3 months ago

Freie Software in der Schule: Einführung in Linux für eine Schulklasse



Der Kolumnist nutzte ausserordentliche Projekttage dazu, einer Klasse mal eine Einführung in Linux zu bieten. Wie es ihm und der Klasse dabei erging, lest ihr hier.

An unserer Schule, einem Gymnasium im Kanton Zürich, fanden vor den Sommerferien Sonderwochen statt, in welchem der normale Unterricht zu Gunsten von Projektunterricht ersetzt wurde. Dabei mussten die Lehrpersonen der Schule Projektvorschläge einreichen, die dann von einem Komitee begutachtet und abgesegnet wurden. Projekte sollten in der Regel eine Schülergruppe an einem einzelnen Tag für mindestens fünf Stunden beschäftigen. Ich habe dies als Gelegenheit wahrgenommen, mal einer Schülergruppe eine Einführung in Linux zu bieten. Darüber möchte ich in dieser Kolumne berichten.

Im Voraus

Da ich selber im Unterricht Linux einsetze, kommen meine eigenen Schüler:innen automatisch in Kontakt mit Linux. Natürlich wird das in diesen Klassen auch früher oder später zum Thema. Dabei zeigt sich dann, welche Vorkenntnisse Schüler:innen zu Linux mitbringen. Interessanterweise unterscheiden sich die Vorkenntnisse jeweils stark von Klasse zu Klasse und hängen im Obergymnasium stark davon ab, welches Profil die Schüler:innen gewählt haben. Während in Wirtschaftsklassen, in welchen üblicherweise Apple Produkte dominant sind, das Wort "Linux" für die meisten gänzlich neu ist und keine Assoziationen auslöst, wissen in Technik affinen Profilen wie dem PAM-Profil (Physik und Angewandte Mathematik) die meisten durchaus, was Linux ist und einzelne haben es vielleicht sogar schon mal auf ihrem Rechner ausprobiert. Bei der Projekteingabe bin ich davon ausgegangen, dass sich Schüler:innen frei für die Projekte eintragen können, die sie interessieren. So wurde es schliesslich durch das Komitee in Aussicht gestellt. Aus Gründen der Einfachheit wurde diese Idee jedoch nach Durchsicht der Projektvorschläge verworfen und durch eine Zuteilung von passenden Klassen an die Projekte ersetzt. Für die "Einführung in Linux" erhielt ich eine mir fremde Klasse mit Bio-Chemie Profil zugeteilt. Ich konnte daher damit rechnen, dass für einige Linux wenigstens ein bekannter Begriff ist. Vor Beginn der Sonderwochen habe ich mit der Klasse die Eckdaten abgemacht und die Schüler:innen gebeten, einen Laptop mitzubringen oder mir zu melden, wenn sie keinen Laptop mitbringen können (was nur auf einen Schüler zutraf). Geplant war nämlich insbesondere das Experimentieren mit Hilfe eine Live-USB Sticks, auf welchem Linux (konkret Ubuntu 24.04) läuft. In der Vorbereitung besorgte ich ein gutes Dutzend USB-Sticks und bespielte sie mit Hilfe von Gnome Impression mit der Ubuntu 24.04 iso Datei. Dabei setzte ich auf die SanDisk UltraFit USB 3.1 (mit 16 GB Speicherkapazität), welche sehr kompakt sind und in der Massenanschaffung weniger als 7 CHF pro Stick kosteten. Das Bespielen dauerte pro Stick ca. 10 Minuten, liess sich aber im Hintergrund ausführen und mit wenigen Klicks erledigen.

Einstieg

Die Einführung startete ich mit einigen Einstiegsfragen. Eine grobe Vorstellung davon, was Linux ist (ein Betriebssystem) hatten alle. Es wurde offenbar schon im Informatik-Unterricht kurz angesprochen. Einige wussten auch, dass es ganz verschiedene Linux-Systeme (Distributionen) gibt. Praktische Erfahrung mit Linux hatte vor allem ein Schüler, der sogar einen eigenen Live-USB Stick mit Linux drauf mitbrachte. Wonach "Linux" benannt ist (Linus Torvalds + Unix), war hingegen allen neu. Natürlich habe ich dabei auch darauf verwiesen, dass "Linux" auch unter dem Namen "Gnu/Linux" bekannt ist und dass Linux nur den Kern des Betriebssystems bildet. Interessant wurde es bei meiner Schätzfrage nach dem Marktanteil von Linux auf Desktop-Computern, Mobiltelefonen, Servern und Supercomputern. Die Schüler:innen zeigten sich beeindruckt davon, dass auf allen Top 500 Supercomputern Linux läuft. Beim Marktanteil auf Mobiltelefonen wies ich natürlich auch darauf hin, dass Android (Marktanteil ca. 70%) auf Linux basiert, jedoch von Google derart weiterentwickelt worden ist, dass es nur noch wenig an Linux erinnert. Dabei konnte ich auch mein OnePlus 6 Mobiltelefon präsentieren, auf welchem ein echtes Linux (PostmarketOS mit Gnome Mobile) läuft, welches auch optisch direkt mit der Desktopumgebung (Gnome) zusammenpasste, worauf ich die Präsentation zeigte. 

