Olaf Scholz präsentierte sich im TV-Duell mit Friedrich Merz als rationaler Kanzler. Im Gespräch danach nicht mehr. Warum er jetzt die Niederlande als Vorbild sieht.
Es war gegen 23 Uhr am Sonntag. Nach dem TV-Duell mit Friedrich Merz stand Olaf Scholz im Foyer des Fernsehstudios, trank ein alkoholfreies Bier und unterhielt sich mit Journalisten. In erster Linie redete er weiter mit den Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner, die offenbar auch in 90 Minuten Sendung nicht alle ihre Fragen an den Kanzler untergebracht hatten. Das lag zum einen daran, dass sie auch Merz ein paar Fragen stellen mussten. Zum anderen hatten Illner und Maischberger fast eine halbe Stunde lang das Thema Migration ausgewalzt. Da blieb anderes ungefragt liegen.
Nach der Sendung wollte Maischberger also von Scholz wissen, ob er wirklich glaube, den Rückstand auf Merz und die Union noch aufholen zu können. Der Kanzler antwortete mit einem knappen "Ja". Ich stand hinter Sandra Maischberger, aber die Ungläubigkeit, ja die Ratlosigkeit, die in ihrem Antlitz abzulesen gewesen sein muss, teilte sich mir indirekt durch die kurze Unterbrechung ihres Fragedrangs mit, nicht sichtbar also, eher metaphysisch.
Olaf Scholz gibt es an diesem Abend in zweifacher Ausführung
Nun ist diese Antwort von Olaf Scholz gar nichts Neues. Er bewegt sich an dieser Stelle seit Wochen so wenig wie die Umfragen. Ein sozialdemokratischer Gesprächspartner fand dafür jüngst das schöne Bild, der Dampfer SPD stecke im Packeis der politischen Stimmung fest. Trotzdem hatte diese demonstrative Unbeirrbarkeit von Scholz an diesem Abend eine besondere Dimension, weil sie durch eine Art Zweiteilung des Kanzlers entstand.
Im TV-Duell hatte man einen Scholz erlebt, der die Bilanz seiner Regierung zog, erstens, zweitens, drittens; einen Scholz, der auf Fakten beharrte und mit Zahlenargumentierte, der Friedrich Merz vorwarf, er verweigere sich Realitäten, kurz: einen rationalen Kanzler.
Nach dem Duell, als es um seine Chancen auf den Wahlsieg ging, erlebte man einen Scholz, der die Realitäten selbst nicht zur Kenntnis nehmen wollte, einen unbeirrbaren, kurz: einen irrationalen Kanzler. Mir geht es wie Sandra Maischberger: Wie kann er das ernst meinen?
Bitte mehr Schnitzel wagen! 17:26
Martin Schulz, 2017 Kanzlerkandidat der SPD, hat mir einmal von dem Tunnel erzählt, in den man sich im Wahlkampf begibt. "Du hoffst", sagte Schulz. "Jeden Tag neu." Gerade in der letzten Phase eines Wahlkampfs seien die Kundgebungen noch einmal gut besucht. "Du stehst da, siehst die Leute, die Begeisterung." Aber da stünden überzeugte Anhänger, selten die Unentschlossenen. Dann komme die nächste Umfrage, und wieder gebe es keine Bewegung in den Zahlen. Oder zu wenig. "Und du denkst, du bist bekloppt. Wie kann denn das sein?"
Scholz scheint ein bisschen in diesem Tunnel gefangen zu sein. Der Kanzler verweist inzwischen auf die Niederlande. Geert Wilders habe mit seiner rechten Partei 2023 die Wahl in den letzten Tagen komplett gedreht. Das stimmt. Wilders PVV wurde stärkste Kraft und legte noch im Vergleich zur letzten Umfrage einen Tag vor der Wahl von etwa 28 auf tatsächlich 37 Sitze zu.
Dennoch befremdet mich dieser Hinweis des Kanzlers. Ich fürchte, nur der irrationale Olaf Scholz zieht ernsthaft einen Rechtspopulisten als Kronzeugen für seine Zuversicht heran, der mit simplen Botschaften gegen eine abgewirtschaftete Regierung punkten konnte, wo doch Scholz selbst der Kanzler einer gescheiterten Regierung ist und sich der Rechtspopulisten erwehren muss. Nach vielen Jahren, in denen ich ihn beobachtet habe, bin ich mir sicher: Der rationale Olaf Scholz weiß es besser.