
Viele Parteien beraten über eine Lösung des Kriegs im Gazastreifen. Die Hamas scheint aber nur indirekt beteiligt. Dennoch sieht US-Sicherheitsberater Kirby einen positiven Start. Knackpunkte bleiben die Geiseln in Hamas-Hand und die künftige Kontrolle des Palästinensergebiets.
Vor dem Hintergrund der Furcht vor einer weiteren Eskalation des Nahost-Konflikts sind in Katar die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der dort festgehaltenen israelischen Geiseln wieder aufgenommen worden. Die USA, Frankreich und Großbritannien machten klar, dass diese Gespräche entscheidend für die Sicherheit in der gesamten Region seien. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Kirby, sprach allerdings von einem "vielversprechenden Beginn" der Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha.
Die neue Runde findet nach einem Aufruf der Vermittler Katar, USA und Ägypten statt. An den Gesprächen sollte der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, teilnehmen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigte, dass sein Land die Chefs seines Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, David Barnea und Ronen Bar, nach Doha entsenden werde. Offen ist die Teilnahme der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur nimmt sie wie zuvor nicht direkt an den Verhandlungen teil, soll aber laufend über deren Inhalt informiert werden.
Ein Vertreter der radikalislamischen Palästinenserorganisation, der anonym bleiben wollte, sagte AFP: "Verhandlungen mit den Vermittlern dauern an und haben sich in den vergangenen Stunden sogar intensiviert". Die Hamas wolle, "dass der Biden-Plan umgesetzt wird und nicht nur verhandeln um des Verhandelns willen", sagte er mit Verweis auf einen von US-Präsident Joe Biden Ende Mai vorgestellten Vorschlag für eine Waffenruhe.
Noch 115 Geiseln in Hand der Hamas
Bidens mehrstufiger Plan ist Grundlage für die erneuten Gespräche. Er sieht zunächst eine sechswöchige Waffenruhe vor, die für Verhandlungen über ein dauerhaftes Ende der Kämpfe verlängert werden könnte. Zudem soll sich die israelische Armee aus bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen. Aus Israel entführte Geiseln in der Gewalt der Hamas sollen im Austausch für palästinensische Gefangene freigelassen werden.
Aktuell soll Israel laut Berichten bei einer Waffenruhe die Freilassung von 33 lebenden Geiseln aus der Gewalt der Hamas fordern. Darunter sollen Frauen und Kinder sein sowie Ältere und Kranke, berichtete die Zeitung "Jediot Achronot" unter Berufung auf israelische Beamte, die an den Verhandlungen beteiligt sind.
Die Hamas hat nach israelischer Zählung noch 115 Geiseln in ihrer Gewalt, von denen Israel 41 für tot erklärt hat. Überdies dürften weitere Geiseln, deren Schicksal unbekannt ist, nicht mehr leben. Die "New York Times" hatte vor etwa drei Monaten berichtet, die Hamas habe Unterhändler informiert, dass unter den 33 Geiseln für eine Freilassung in einem ersten Schritt auch Tote seien. Die Hamas und andere Gruppen hatten bei einem Massaker am 7. Oktober 2023 nicht nur fast 1200 Menschen getötet, sondern auch etwa 250 Menschen entführt. Einige von ihnen kamen inzwischen lebend frei.
Behält Israel Kontrolle im Gazastreifen?
US-Sicherheitsberater Kirby zeigt sich mit den bisherigen Verhandlungen zufrieden. Beide Seiten hätten dem Rahmen der Vereinbarung zugestimmt, nun gehe es um die Umsetzung. "Angesichts der Komplexität des Abkommens, rechnen wir nicht damit, heute mit einer Einigung aus den Gesprächen zu gehen", sagte Kirby in Washington. Er gehe davon aus, dass die Gespräche am Freitag fortgesetzt werden.
Strittig ist weiterhin die Frage, wer Gaza etwa nach einem Abzug von Israels Militär kontrollieren wird, darunter auch die wichtige Grenze zum Nachbarland Ägypten. Israels Generalstabschef Herzi Halevi erklärte beim Besuch des sogenannten Philadelphi-Korridors, die israelische Armee könne hier die Kontrolle behalten, auch ohne ständige Präsenz und mit nur punktuellen Vorstößen. Die Hamas schmuggelte in diesem Gebiet nach israelischer Darstellung zuvor Waffen aus Ägypten nach Gaza, was Ägypten bestreitet. Die Hamas fordert für eine Einigung einen kompletten Abzug Israels aus dem Küstengebiet.
Militärisch habe Israel dort inzwischen alles erreicht, was möglich ist - so die Einschätzung hochrangiger US-Regierungsvertreter laut einem Bericht der "New York Times". Israels Militär habe der Hamas schwer zugesetzt und habe wichtige Nachschubwege von Ägypten nach Gaza zerstört. Die Hamas sei stark geschwächt, Israel werde sie aber nie vollständig ausschalten können, so die Einschätzung. "Beide Seiten müssen Kompromisse eingehen", sagte Kirby dem Fernsehsender CNN.
Die Vermittler USA, Ägypten und Katar versuchen seit Monaten, eine Feuerpause zwischen Israel und der Hamas zu erreichen. Biden hatte die Erwartung geäußert, eine Einigung über eine Waffenruhe im Gazastreifen könnte auch den Iran von einem Angriff auf Israel abhalten und so eine weitere Eskalation des Konflikts in der Region verhindern. Auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten zuletzt den Druck auf die Konfliktparteien für eine Verhandlungslösung erhöht.
Lösung könnte Iran von Vergeltung abhalten
Der Iran und die libanesische Hisbollah-Miliz drohen Israel seit den Tötungen von Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran und Hisbollah-Militärchef Fuad Schukr in Beirut Ende Juli mit Vergeltung. Die Hamas und der Iran machen Israel für beide Angriffe verantwortlich. Angesichts der drohenden Eskalation verstärkten die USA, Israels engster Verbündeter, ihre Militärpräsenz in der Region und entsandten weitere Kriegsschiffe und Kampfjets.
Kirby betonte, es sei unklar, ob der internationale Druck und die Verhandlungen den Iran dazu gebracht hätten, seine Position zu überdenken. Die Gefahr eines iranischen Angriffs bestehe aber weiter. "Ein Angriff könnte mit wenig oder gar keiner Vorwarnung erfolgen", möglicherweise in den nächsten Tagen, sagte er. "Darauf müssen wir vorbereitet sein."
Israel ging unterdessen weiter gegen die Hamas im Gazastreifen vor. Bei Angriffen in Rafah im Süden des Gazastreifens wurden nach Angaben der israelischen Armee rund 20 Kämpfer getötet. Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen seien im Gazastreifen mehr als 17.000 Kämpfer der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen getötet worden, teilte die israelische Armee mit. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, stieg die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen auf insgesamt mindestens 40.005.