Vor- und Nachteile

Im Folgenden präsentierte ich Vor- und Nachteile von Linux. Nebst der Konfigurierbarkeit und der Benutzerkontrolle, die für die Schüler:innen gerade auch im Zusammenhang mit der Statistik bei den Supercomputern viel Sinn machte, sprach ich auch praktische Vorteile an, etwa dass ich mein Linux-System updaten kann, wann es mir passt und dies bequem im Hintergrund läuft, dass es kaum Werbung und Bloatware gibt und Viren kaum ein Thema seien. Der Begriff "freie Software" wurde ebenfalls erörtert. Der Fokus lag jedoch auf Vorteilen, welche in der Erfahrungswelt der Schüler:innen direkt von handfester Bedeutung waren. Auch die mächtige Kommandozeile habe ich angesprochen und in Aussicht gestellt, dass darauf noch genauer eingegangen wird. Auf der Nachteilseite bekümmerte die geringe Verbreitung, wodurch es weniger Leute im Umfeld gibt, die bei Problemen weiterhelfen können. Etwas weniger fiel für die Schüler:innen ins Gewicht, dass nicht alle Software-Produkte und Games auf Linux laufen. Ihre Ansprüche an spezialisierte Software bewegen sich in einem Rahmen, dass auch Alternativ-Produkte den Zweck erfüllen würden. Bei den Nachteilen habe ich auch die Fraktionierung innerhalb der Linux-Gemeinschaft angesprochen und dass Linux selten vorinstalliert beim Kauf von Computern anzufinden ist. Der Schüler, welcher mit Linux USB-Stick gekommen war, konnte auch bestätigen, dass man als Linux-Benutzer schnell als Nerd gelte, welcher dann die Computer-Probleme von Windows-Benutzer:innen lösen soll. Implizit geht damit jedoch der Vorteil einher, dass man als Linux-Benutzer:in sehr viel über Computer lernen kann.

Distributionen, Desktopumgebungen und Betriebsarten

Anschliessend habe ich über Distributionen und Desktopumgebungen gesprochen und dabei aufgezeigt, wie verschieden Linux optisch daherkommen kann. Ausserdem habe ich verschiedene Möglichkeiten genannt, Linux auf dem eigenen Gerät zu betreiben: als reguläre Installation, mittels USB-Stick, als Dual-Boot System, per virtueller Maschine (VM) oder als Untersystem von Windows (via WSL 2). Dabei konnte ich auch zeigen, wie einfach es ist, mittels "Gnome Boxen" eine andere Distribution in der VM auszuführen und zu testen. Im Anschluss war das Austesten via Live-USB Stick geplant, so dass ich auch noch die Wahl der Distribution begründete und ein paar Hintergrundinformationen zu Ubuntu und Canonical gab.

Praktischer Teil

Wie im Vorfeld verlangt brachten die Schüler:innen einen eigenen Laptop mit. Ich verteilte die vorbereiteten Live USB-Sticks mit Ubuntu 24.04 drauf und gab einige allgemeine Hinweise, wie sich das Gerät ab USB-Stick starten lassen sollte. Nicht unerwartet bei der Fülle an verschiedenen Geräten kam es dabei zu etlichen Schwierigkeiten, was etwa daran lag, dass man im richtigen Moment die zum Gerät passende Tastenkombination drücken muss, um das Start-Medium auszuwählen. Bei einigen Geräten musste auch zuerst im Bios "Secure Boot" ausgeschaltet werden, damit dies überhaupt klappte. Die Schüler:innen wussten zum Teil nicht Bescheid, was genau für ein Laptop-Modell sie mitbrachten und diese Information war nicht immer so einfach zugänglich, wie man sich das wünschen konnte. Hier wäre es sicher hilfreich gewesen, wenn an der Einführung mindestens eine weitere Linux-kundige Lehrperson beteiligt gewesen wäre. Das war mir zwar im Voraus bewusst, aber das hätte ich bereits ganz am Anfang in der Planung aktiv angehen müssen. Danach war es zu spät zum Umplanen.

So lief letztlich nur auf ca. der Hälfte der Geräte in nützlicher Zeit Linux vom Stick und Schüler:innen mussten sich zusammen an ein Gerät setzen, bei welchem es funktionierte. Mehr Glück hatten wir mit dem Netzwerk-Zugang, der auf Anhieb funktionierte. Ich präsentierte verschiedene Arten der Software-Installation (Software-Center, Paket-Manager, Kommandozeile) und erklärte die verschiedenen Paket-Formate (insbesondere Debian Pakete, Snap und Flatpak Pakete) und führte ausgewählte Apps vor, welche entweder bereits installiert waren oder die Schüler:innen installieren konnten. Ausserdem gab ich Hinweise zur Struktur des Dateiverzeichnisses. Danach liess ich die Schüler:innen frei ausprobieren und sich mit dem System und den verschiedenen Anwendungen bekannt machen. Nach einer Weile stellte ich den Schüler:innen den Auftrag auszukundschaften, für welche Anwendungen, die sie sonst im Alltag benutzen, brauchbare Alternativen zu finden sind und was eventuell fehlen würde. Es stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen wenige Anwendungen im Alltag benutzten, hauptsächlich den Web-Browser, eine Office-Suite, MS Teams und OneNote, sowie je nachdem eine Programmier-Umgebung. Ich bat die Schüler:innen auch ihre Hardware auszutesten, also insbesondere auch Touchscreen, Stift und Kamera, falls vorhanden. Dabei zeigten sich an einem Gerät Probleme mit dem Stift, der über Bluetooth verbunden werden sollte. Er tauchte in den Bluetooth Einstellungen nicht auf. Während Einzelklicks möglich waren, wurden so Bewegungen wie zum Schreiben oder Malen nicht korrekt interpretiert. Ob dieses Problem nur mit dem Live-USB Stick auftauchte oder auch bei einer regulären Installation auftreten würde, konnte in dieser Zeit nicht geklärt werden.

