Eine Recherche von stern und RTL hat Missstände an der Berliner Charité aufgedeckt. Politiker fordern nun Aufklärung – und eine bessere Finanzierung der Kliniken im Land.
Die Recherchen von stern und RTL zu Missständen in Deutschlands größter Universitätsklinik, der Charité, haben im politischen Berlin für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Die in der Berichterstattung erhobenen Vorwürfe würden "sorgfältig geprüft und müssen restlos ausgeräumt werden", sagte ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege auf Anfrage. Dazu stehe man "mit der Charité selbstverständlich in engem Austausch". Die Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) ist zugleich die Aufsichtsratsvorsitzende der Charité.
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Ein Reporterteam von stern und RTL hat Missstände an der Klinik aufgedeckt. Ihm liegen zudem zwei Umfragen unter Ärzten und Medizinstudenten an der Charité vor, die einen eklatanten Widerspruch zwischen Anspruch und erlebter Wirklichkeit der Befragten offenbaren. Mehr als die Hälfte von über 200 befragten Ärzten bewertete demnach die Qualität der Patientenversorgung im eigenen Haus unter den gegebenen Umständen als mangelhaft oder ungenügend. Zudem gaben mehr als 100 Medizinstudenten – sogenannte PJler – an, die Charité als Lehrkrankenhaus nicht weiterzuempfehlen. Die Charité wies die Vorwürfe zurück. Mit den beiden Umfragen konfrontiert, schrieb ihr Anwalt: Die beiden Umfragen seien der Charité nicht bekannt, ihre Ergebnisse aber ohnehin "nicht repräsentativ". Er verwies zudem auf Ranglisten, denen zufolge die Charité regelmäßig zu den besten Krankenhäusern gekürt wird.
Reporter von stern und RTL hatten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits während der Recherchen vor laufender Kamera konfrontiert. Er könne "sich nicht einmischen in die Personalpolitik der Charité", sagte er. Zur generellen Lage der deutschen Kliniken sagte er, das Land habe nicht genug Ärztinnen und Ärzte für die 1700 vorhandenen Krankenhäuser: "Die Qualität ist da nicht gut genug. Wir können so nicht weitermachen."
Experten aller drei Ampelparteien der Bundesregierung sowie der CDU/CSU wollten die Vorwürfe im Einzelnen nicht kommentieren. Sie gaben aber zu, dass es in deutschen Kliniken Fehlentwicklungen gebe.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, sagte, es sei wichtig, "dass wir den Klagen von Patienten und Personal aus nahezu allen Krankenhäusern in Deutschland endlich Gehör schenken". Die Gleichzeitigkeit von Über-, Unter- und Fehlversorgung gefährde inzwischen überall in Deutschland Patienten und Personal gleichermaßen. "Kein Land in Europa gibt so viel Geld für seine Krankenhäuser aus und hat gleichzeitig so große strukturelle Mängel in der Versorgung", so Dahmen.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann, sagte: Die Charité kämpfe, wie andere Universitätsklinika auch, seit Jahren mit finanziellem Druck und personellen Engpässen. "Dass darunter Ausbildung und Versorgung teilweise leiden, kann leider nicht wundern." Man dürfe, so Ullmann weiter, zwar die Aussagen selektiver Umfragen nicht verallgemeinern. Trotzdem zeigten sie und die Recherchen, "dass wir dringend die Krankenhausstrukturreform brauchen". Insbesondere Universitätsklinika müssten mit mehr Personal und Ressourcen ausgestattet werden.
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Tino Sorge, sagte zu den Ergebnissen der Recherche: "Wo in Einzelfällen Fehler gemacht werden, müssen sie aufgearbeitet werden." Das dürfte auch im Interesse der Charité sein.
Der Sprecher der Linke für Wissenschaftspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus, Tobias Schulze, sagte zu der Recherche: "Die Charité leidet unter den Auswirkungen des fallbasierten Finanzierungssystems". Es zwinge Kliniken dazu, mit möglichst wenig Personal möglichst viele Fälle zu generieren. Aber auch die interne Organisationsstruktur der Charité müsse auf den Prüfstand.