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Frühförderung in Singapur: Kitas für die Topmanager von morgen



Stand: 22.09.2024 16:19 Uhr

In Singapur wird Bildung großgeschrieben - und das von klein auf. In vorschulischen Bildungseinrichtungen sollen die künftigen Führungskräfte heranwachsen. Das Konzept scheint aufzugehen.

Von Silvia Flier und Jennifer Johnston, ARD-Studio Singapur

Aly hat gerade ihr erstes Café eröffnet. Kekse und Cupcakes hat sie gebacken und ein Heißgetränk erfunden: den Marshmallow-Babyccino, eine Art Kinderkaffee - warmer Milchschaum, garniert mit buntem, geschmolzenem Mäusespeck. Ein Renner, die Geschäfte laufen gut, sagt sie. Aly lebt in Singapur - und ist fünf Jahre alt. Im südostasiatischen Stadtstaat besucht sie den privaten Kindergarten Trehaus. Dessen Konzept: viel Silicon Valley, viel Start-up-Mentalität und Unternehmergeist. Den Schwerpunkt legt der Kindergarten auf "Soft Skills" und die Entwicklung kleiner Persönlichkeiten, mit eigenem Kopf und der Fähigkeit, kritisch zu denken.

"Little CEO" - Karrierespiele im Kindergarten

Aly ist ein "Little Entrepreneur", eine kleine Unternehmerin. An der Wand im Flur hängen die weiteren Programme, die die frühkindliche Bildungseinrichtung anbietet: "Little CEO", "Little Engineer", "Little Philanthropist", "Little Creative" und "Little Chef". Vom Vorstand über den Menschenfreund bis hin zum Koch und Künstler ist alles dabei, was die Gesellschaft von morgen brauchen und vielleicht ein Stückchen besser machen könnte.

Die Kinder sollen lernen, Führung zu übernehmen, im Team zu arbeiten, kreativ zu sein, Neues zu erfinden. Die Mutter von Aly, Marissa Leufke, ist vom Konzept überzeugt: "Hier geht es nicht nur um Bildungserfolge, sondern auch darum, wie Kinder mit ihren Gefühlen umgehen, sich in der Gruppe verhalten oder sich allein beschäftigen können", erklärt sie. "Also alles, worauf es später im Leben ankommt".

Auf dem Weg zum CEO: Bildungsprogramme im Kindergarten Trehaus.

Neben "Soft Skills" wie Resilienz lernen die Kinder auch schon ein bisschen Lesen, Schreiben, Rechnen - und das zweisprachig, auf Englisch und Chinesisch. In anderen Kindergärten sind das wahlweise auch Malaiisch oder Tamil. Englisch, Chinesisch, Malaiisch und Tamil sind die vier Amtssprachen im Vielvölkerstaat Singapur. Daher gehört neben dem ersten Lesen, Schreiben und Rechnen auch Bilingualität standardmäßig zum Singapurer Vorschulprogramm, egal ob es sich um einen staatlichen oder einen privaten Träger handelt.

Betreuung von morgens um sieben bis abends um sieben

Neben privaten Einrichtungen, die wie Trehaus staatlich lizenziert sind, gibt es auch öffentliche Kindergärten. "Zweisprachigkeit ist ein Markenzeichen unseres Bildungssystems. Seit den 1960er-Jahren hat fast jeder, der in Singapur zur Schule ging, zwei Sprachen gelernt - Englisch und seine Muttersprache", sagt Singapurs Regierungschef Lawrence Wong. "Nach Jahrzehnten der Zweisprachigkeitspolitik können die meisten Menschen die Vorteile des Erlernens von zwei Sprachen schätzen und persönlich bestätigen."

