaßen.
Das hat aber das vorige Schreiben nicht ersetzt und war auch nicht scharf genug. Es ging zwar in eine bessere Richtung, war aber viel zu weich.
Menschen, die in den Runden zuvor dabei waren, berichten, dass es auch von Länderseite aus Widerstände gegen eine härtere Gangart gab. Wie kann das sein, wenn doch längst bekannt war, wie schädlich Cum-Cum-Geschäfte für den Steuerzahler sind?
Da kann ich nur vermuten. Zum einen gibt es eine mächtige Finanzlobby, die bei diesen hochkomplexen Themen mitmischt. Zum anderen kann es sein, dass man eine weitere Bankenkrise abwenden, oder die Institute wenigstens schonen wollte. Es ist ja mittlerweile bekannt, dass zum Beispiel die Landesbank Baden-Württemberg oder die HSH Nordbank im großen Stil an Cum-Cum-Geschäften beteiligt waren. Auch private Banken hätten womöglich in Schieflage geraten können, wenn die Geschäfte aufgedeckt und das Geld zurückgefordert worden wäre. Sie dürfen nicht vergessen, dass in der Finanzkrise der Bankensektor in Deutschland mit rund 68 Milliarden Euro gestützt wurde. Eine zweite Rettung wäre der Bevölkerung schwer vermittelbar gewesen. Aber das ist Spekulation.
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Es hat dann Jahre gedauert, bis das Bundesfinanzministerium 2021 ein neues Schreiben vorlegt hat und Cum-Cum-Geschäfte grundsätzlich für illegal erklärte. Wie steht es heute um die Aufklärung?
Im Vergleich zu Cum-Ex sind die Cum-Cum-Fälle bislang kaum aufgeklärt. Da ist sehr vieles offen. Es fehlt aber auch das Personal, die Betriebsprüfung ist notorisch unterbesetzt. Wollte man das Thema ernsthaft angehen, würde man aufstocken.
Wie viel Geld ist denn mittlerweile von den 28 Milliarden Euro zurückbezahlt worden?
Nicht einmal eine Milliarde Euro. Die Bafin verfügt übrigens über eine Liste mit Banken, die angegeben haben, Cum-Cum-Deals getätigt zu haben und deshalb mit einer Rückforderung rechnen. Die Liste wurde bislang mit einer einzigen anderen Behörde geteilt. Mit einer. Dabei würde man doch erwarten, dass die Liste direkt an alle betroffenen Länder und Behörden geht, um die Rückforderungen zu erleichtern.