Die Kommandozeile

Ein weiterer Teil der Einführung war der Kommandozeile gewidmet. Diese kam zuvor nur kurz bei der Software-Installation zum Vorschein, bei welcher ich auch das Updaten via Kommandozeile vorführte. Nun zeigte ich einige der wichtigsten Befehle im Zusammenhang mit der Anzeige und Manipulation der Verzeichnisstruktur und einzelnen Dateien, sowie der Suche nach Dateien. An einigen Beispielen führte ich auch Kommandozeilen-Optionen von graphischen Anwendungen vor, etwa wie sich Dateien von einem Format in ein anderes konvertieren lassen und wie sich dies etwa auf alle Dateien eines Formats in einem bestimmten Ordner anwenden lässt. Nebst programmiertechnischen Elementen wie Schleifen kamen auch das Verknüpfen von Befehlen via Pipes, das Beschreiben von Dateien und die Verwendung von Kommando-Ausgaben zur Sprache. Natürlich durfte auch der Zugriff auf die Bash-History mit Hilfe der Pfeiltasten und der Tastenkombination Ctrl+R nicht fehlen. Die Schüler:innen hatten danach Zeit, selber mit den verschiedenen Beispielen herumzuspielen.

Abschluss

Zum Schluss gab ich eine Liste mit weiterführenden Informationen, darunter Webseiten wie gnulinux.ch sowie auch Youtube-Kanäle, die sich an Einsteiger:innen richten. Die Schüler:innen erhielten Zeit, um sich einiges davon anzuschauen. Bei der abschliessenden Umfrage zeigte sich, dass die Schüler:innen durchaus Interesse an Linux fanden. Ein Schüler meinte, es sei beeindruckend, wie viel mehr sich mit Hilfe von Linux (und gerade der Kommandozeile) anstellen lässt. Auch wenn jetzt keine(r) gleich auf Linux umsteigen wollte, waren sie doch froh, das mal kennengelernt zu haben und sie zeigten sich zuversichtlich, dass sie später wieder in Berührung mit Linux kommen würden, z.B. im Studium. Auch für mich war es eine wertvolle Erfahrung. Einiges würde ich in Zukunft besser planen und ein anderes Mal würde ich nach Möglichkeit sicherstellen, dass sich wenigstens eine weitere Linux-kundige Lehrperson an der Einführung beteiligen würde. Ansonsten kann ich jeder Gymnasial-Lehrperson, die sich für Linux begeistert, nur empfehlen, bei Gelegenheit (Projekttag, der frei gestaltet werden kann) mal eine Einführung in Linux durchzuführen. Der Informationsbedarf ist definitiv vorhanden und mit Interesse kann gerechnet werden.

Das Bitlocker-Problem

Ein unschönes Problem ist am Schluss noch bei zwei Schüler:innen aufgetaucht, mit dem ich leider in der Vorbereitung nicht gerechnet hatte. Nämlich forderte Bitlocker (Microsofts Festplatten-Verschlüsselungsprogramm) nach der Rückgabe des USB-Sticks beim Neustarten zur Eingabe des Widerherstellungs-Schlüssels auf. Natürlich kannten die betroffenen Schüler:innen diesen Schlüssel nicht und mussten ihn bei ihren Eltern abfragen, die das Gerät eingerichtet hatten. In wenigstens einem Fall genügte aber bereits das Zurücksetzen der BIOS-Einstellungen, damit Bitlocker Ruhe gab. Es wäre eventuell kluger gewesen, Bitlocker vor dem Einsetzen des Live USB-Sticks auszuschalten. Wer hierzu eine fundierte Meinung hat, möge sie doch über die Kommentarfunktion bekanntgeben. Auch sonst sind Kommentare und Vorschläge jeglicher Art sehr willkommen.


GNU/Linux.ch ist ein Community-Projekt. Bei uns kannst du nicht nur mitlesen, sondern auch selbst aktiv werden. Wir freuen uns, wenn du mit uns über die Artikel in unseren Chat-Gruppen oder im Fediverse diskutierst. Auch du selbst kannst Autor werden. Reiche uns deinen Artikelvorschlag über das Formular auf unserer Webseite ein.
Gesamten Artikel lesen

© Varient 2024. All rights are reserved