4 months ago

"Hart aber fair" zu Thüringen: AfD sucht Weg in die Regierung, CDU redet mit anderen



Nach den Landtagswahlen wird vor allem in Thüringen eine Regierungsbildung schwer. In der ARD-Talkshow "Hart aber fair" diskutieren die Gäste unter anderem über die wahrscheinliche Koalition. Die CDU steckt zwar im Dilemma fehlender Mehrheiten, sieht die Lage aber etwas anders.

Plötzlich sind alle erschrocken. Man hat den Eindruck, als seien sie überrascht über das Ergebnis bei den Landtagswahlen in Sachsen und vor allem in Thüringen. Dabei zeigten schon vor anderthalb Jahren erste Umfragen, dass ein Sieg der AfD in Thüringen möglich bis wahrscheinlich war. Nun ist die AfD dort die mit Abstand stärkste Partei geworden. Doch sie braucht einen Koalitionspartner. Den gibt es im Moment nicht.

In der ARD-Talkshow "Hart aber fair" diskutieren die Gäste am Montagabend vorwiegend darüber, wie eine Koalition in Thüringen aussehen könnte. Dort erhebt die Nummer zwei den Anspruch auf die Regierung, die CDU. Doch sie hat ein Problem: Bei einem Parteitag 2018 hatte die Partei beschlossen, weder mit der AfD noch mit den Linken zu koalieren. Für eine stabile Regierung kommen die Christdemokraten an einer der beiden Parteien nicht vorbei. Dennoch möchten sie an ihrer Unvereinbarkeitsentscheidung festhalten.

Beatrix von Storch ist am Anfang der Hart-aber-fair-Ausgabe kurz dabei. Die AfD ist gegen die Brandmauer der CDU. Für von Storch ist der Wahlsonntag ein historischer Tag. "Wir sind kometenhaft aufgestiegen. Das hätte uns keiner vorhergesagt, zugetraut oder gewünscht", sagt die Politikerin. Und sie kündigt an: "Wir werden jetzt Regierungsverantwortung suchen. Wir sehen, dass das jetzt auch ganz schwierig wird ohne uns." Das stimmt, denn die AfD hat in Thüringen mehr als ein Drittel der Stimmen, sie kann also eine Zwei-Drittel-Mehrheit verhindern. Und die braucht man zum Beispiel, um die Landesverfassung zu ändern.

Von Storch weiter: "Die CDU macht mit unseren Themen Wahlkampf und will jetzt am Ende mit Linken und BSW koalieren. Das kann nicht gut gehen, die Menschen werden das nicht wollen. Sie haben ein klares Signal gesendet: Sie wollen einen Politikwechsel. Und es gibt klare Mehrheiten in Sachsen und Thüringen, und die sind schwarz und blau."

Die schwache Koalition

Tatsächlich gingen am Sonntagabend noch viele Experten davon aus, dass die CDU ihre Brandmauer gegen die Linke aufgeben werde. Montagnachmittag erteilte CDU-Chef Merz dem eine Absage. Nun gibt es in Thüringen zunächst nur eine Option für die CDU: ein Regierungsbündnis mit SPD und BSW. Doch dies hat keine Mehrheit. Genau die Hälfte der Landtagsabgeordneten würden ihr angehören, wenn sie überhaupt zustande kommt.

Das BSW ist eine weitere Hürde. Zwar kann sich dessen Generalsekretär Christian Leye eine Regierungsbeteiligung seiner Partei vorstellen, aber er hat eine Bedingung: Die Landesregierung soll sich gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und die Aufstellung amerikanischer Mittel- und Langstreckenraketen in Rheinland-Pfalz positionieren: "Wir haben immer gesagt, das ist für uns ein zentraler Punkt", sagt Leye bei "Hart aber fair". "Und ich möchte hinzufügen: Zwei Drittel der Bevölkerung lehnt die Stationierung ab, im Osten wahrscheinlich noch mehr; 43 Prozent der Bevölkerung lehnt weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ab - im Osten wahrscheinlich noch mehr. Vielleicht wäre es ja nach einem Wahltag wie Sonntag eine gute Idee, diesen Wählerwillen ernst zu nehmen und in so eine Landesregierung mit reinzunehmen."

 Wohin steuert Thüringen?  Wohin steuert Thüringen?

Die Runde am Montagabend: Wohin steuert Thüringen?

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

Für den ersten parlamentarischen Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Thorsten Frei, kommt das nicht infrage. Die CDU werde sich nicht vom BSW aus dem Off ihre Außen- und Sicherheitspolitik diktieren lassen, sagt er. "Wir sind die Partei der Westbindung. Für uns ist vollkommen klar, dass diese Stationierung der amerikanischen Waffen die Sicherheit Deutschlands erhöht. Wir sind auch der Auffassung, dass das, was Putin in der Ukraine macht, nicht nur ein Überfall auf ein kleineres Nachbarland ist, sondern dass da insgesamt die Friedens- und Freiheitsordnung in Europa infrage gestellt wird. Und deswegen ist vollkommen klar, dass wir unsere außen- und sicherheitspolitische Positionierung mit Sicherheit nicht verändern und mit Sicherheit nicht in landespolitischen Koalitionsverhandlungen auf dem Altar opfern werden."

"Wer sagt denn, dass es so bleibt?"

"Ich glaube, dass es das Beste wäre, man würde die Linkspartei, also Bodo Ramelow, in das Bündnis hineinnehmen", sagt ZEIT-Autorin Jana Hensel. "Ich glaube nicht, dass man es den Leuten in Thüringen erklären kann, wie ein Mann, der Ministerpräsident ist, der in den persönlichen Umfragewerten weit über allen anderen Kandidaten liegt, nicht Teil dieses Bündnisses werden soll." Das sieht auch Markus Feldenkirchen vom "Spiegel" so, der nicht vom Unvereinbarkeitsbeschluss sprechen will. Er nennt ihn Unvereinbarkeits-Stuss.

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Thorsten Frei jedoch verteidigt ihn. Man habe aus unterschiedlichen, grundsätzlichen Erwägungen beschlossen, weder mit AfD noch mit den Linken zu koalieren. Die Linke wolle zum Beispiel den Sozialismus einführen. Aber Frei macht auch Hoffnungen: Der Beschluss sei von einem Bundesparteitag getroffen worden, er könnte auch von einem Bundesparteitag aufgehoben werden. Doch das sei gar nicht notwendig, so Frei: "Heute steht es 44 zu 44. Wer sagt denn, dass es tatsächlich so bleibt? Wir hatten immer wieder Übertritte von Linken zum BSW beispielsweise."

Weder Frei noch Leye ist ein geplanter Übertritt bekannt, aber es kann ja noch so viel passieren. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Hoffnung, dass die angedachte Minderheitsregierung aus CDU, SPD und BSW erfolgreich sein wird, hat zumindest Markus Feldenkirchen eher nicht. "Meine Befürchtung ist, dass die Wahl lautet: Wird Herr Höcke jetzt Ministerpräsident oder in fünf Jahren, weil sich bei dieser Konstruktion womöglich noch viel mehr polarisieren lässt. Ich hoffe es nicht. Ich hoffe, dass es alle erkannt haben. Aber die Gefahr ist sehr groß."

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