Eine Recherche in Finnland verschlug unseren Reporter in die Küche eines traurigen Russen – und in eine Sauna, in der er mit Schwitzenden über Rassismus diskutierte.
An einer Bucht namens Vanhankaupunginselkä mitten in Helsinki steht eine Sauna, die selbst für finnische Verhältnisse besonders ist. Die Sompa-Sauna ist das ganze Jahr über rund um die Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenlos, und neben den drei Schwitzhütten hacken Freiwillige Holz. Jeder, der vorbeikommt, kann ein paar Scheite in den Ofen werfen und losschwitzen.
Ich war Ende Januar in Finnland, für eine Reportage über die hybride Kriegsführung des Kremls. Weil der Kopf bei so einer Recherche auch mal ein wenig Luft braucht, schaute ich an einem trüben Mittwochmittag in der Sompa-Sauna vorbei. Sie wird von einem Verein betrieben, der sich über Spenden finanziert und dessen Mitglieder sich um das Gelände kümmern.
Anders als in Deutschland sitzt man in der Sompa-Sauna nicht still und nackt auf seinem Handtuch. Die meisten Besucherinnen und Besucher setzen sich im Badedress ohne Unterlage auf die Holzbänke und unterhalten sich. Zwischen den Gängen kühlen sie sich in der eiskalten Ostsee ab, danach geht es zurück in die Wärme. Im Ofen knackt das Holz, in der Luft schwebt Löyly: So nennen die Finnen den Saunadampf.
Mancher Russe findet in Finnland keine Arbeit mehr
Als ich kam, saßen da ein Russe, ein Schwede und ein Finne. Das ist kein Witz. Wir kamen schnell ins Gespräch und unterhielten uns darüber, wie Finnen und Russen in der schwierigen politischen Gemengelage miteinander zurechtkommen.
Trump Putin Friede Ukraine 12:18
Andrej, der Russe, breitete seine Probleme aus. Er sei IT-Entwickler, finde aber keine Arbeit, nicht einmal als Schneeschipper, und wisse nicht, ob es an der schlechten wirtschaftlichen Lage liege oder an seiner Herkunft. Ralf, ein Lehrer, der der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland angehört, erzählte, dass es an seiner Schule finnische, russische und ukrainische Kinder gebe und alle ganz gut miteinander klarkämen. Er glaube nicht, dass es in Finnland viel Rassismus gebe. Und Lauri, der Finne, diskutierte zwar fleißig mit, sagte aber schließlich: "Eigentlich ist die Sauna zum Entspannen da, und nicht, um über Politik zu reden." Hier in der Sompa-Sauna seien sowieso alle gleich.
Leider geht es nicht überall so egalitär zu wie in der Sauna.
"Der Russe bleibt ein Russe …"
Wenn ich im Ausland recherchiere, versuche ich immer, mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen. In der finnischen Ortschaft Svartbäck traf ich einen älteren Mann namens Ingmar. Er war in Svartbäck, weil dort seit einigen Wochen die "Eagle S" vor Anker liegt: Ein Öltanker, der kurz nach Weihnachten ein Unterseekabel zwischen Finnland und Estland beschädigt hat, vermutlich auf Geheiß des Kremls. Von einem Holzsteg am Ende der Ortschaft hat man einen guten Blick auf das Schiff.
Ingmar erzählte mir dort, er habe die Russen an sich sehr gerne, er verurteile nur ihre Politik. Wenn Russen attackieren, müsse man so hart wie möglich zurückschlagen, alles andere würden sie gar nicht bemerken. Er zitierte ein finnisches Sprichwort: "Der Russe bleibt ein Russe, selbst wenn du ihn in Butter brätst" – zäh und ungenießbar also. Nordkoreaner in der Ukraine 19:34
Natürlich hat nur ein kleiner Teil der finnischen Bevölkerung antirussische Einstellungen. Aber dieser Teil reicht aus, damit manchen der rund 35.000 Russinnen und Russen im Land rassistische Vorurteile entgegenschlagen. Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine stecken viele von ihnen in einem moralischen Dilemma: Sie verurteilen Putins Aggression, wollen dies aber nicht öffentlich aussprechen – aus Angst vor Konsequenzen, wenn sie das nächste Mal ihre Heimat besuchen.
Während meiner Recherche fuhr ich auch an die finnisch-russische Grenze. Im Herbst 2023 vervielfachte sich dort plötzlich die Zahl der Asylbewerber. Die finnische Regierung warf dem Kreml einen hybriden Angriff vor und schloss daraufhin sämtliche Übergänge.
Grenzschließungen bedeuten auch Familientrennungen
In Lappeenranta, einer Stadt in der Nähe der Grenze, besuchte ich Ivan Deviatkin. Der 34-Jährige stammt aus Russland, lebt aber seit zwölf Jahren in Finnland und arbeitet als Ingenieur bei einem großen Forstunternehmen. Bei schwarzem Kaffee und Blaubeerkuchen erzählte er mir, dass eine Lokalreporterin ihn kürzlich ohne jegliche Belege als potenziellen russischen Agenten bezeichnet habe.
Deviatkin setzt sich dafür ein, dass die Grenzschließung zwischen Russland und Finnland rückgängig gemacht wird. Als ich ihn besuchte, lagen in seinem Wohnzimmer Filzstifte und Kartons auf dem Boden. Der finnische Präsident hatte sich in der Stadt angekündigt, und Deviatkin bereitete Protestplakate vor. Auf einem davon stand: "Ich vermisse meine Großmutter." Das habe sich sein neunjähriger Sohn ausgedacht, erzählte Deviatkin. Früher seien sie regelmäßig in ihre Heimat gependelt, um Familie und Freunde zu besuchen. Seitdem die Grenze dicht ist, habe er sie nicht mehr gesehen. Protestplakate für den Besuch des finnischen Präsidenten, die die Grenzschließung zu Russland kritisieren
© David Wünschel
In den vergangenen drei Jahren, seit dem Kriegsausbruch, hat sich das Verhältnis zwischen Russen und Finnen abgekühlt. Er habe sich früher einmal in Finnland verliebt, erzählte mir Deviatkin am Küchentisch. In die Meinungsfreiheit, die Menschen, die Demokratie. Mittlerweile frage er sich, ob Finnland ihn auch liebe. "Das Land, in das ich vor zwölf Jahren gezogen bin, fühlt sich jetzt ganz anders an."