Die Presse ist sich einig: Nach dem Eklat zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj ist der Westen am Ende und für die Ukraine steht alles auf dem Spiel. Ein Blick in europäische Zeitungen.
Ukraine
"Kyiv Independent": "Lassen Sie das sacken. Der Präsident einer kriegsgebeutelten Ukraine, ein Verbündeter der USA, ist zum ersten Staatsführer der Geschichte geworden, der aus dem Weißen Haus geworfen wurde. Kein Diktator, kein in Ungnade gefallener Politiker – der Präsident der Ukraine, eines Landes, das unter der schlimmsten Invasion des 21. Jahrhunderts leidet. Das Land, dem die US-Regierung geschworen hat, Frieden zu bringen.
In einem hässlichen Schlagabtausch haben der Präsident und sein Vizepräsident gemeinsam Selenskyj eine Rüge dafür erteilt, "nicht dankbar" genug zu sein für die Hilfe zugunsten der Ukraine. (...) Aber es scheint, dass Dankbarkeit gegenüber dem amerikanischen Volk gar nicht das ist, worauf Trump und Vance aus waren. Sie wollten, dass er um Gnade winselt und vor Trump auf die Knie fällt. Den Ring küsst. Sicherlich hätte Selenskyj besser daran getan, sich zusammenzureißen und seine Reaktionen zu kontrollieren, aber fairerweise muss man sagen, dass er in eine Situation gebracht wurde, in der er nicht gewinnen konnte.
Spanien
"El País": "Der Schlagabtausch von Wolodymyr Selenskyj mit Donald Trump und J. D. Vance im Oval Office des Weißen Hauses, live und vor Journalisten, ist das beeindruckende Symbol für das Ende einer Ära. Es handelt sich um die brutale Bestätigung des abrupten Kurswechsels der USA, sowohl inhaltlich als auch in der Form, im Vergleich zu den vergangenen 80 Jahren.
Die Bedeutung ist klar. Wir erleben nicht nur eine amerikanische Abkehr von Europa, eine Kluft bei den Interessen und Werten. Die Europäer sind mit der Bereitschaft der USA konfrontiert, uns im Einvernehmen mit anderen imperialistischen Mächten großen Schaden zuzufügen. (...) Es ist eine willkürliche imperialistische Macht, die Unterwerfung, Huldigung und die Akzeptanz ausbeuterischer Praktiken fordert. Eine, die mit Russland, Weißrussland und Nordkorea in der UNO stimmt. Das ist es, was hinter dem Austausch im Oval Office steckt.
(...) Wir Europäer stehen auf dem Speiseplan der imperialistischen Mächte. Falls noch Zweifel an der Dringlichkeit bestanden haben sollten, ist eine eindeutige Botschaft aus dem Oval Office angekommen. Wir müssen unseren Platz in der Welt mit Mut völlig neu überdenken."
Großbritannien
"The Telegraph": "Das westliche Bündnis scheint auf der Kippe zu stehen. Was eigentlich eine Versöhnung zwischen Präsident Donald Trump, Vizepräsident J.D. Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hätte sein sollen, endete in einem heftigen Wortwechsel im Oval Office, bei dem die Amerikaner Selenskyj vor der Weltöffentlichkeit beschimpften. Es war eine erschreckende Szene, die jeden in Großbritannien und Europa beunruhigt haben dürfte, der um die Sicherheit des Kontinents besorgt ist.
Eine derartige Zurschaustellung von Aggression durch das Weiße Haus gegenüber einem westlich orientierten Staatsoberhaupt, geschweige denn gegenüber einem Verbündeten, der sich in einem existenziellen militärischen Kampf befindet, ist beispiellos. Trump und Vance waren zweifellos im Unrecht – sachlich, geopolitisch und moralisch. Die Art und Weise, wie sie ihre Argumente vortrugen, hat die Brüche in der westlichen Koalition deutlich gemacht und Wladimir Putin einen Propagandasieg beschert."
"Donald Trump hegt mehr Sympathien für Putin als für Selenskyj"
Niederlande
"De Telegraaf": "Der ukrainische Präsident war ungewöhnlich konfrontativ und erklärte den Amerikanern, dass sie Moskau zu viel Vertrauen schenken würden und Präsident Wladimir Putin seine Versprechen schon oft gebrochen habe. Die Kritik kam schlecht an. Trump drohte sogar damit, sich ganz aus dem Friedensdialog zurückzuziehen. (...)
Wolodymyr Selenskyj macht mit seiner Haltung und seinen Vorwürfen offenbar mehr kaputt, als der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang der Woche aufzubauen versucht haben. Es ist unklar, welche Folgen dieses Gezeter für die Sicherheitsgarantien haben wird, die die Ukraine zu erhalten hofft."
Schweiz
"Neue Zürcher Zeitung": "Trumps Tiraden führten den Europäern nun nochmals deutlich vor Augen, wo der amerikanische Präsident und seine Regierung wirklich stehen. Offenkundig hegt Trump mehr Sympathien für den russischen Diktator und seine Geschichtsklitterung als für eine unabhängige Ukraine.
Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit ist er mit dieser Weltsicht nicht mehr alleine im Weißen Haus. Vizepräsident Vance hat bereits früher erwähnt, dass ihm das Schicksal der Ukraine egal sei. Wenn die Europäer wirklich einen stabilen Frieden in der Ukraine wollen, müssen sie vermutlich selbst die Führungsrolle übernehmen, ohne auf eine amerikanische "Rückversicherung" hoffen zu können."
Belgien
"De Standaard": "Der öffentliche Streit zwischen zwei Präsidenten, von denen einer sich in einem Krieg gegen Russland verteidigt, signalisiert das Ende des Westens. Die Ukraine und Europa müssen es nun ohne militärische Unterstützung der USA mit Russland aufnehmen. Fortan ist es angemessener, von "Donald Trumps Regime" zu sprechen als von Trumps Präsidentschaft. Am Freitagabend erlebte die Welt live den ersten großen Zusammenprall zwischen der realen Welt und der fiktiven, verlogenen und durchgeknallten Version, die Trump aus ihr macht. Welche dieser Welten auf kurze Sicht gewinnen wird, ist ungewiss. (...)
Jetzt hängt alles von Europa ab. Dies ist ein Moment der Wahrheit, eine Charakterprüfung wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Ukraine Putin und Trump zu überlassen, würde bedeuten, dass sich Europa in die Rolle eines Vasallen zurückzieht. Es gibt also keine Wahl.