In der SPD brodelt es wegen des geplanten Sicherheitspaketes. Wir veröffentlichen ein Papier der AG Migration, welches das Gesetzesvorhaben der Ampel für rechtswidrig und nicht mit den Werten der Sozialdemokratie vereinbar hält.
Das sogenannte Sicherheitspaket der Ampel, das Verschärfungen des Asylrechts und einen Ausbau von biometrischer Überwachung und anlasslosen Polizeikontrollen vorsieht, wird nicht nur von Sachverständigen kritisiert, sondern auch aus den Reihen der Regierungsparteien selbst. Nachdem zuletzt Abgeordnete und Mitglieder der SPD einen offenen Brief gegen das Vorhaben lanciert hatten, wird jetzt bekannt, dass das „Sicherheitspaket“ auch auf der Ebene der Arbeitsgemeinschaften der Partei heftigen Widerspruch erfährt.
In einem Factsheet der Arbeitsgemeinschaft Migration & Vielfalt der SPD heißt es, dass der vorliegende Gesetzentwurf „erhebliche verfassungs- und europarechtliche Bedenken“ aufwerfe. Die vorgesehenen Regelungen seien „rechtlich fragwürdig“ und stünden „im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde“. Die AG fordert, dass der Entwurf „kritisch hinterfragt und in seiner aktuellen Form abgelehnt werden“ solle.
Das Factsheet, das wir im Original (PDF) und als Volltext veröffentlichen, kritisiert unter anderem, dass biometrische Daten von Asylsuchenden in Zukunft mit Daten aus dem Internet abgeglichen werden dürften. „Dies stellt einen massiven Eingriff in das Recht auf Datenschutz dar“ und verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), schreibt die AG Migration. Ein solcher Abgleich könne als „verdachtsloses und willkürliches Auslesen personenbezogener Daten gewertet werden“.
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Kritisiert werden auch neue Regelungen, die Reisen von Geflüchteten in ihr Herkunftsland als freiwillige Rückkehr werten. Dies stünde im Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention. Auch kritisiert die AG, dass das Gesetz vorsieht, Geflüchteten ihre Leistungen zu streichen, wenn das Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsland der EU bearbeitet werde. Das widerspreche den europäischen Vorgaben zur Aufnahme von Asylsuchenden und könne dazu führen, dass vulnerable Gruppen in die Obdachlosigkeit und in prekäre Lebensumstände gedrängt werden.
Insgesamt bewertet die AG Migration die geplanten Gesetzesänderungen so, dass diese zu einer Stigmatisierung und Ausgrenzung von Asylsuchenden führen und in die Menschenwürde der Betroffenen eingreifen würden. Das Sicherheitspaket sei „aus rechtlicher und sozialer Perspektive bedenklich“ und solle deshalb in der aktuellen Form abgelehnt werden, heißt es weiter.
Hier das Dokument
Rechtswidrigkeit des Gesetzesentwurfs zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems
I. Einleitung
Der vorliegende Gesetzesentwurf, der eine umfassende Reform des Asyl- und Aufenthaltsrechts vorsieht, wirft erhebliche verfassungs- und europarechtliche Bedenken auf. Die vorgeschlagenen Regelungen sind nicht nur rechtlich fragwürdig, sie stehen auch im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde. Dieses Faktenpapier beleuchtet die wesentlichen Punkte, die die Rechtswidrigkeit des Entwurfs belegen, und argumentiert, warum diese Regelungen mit den sozialdemokratischen Grundsätzen unvereinbar sind.
II. Verfassungs- und europarechtliche Bedenken
1. Biometrischer Abgleich mit Internetdaten (§ 15b AsylG-E)
Geplant ist eine Befugnis, biometrische Daten von Asylsuchenden mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet abzugleichen. Dies stellt einen massiven Eingriff in das Recht auf Datenschutz dar. Die Regelung verstößt gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die eine strenge Regelung für die Verarbeitung solch sensibler Daten vorsieht. Die Verwendung von Gesichtsbildern für einen derart umfassenden Abgleich ist nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch rechtlich nicht zulässig. Die Grenzen des Datenschutzes werden damit überschritten. Ein solches Vorgehen könnte als verdachtsloses und willkürliches Auslesen personenbezogener Daten gewertet werden, was den europäischen Datenschutzstandards widerspricht.
