Das Wiedersehen mit Bosnien-Herzegowina bietet eine verlockende Option: Platz eins in der Nations League würde das neue Selbstverständnis der DFB-Elf untermauern. Der Bundestrainer hat klare Ziele.
Mollig eingepackt in seine schwarze Trainingsjacke nahm sich Julian Nagelmann viel Zeit für einen Plausch mit einem Jungen im Rollstuhl. Auch beim Torwarttraining schaute der Bundestrainer mit dem schwer erkrankten Kind vorbei, um diesem einen Herzenswunsch zu erfüllen. Erst dann richtete Nagelsmann einen intensiven Blick auf seine Spieler. Wer ist fit, wer braucht im anstrengenden Fußball-Herbst eventuell eine kleine Pause? Darum ging es beim Abschlusstraining, das auch der verletzte Stammtorwart Marc-André ter Stegen als Stargast interessiert verfolgte.
Eine genaue Prüfung hatte der DFB-Chefcoach den Club-Trainern von München bis Dortmund versprochen. Wenn der Ball gegen Bosnien-Herzegowina am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Freiburg rollt, hat es sich mit der Kompromissbereitschaft für die Bundesliga-Kollegen für Nagelsmann aber auch wieder erledigt. Wer auf dem Rasen steht, muss liefern.
Nur das entspricht dem Ehrgeiz des Bundestrainers, der einst zugab, nicht einmal im Brettspiel gegen seinen Sohn verlieren zu können. Es geht für Nagelsmann nicht nur um dieses eine letzte Heimspiel im EM-Jahr. Die positive Grundstimmung bei der Fußball-Nationalmannschaft soll mitgenommen werden.
Gruppensieg für Selbstverständnis
Siege in Serie bringen das Selbstverständnis, das titeltauglich macht. So hatte es der 37-Jährige mit den Beispielen Spanien (Europameister) und Argentinien (Weltmeister) formuliert. Ein Sieg gegen Bosnien-Herzegowina um die in der Bundesliga bestens bekannten Topstürmer Edin Dzeko und Ermedin Demirovic garantiert Platz eins nach der Vorrunde der Nations League. "Wir wollen nach dem vorzeitigen Einzug ins Viertelfinale den Gruppensieg perfekt machen", sagte Nagelsmann und ergänzte: "Möglichst schon in Freiburg."
Der Jahresausklang im Breisgau und drei Tage später in Budapest gegen Ungarn ist für den Bundestrainer eine Etappe. Der Zweistufenplan sieht vor: Nations-League-Finale 2025, WM-Triumph 2026. "Der erstmalige Einzug ins Final Four ist für uns im kommenden Jahr ein wichtiges Zwischenziel auf dem Weg zur WM", sagte Nagelsmann. 2025 gibt es dann auch keine Zugeständnisse an Vereinstrainer mehr.
Das Personal folgt dem Bundestrainer, dankbar für die Klarheit, mit der er die Dauer-Tristesse nach dem WM-Desaster in Katar und der folgenden Schlussphase unter Hansi Flick als Bundestrainer beendet hat. "Jeder weiß, was er zu tun hat", formulierte Joshua Kimmich ein einfach klingendes Konzept. Der Kapitän steht wie kein anderer für die Titelsehnsucht. "Wir wollen uns mit den Größten messen. Wir wollen jeden Wettbewerb, an dem wir teilnehmen, gewinnen."
Fans sind wieder happy
Dass dies nicht mehr absurd klingt, ist Nagelsmanns Verdienst. Neun Siege, drei Remis und nur eine Niederlage im EM-Viertelfinale gegen Spanien sind eine beachtliche Jahresbilanz. Die Fans sind wieder happy. Natürlich ist das Europa-Park-Stadion bei der DFB-Pflichtspielpremiere in Freiburg mit knapp 28.000 Zuschauern ausverkauft.
In der mittlerweile als bedeutsam erachteten Nations League ist die Ausgangslage so kommod, dass der Gruppensieg sogar mit einer Niederlage gegen das bislang sieglose Schlusslicht Bosnien-Herzegowina perfekt wäre, wenn die Niederlande und Ungarn parallel remis spielen. Solche Eventualitäten in Betracht zu ziehen, kommt für Nagelsmann selbstredend nicht infrage.
Wie fit ist Wirtz?
Er wird, allen Beteuerungen zum Trotz, natürlich eine bestmögliche Startelf-Formation finden. Jamal Musiala ist nach der Oktober-Zwangspause wieder fit und maximal zauberfähig. Ob sein kongenialer Partner Florian Wirtz dabei ist, schien nach einem Infekt und Trainingspause aber eher fraglich. Gesetzt ist offensiv auch Kai Havertz.
Drumherum müssen sich Kandidaten beweisen. Das gilt für Tim Kleindienst als Stoßstürmer oder die eher auf Tempo und Technik veranlagten Serge Gnabry, Leroy Sané oder Chris Führich. Deniz Undav, Doppeltorschütze beim 2:1 vor fünf Wochen gegen Bosnien-Herzegowina in Zenica fällt wegen seiner Oberschenkelzerrung aus.
Für das Tor ist eine Entscheidung gefallen. Oliver Baumann kann in seiner alten Freiburger Heimat seine Fähigkeiten als Platzhalter für ter Stegen ein zweites Mal demonstrieren. Alexander Nübel sollte im Normalfall am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) in Budapest gegen Ungarn wieder drankommen. Ter Stegen konnte als Trainingsbesucher entspannt mit den Teamärzten schwatzen. An seinem Status rüttelt noch keiner.
Nicht erfüllbar ist der von Nagelsmann beschriebene Running-Gag, dass Kriterien wie Geburtstag oder Herkunft für die Aufstellung maßgeblich sind, im Fall von Nico Schlotterbeck. Der Innenverteidiger fehlt an ehemaliger Freiburger Wirkungsstätte gelbgesperrt. Vorbelastet mit einer Verwarnung gehen neben Wirtz auch Kimmich, Jonathan Tah und Antonio Rüdiger in die Bosnien-Partie. Eine weitere Gelbe Karte und das Länderspieljahr 2024 wäre für die Stammkräfte vorbei. Nagelsmann müsste für das Ungarn-Spiel wieder Kompromisse machen. Als Gruppensieger würden diese leicht fallen.