Singapur ist klein und arm an Bodenschätzen. Umso wichtiger ist daher die Ressource Bildung - und die beginnt bereits im Babyalter. Um die Bedeutung frühkindlicher Bildung und Betreuung stärker anzuerkennen, hat die Regierung die Zahl der ganztägigen Angebote in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, auf über 200.000 Plätze, wie die für den vorschulischen Bereich zuständige Behörde ECDA (Early Childhood Development Agency) erklärt. Ganztägig heißt: von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, und das mitunter schon ab einem Alter von zwei Monaten. So sollen beide Elternteile schnell wieder voll arbeiten können.

Pisa-Primus Singapur

Die Investition in Bildung scheint sich auszuzahlen. Die Erfolge bei der jüngsten OECD-Pisa-Studie geben der Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole Recht. Mathematik, Lesekompetenz, Naturwissenschaften - Singapur liegt überall an der Spitze. Nicht um stupides Auswendiglernen ging es dabei, sondern um den Transfer von Gelerntem und um Problemlösungen.

Regierungschef Wong ist selbst ein wenig überrascht von den Ergebnissen: "Wir hatten nie den Ruf, besonders kreativ zu sein. Aber wir sind es. Wir sollten stolz auf unsere Schüler und Lehrer sein", sagte er jüngst in seiner Rede an die Nation im Hinblick auf das gute Abschneiden. Wong war zuvor Bildungsminister, ist selbst Harvard-Absolvent, seine Mutter Grundschullehrerin. Bildung ist bei ihm Chefsache.

Familien zahlen viel für private Nachhilfe

Doch nicht nur Schulen und Vorschulen sollen Singapurer Schülerinnen und Schüler auf Top-Niveau trimmen. Flankiert wird die (vor-)schulische Bildung durch den sogenannten "Enrichment"- oder "Tuition"-Sektor. Darunter versteht der Singapurer außerschulischen Extra-Unterricht, um die Kinder zusätzlich zu fördern und auf Examen vorzubereiten. Ein Milliardenmarkt: Umgerechnet eine Milliarde Euro gaben Singapurer Familien laut dem Haushaltsbericht 2017/2018 der Singapurer Statistikbehörde für diese privaten Nachhilfestunden aus. Durchschnittlich sind das monatlich rund 80 Euro pro Haushalt.

Anders als in Deutschland nutzen nicht nur Kinder mit speziellem Bedarf diese außerschulischen, ergänzenden Lerneinheiten. Rund 70 Prozent aller Kinder sind es im südostasiatischen Stadtstaat. Obwohl dieser Unterricht nicht verpflichtend ist, empfinden viele Singapurerinnen und Singapurer diese "Büffel-Booster" als notwendig, um in der wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft mithalten zu können. Von Chinesisch über Programmieren bis hin zum Training der rechten Gehirnhälfte findet sich fast alles im Programm.

Der Preis: Angststörungen und depressive Symptome

Doch das alles hat offenbar seinen Preis: Laut Pisa-Studie beklagten Singapurer Schüler die fehlende Unterstützung durch ihr Elternhaus. Darüber hinaus machten sie nach der Schule weniger Sport als der OECD-Durchschnitt. Das Auslagern des Lernens an externe Dienstleister und das Pauken bis spätabends am Schreibtisch hinterlassen Spuren. Auch mentale, wie Professor John Wong von der Singapurer Universität NUS in einer Studie herausgefunden hat. Einer von zehn Jugendlichen in Singapur leidet an einer psychischen Störung.

"41 Prozent der Befragten haben Angststörungen, 15 Prozent depressive Symptome", sagt Professor Wong. Und er betont die wichtige Rolle, die der vorschulische Bereich für die mentale Gesundheit spielt: "Sie legt den Grundstein für die Entwicklung eines Kindes." Aber es gehe dabei nicht darum, die Rolle der Eltern und der Familie zu ersetzen, "was einige von uns Eltern tatsächlich gerne tun".

Trehaus will das von Anfang an besser machen. Hier können Eltern aktiv am Kindergartenleben ihrer Kleinen teilhaben und im integrierten "Coworking Space" arbeiten. Die fünfjährige Aly rennt von ihrer Mutter zu ihren Freunden, will spielen. Wie wohl die meisten Fünfjährigen.

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