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Interview mit Christoph M. Schmidt zum "Kinderstartgeld"



interview

Stand: 09.10.2024 07:01 Uhr

Die Wirtschaftsweisen haben ein staatlich finanziertes "Kinderstartgeld" für Kinder vorgeschlagen. Die finanziellen Mittel könnte man sinnvoller im Bildungssystem einsetzen, meint RWI-Präsident Schmidt.

ARD-Finanzredaktion: Ist die Finanzbildung in Deutschland ein Problem? Wie bewerten Sie die Kompetenz der Deutschen in Sachen Finanzen?

Christoph M. Schmidt: Die Ministerien (BMF und BMBF) setzen mit ihrer Initiative, eine nationale Strategie zur Finanzbildung zu entwickeln, an einem wichtigen Defizit des Bildungssystems an: Wenngleich empirische Studien den Deutschen eine recht hohe Kompetenz bei abstrakten Fragen zur Finanzbildung zubilligen, ist doch hierzulande die Bereitschaft, durch Anlagen am Aktienmarkt eine ansprechende Rendite bei überschaubarem Risiko zu erzielen, im internationalen Vergleich unterentwickelt.

Es gilt daher nach Wegen zu suchen, insbesondere Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Milieus die Vorzüge von Anlagen am Kapitalmarkt näher zu bringen und die Bedeutung kluger Anlageentscheidungen für ihre eigene finanzielle Absicherung im Lebensverlauf zu verdeutlichen.

Wirtschaftsweiser Christoph M. Schmidt

Zur Person

Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender. Seit Mai 2024 ist er Mitglied der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).

ARD-Finanzredaktion: Und was sind die Gründe?

Schmidt: Die Hintergründe für dieses Defizit sind sicherlich vielschichtig, dürften aber nicht zuletzt in einem ausbaufähigen Verständnis von Lehrerinnen und Lehrern für wirtschaftliche Zusammenhänge und einem allgemein sehr großen Vertrauen in die Kraft staatlicher Mechanismen zur Absicherung von Lebensrisiken liegen.

Zudem habe ich den Eindruck, dass wir als Gesellschaft keine positive Einstellung zu unserer Marktwirtschaft haben und insbesondere der Kapitalmarkt von vielen eher skeptisch gesehen wird. Es ist sehr fraglich, ob eine monatliche Einzahlung durch den Staat an diesem grundlegenden Problem etwas ändern könnte.

"Ich halte das für äußerst fraglich"

ARD-Finanzredaktion: Wie Sie erwähnt haben, wollen das Bundesfinanzministerium und das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf Grundlage eines Vorschlags der OECD noch in diesem Jahr eine nationale Strategie zur Finanzbildung für Deutschland entwickeln. Wäre ein wie vom SVR vorgeschlagenes Kinderstartgeld hilfreich, diese zu verbessern und langfristig eine Aktienkultur zu etablieren?

Schmidt: In seinem Policy Brief geht der Sachverständigenrat offenbar davon aus, dass die regelmäßige Information über das im Zeitverlauf anwachsende Guthaben auf dem - erst zu Beginn der Volljährigkeit verfügbaren - Konto die praktische Erfahrung mit Finanzanlagen fördern wird. Ich halte das für äußerst fraglich. Wenn es vor allem darum geht, die Auswirkungen von Portfolio-Entscheidungen auf den Verlauf des angesparten Kapitals zu verdeutlichen, dann ginge das zweifellos auch ohne jeglichen Einsatz finanzieller Mittel im Mathematik-Unterricht.

Zudem dürfte jeglicher Erfolg auch sehr teuer erkauft sein. Die dafür verausgabten finanziellen Mittel von mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr könnte man sicherlich sinnvoller im Bildungssystem einsetzen. Da sollte der Sachverständigenrat vielleicht noch einmal in sich gehen und die Frage nach den Opportunitätskosten stellen.

Schließlich ist ein Schlüssel zu einer selbstverantwortlichen Gestaltung der eigenen finanziellen Resilienz doch die Einsicht, dass ein Verzicht auf eine Belohnung heute die Aussicht auf noch größere Früchte in der Zukunft eröffnet. Wie soll dieses lohnende Verzichtserlebnis, das die Wurzel aller Sparbemühungen darstellt, denn dadurch greifbar werden, dass man ein monatliches Geschenk erhält? Mir erscheint das nicht ganz zu Ende gedacht zu sein.

Einen wichtigen Aspekt scheint der Sachverständigenrat schließlich bei seiner empirischen Übersicht über internationale Vorbilder zu übersehen: Die hier diskutierten Volkswirtschaften sehen allesamt die Erhebung von Studiengebühren vor; die Stärkung der finanziellen Situation junger Menschen dürfte hier besonders wichtig sein. Eine Gegenfinanzierung durch die Erhebung von Studiengebühren hierzulande sieht der Ratsvorschlag aber wohl kaum vor.

Lieber mehr Wissensvermittlung in der Schule

ARD-Finanzredaktion: Könnten Details die Idee der Wirtschaftsweisen verbessern?

Schmidt: Die technischen Aspekte des Konzepts sind nicht das Problem des Vorschlags, sondern seine geringe Anbindung an die Lebenswirklichkeit. Dass die öffentlichen Haushalte gerade nicht in der Lage sind, aus einem übervollen Reservoir an Finanzmitteln zu schöpfen, ist doch allseits bekannt.

ARD-Finanzredaktion: Wie könnte die Politik Ihrer Meinung nach die Finanzbildung in Deutschland vorantreiben?

Schmidt: Da gibt es verschiedenste Möglichkeiten, beispielsweise verpflichtende Lerneinheiten in Mathematik und Statistik, eine verpflichtende Weiterbildung der Lehrkräfte in Grundzügen ökonomischer Zusammenhänge oder auch den Einsatz von Lernmaterialien mit praktischem Bezug zum Wirtschaftsleben. Dabei sollte es auch darum gehen, Kinder und Jugendliche stärker als bisher schon in der Schule mit den Grundlagen des Kapitalmarktes vertraut zu machen.

Das Gespräch führte Till Bücker, ARD-Finanzredaktion.

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