2. Neue Regelvermutung im Widerrufsverfahren (§ 73 Abs. 1 S. 3 AsylG-E)
Die Einführung einer Vermutungsregel, die Reisen in das Herkunftsland als freiwillige Rückkehr unterstellt, gefährdet die Rechte von Geflüchteten. Sie steht zudem im Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention. Diese Regelung könnte dazu führen, dass Asylsuchende in ihrer Rechtsstellung willkürlich eingeschränkt werden, ohne dass individuelle Umstände ausreichend berücksichtigt werden. Die Unschuldsvermutung und der Schutz von Geflüchteten vor Verfolgung sind zentrale Elemente des Asylrechts – und unserer gesamten Rechtsordnung, die hier untergraben werden. Darüber hinaus werden die ohnehin überlasteten Kapazitäten des BAMF und der Ausländerbehörden weiter strapaziert. Eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Behörde und Hilfesuchenden wird durch Angst und Unsicherheit getrübt.
3. Erweiterung des Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG-E)
Die Ausweitung der Gründe für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nur sechs Monaten, ist unverhältnismäßig und gefährdet den rechtlichen Schutz von Migrant*innen. Diese Regelung könnte dazu führen, dass Menschen, die bereits ein straffreies Leben führen, aus dem Land ausgewiesen werden – und das ohne angemessene Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände und ihrer Integration in die Gesellschaft
4. Ausschluss von Asylberechtigung (§ 60 Abs. 8a AufenthG-E)
Der geplante Ausschluss von Asylberechtigung bei bestimmten Straftaten, ohne Berücksichtigung der Einzelfallumstände, verstößt gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Jeder Ausschluss sollte auf einer umfassenden Einzelfallprüfung basieren. Die pauschale Absenkung der Anforderungen an den Ausschluss hält diesem Grundsatz nicht stand. Vielmehr gefährdet sie die Rechte von Asylsuchenden und widerspricht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
5. Leistungsausschluss für Asylsuchende (§ 1 Abs. 4 AsylbLG-E)
Die vorgesehenen Leistungseinschränkungen für Asylsuchende, deren Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat bearbeitet werden, widersprechen den europäischen Vorgaben zur Aufnahme von Asylsuchenden. Der vollständige Ausschluss von Leistungen könnte dazu führen, dass vulnerable Gruppen in die Obdachlosigkeit und in prekäre Lebensumstände gedrängt werden. Dass damit der staatlichen Pflicht zur Wahrung der Menschenwürde ausreichend Rechnung getragen wird, ist mindestens fraglich.
III. Unvereinbarkeit mit sozialdemokratischen Werten
Die sozialdemokratische Grundphilosophie setzt sich für Gerechtigkeit, Gleichheit und die Wahrung der Menschenwürde ein. Der vorliegende Gesetzesentwurf verletzt diese Grundwerte in mehrfacher Hinsicht:
- Menschenwürde: Die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen in die Menschenwürde der Betroffenen ein, indem sie deren Rechte und Freiheiten ohne angemessene rechtliche Grundlage und ohne Berücksichtigung individueller Umstände massiv und unverhältnismäßig einschränken.
- Solidarität: Die angestrebten Regelungen führen zu einer Stigmatisierung und Ausgrenzung von Migrant*innen und Asylsuchenden. Dies widerspricht dem Prinzip der Solidarität, das in der sozialdemokratischen Bewegung verankert ist.
- Gerechtigkeit: Der Entwurf schafft ein systematisches Ungleichgewicht, indem er die Rechte von Asylsuchenden und Migrant*innen unverhältnismäßig einschränkt.
IV. Fazit
Der Gesetzentwurf zur sogenannten Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems ist aus rechtlicher und sozialer Perspektive bedenklich. Die vorgesehenen Regelungen verletzen sowohl nationale als auch europäische Rechtsstandards und stehen im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenwürde. Daher sollte der Entwurf kritisch hinterfragt und in seiner aktuellen Form abgelehnt werden.
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