Dass die Ampel um SPD, FDP und Grüne um den Haushalt streitet ist mittlerweile nichts Neues mehr. Vor allem nicht, wenn man weiß, dass es vor Jahrzehnten schon mal sehr ähnlich aussah.
Ludwig Erhard ist den Deutschen als Begründer der sozialen Marktwirtschaft in guter, als Bundeskanzler in eher schwacher Erinnerung. Erhard folgte 1963 Konrad Adenauer, was einfacher klingt, als es war, weil Adenauer ihn gern als Kanzler verhindert hätte. Wer etwas Grundsätzliches lernen will über politische Mechanismen, Macht und Härte, dem sei das Buch von Daniel Koerfer über diese Fehde empfohlen.
"Kampf ums Kanzleramt" enthält eine meiner politischen Lieblingsanekdoten. Sie handelt von der Beschwerde eines CDU-Abgeordneten an die Adresse Adenauers, die Unionsfraktion wolle nicht wie Stimmvieh behandelt werden und zu den Entscheidungen des Kanzlers bloß noch Ja und Amen sagen. Worauf Adenauer dem Abgeordneten entgegenkam: "Es genügt, wenn Sie Ja sagen."
Doch zurück zu Ludwig Erhard. Obwohl er 1965 für CDU und CSU die Bundestagswahl mit einem Ergebnis (47,6 Prozent) gewann, das Union und SPD heute sogar gemeinsam nur mit Ach und Krach erzielen würden, regierte Erhard insgesamt nur drei Jahre. 1966 verließ ihn sein Koalitionspartner – und Sie werden gleich verstehen, warum das auch mit Blick auf die Gegenwart eine interessante Geschichte ist.
Dieser Tage ist nämlich ein Buch erschienen, das man mit etwas gutem Willen als Erhards Memoiren bezeichnen kann. Es enthält ein Manuskript, das der Ex-Kanzler einige Jahre nach seinem Abgang bei seinem Vertrauten Hans "Johnny" Klein in Auftrag gab, an den sich mancher noch als späteren Regierungssprecher von Helmut Kohl erinnert. Klein schrieb in der Ich-form, also im Namen Erhards, über dessen Kanzlerzeit. Von der historischen Forschung wurde das Manuskript lange übersehen, nun hat es der Historiker Ulrich Schlie entdeckt und eingeordnet. Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat es als Buch herausgegeben.
Die FDP ist der Problempartner in der Koalition – seit jeher
Erhard und die Union regierten seinerzeit mit den Liberalen, so wie heute die Kanzlerpartei SPD und die Grünen es tun. Die Geschehnisse liegen fast 60 Jahre zurück, aber manches liest sich wie Berichte aus der aktuellen Koalition. So heißt es quasi aus der Feder Erhards: "Ein Dilemma, in das über kurz oder lang jeder Koalitionspartner der FDP gerät, besteht in dem gelegentlichen Versuch der Minderheit, ihre Meinung der Mehrheit aufzuzwingen." Das Wesen einer Koalition sei indes der Kompromiss, "der allerdings auch den Mehrheitsgewichten in vernünftiger Weise Rechnung" tragen müsse.
Das Buch enthält einige noch deutlich ruppigere Aussagen über die FDP, etwa den Vorwurf, sie richte sich stets "nach tagesaktueller Opportunität". Bekannt kommt einem auch die Klage vor, liberale Spitzenpolitiker fabulierten offen über ihre Präferenz für andere Koalitionen, so wie es jüngst der heutige FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai tat, der lieber mit der Union regieren will.
1142 Tage hielt Ludwig Erhard als Kanzler durch, dann zerbrach die Koalition an einem Streit über, na klar, den Haushalt. Die Union wollte, um ein Loch im Etat zu stopfen, Steuern erhöhen, was die Liberalen strikt ablehnten. Der Riss war nicht mehr zu kitten, es folgte die erste Große Koalition.
Olaf Scholz steckt gerade mittendrin, einen Haushalt durchzubringen. Den Entwurf gibt es jetzt, der muss noch durch den Bundestag. Wenn das klappt, hat Scholz gute Chancen, es immerhin länger mit der FDP ausgehalten zu haben als Ludwig Erhard. Am 23. Januar 2025 wäre es so weit.