Wie wirkt sich die Ernährung auf den Körper aus? Eineiige Zwillinge haben den Selbsttest gemacht. Die Unterschiede waren nicht nur in Fett messbar.
Mit grauen Gesichtern vor grauen Bürowänden sitzen, täglich die gleiche Monotonie? Darüber können die Turner-Brüder nur müde lachen. Die eineiigen Zwillinge aus Großbritannien sind das fleischgewordene Draufgängertum. Sie haben ihre Leben dem Abenteuer verschrieben - und der Wissenschaft. Die Brüder machten sich mit Uralt-Ausrüstung auf, die grönländische Eiskappe zu überqueren, sind mehr als 4000 Kilometer über den Atlantischen Ozean gerudert und brachen auf ihren Expeditionen zu den entlegensten Winkeln der Erde Weltrekorde. Nun wagten sich Hugo und Ross Turner auf neues Terrain. Im Selbsttest wollten sie herausfinden, welche Auswirkungen die Ernährung auf den Körper und vor allem auf die Fitness hat. Der eine ernährte sich dafür drei Monate lang vegan, der andere spachtelte weiterhin ordentlich Fleisch.
Vegan ist im Trend. Auch immer mehr Sportler schwören auf die fleischlose Ernährung. Andere verteufeln diese als Humbug. Von der Debatte ließen sich auch die Turner-Brüder heiß machen. Da sie als eineiige Zwillinge genetisch identisch sind, eignen sie sich optimal für solche Vergleiche. Sie holten sich Wissenschaftler des King's College ins Boot und gingen das Experiment im Januar 2020 an. Drei Monate lang hielten sie sich an die Diät und nahmen die gleiche Anzahl an Kalorien zu sich. Dafür nutzten sie einen Lieferdienst. Parallel dazu absolvierten sie ein Fitnessprogramm, das Ross Turner, der selbst Personal Trainer ist, ausgearbeitet hatte. Am Ende des zwölfwöchigen Versuchs folgte die Auswertung. Sie kam mit einigen Überraschungen.PAID STERN 2020_37 Fleischlos aber deftig 20.30
Mehr Energie, aber keine Libido
Bevor die Zwillinge ihre Ernährung umstellten, ernährten sie sich recht eintönig. Zum Frühstück gab es Toast oder Haferbrei, mittags ein Sandwich und zum Abend Pasta oder Huhn mit Gemüse. Der neue Speiseplan brachte Abwechslung. Ross, der weiterhin Fleisch aß, hatte in dieser Zeit unter anderem mehr Fisch und rotes Fleisch auf dem Teller als sonst. Hugo stellte komplett auf pflanzliche Speisen um, tauschte tierische Produkte gegen Tofu, Jackfruit, Tempeh. "Bei einer veganen Diät muss man fast mit Vielfalt überkompensieren, also habe ich Lebensmittel gegessen, an die ich wirklich nicht gewöhnt war", sagte er dem "Insider". Nach drei Monaten hatte Ross 2,8 Kilogramm mehr Fett auf den Rippen sowie 4,8 Kilogramm Muskelmasse zugelegt. Hugo, der sich in dieser Zeit ausschließlich pflanzlich ernährte, nahm ein Kilogramm Fett ab und 1,2 Kilogramm an Muskelmasse zu.
Die veganen Wochen sorgten bei Hugo dafür, dass sein Cholesterinspiegel sank, sich gleichzeitig aber sein Energielevel erhöhte. Seine Konzentration bei den Fitnessübungen sei besser gewesen. Die Brüder trainierten fünf-, sechsmal in der Woche. Kein einziges Mal habe er sich schlapp gefühlt. Auch die Nachmittagstiefs seien verschwunden. Und noch etwas anderes verabschiedete sich in dieser Zeit: seine Libido. "Ich habe sie einfach verloren - ich weiß wirklich nicht, was passiert ist", erzählte er dem Blatt, fügte aber hinzu, dass dies nichts sei, was jedem, der sich vegan ernähre, notwendigerweise widerfahren müsse. Und auch in seinem Darm habe sich etwas getan. Die Brüder reichten vor und nach dem Experiment Stuhlproben ein, die von einer Forschungsstiftung analysiert wurden. Demnach habe sich seine Darmflora verbessert, sei möglicherweise widerstandsfähiger gegen manche chronischen Krankheiten geworden.
Kurze Versuchsdauer
Ross, der weiterhin Fleisch zu sich nahm, erlebte weniger drastische Veränderungen. Sein Cholesterinspiegel blieb beständig gleich. "Ich war das Gegenteil. Ich war um 10 oder 11 Uhr sehr hungrig. Ich hatte diese großen Energieschübe und dann bin ich abgestürzt", sagte er "Men's Health". Und: Während sein Bruder an Gewicht verlor, nahm er zu. Außerdem habe er Kohlenhydrate sehr vermisst. Doch sobald er welche zu sich genommen habe, habe sein Körper reagiert. "Ich fühlte mich aufgebläht - sofort", berichtete er dem Blatt.
Reichen drei Monate für einen solchen Versuch? Eher nicht. Für aussagekräftige Ergebnisse sei die Dauer des Experiments zu kurz gewesen. Sollten sie einen ähnlichen Selbsttest noch einmal wagen, würden sie ihn auf einen längeren Zeitraum bis zu einem Jahr ansetze, sagten sie. Zudem wurden während des Tests keine Bluttests vorgenommen, auch das würden sie das nächste Mal ändern. Dann könnte beispielsweise auch der Testosteronspiegel im Auge behalten werden und dies Aufschluss darüber bringen, warum Hugos Libido nicht mehr so arbeitete wie zuvor.
Das Fazit nach dem Experiment fällt salomonisch aus. "Ich denke nicht, dass die eine Ernährungsweise die andere während des Versuchs in den Schatten gestellt hat“, so Ross Turner zu " Insider". Dennoch hat der Versuch zu einem Umdenken der Brüder geführt. In Zukunft wollen sie beide Ernährungsweisen vereinen, mehr vegane Produkte in ihren Speiseplan integrieren und weniger, dafür hochwertigeres Fleisch essen. "Wir wollen das Beste aus beiden Welten."
Quellen: Insider, Men's Health, The Turner Twins
Hinweis: Dieser Text wurde zum ersten Mal im Juli 2021 publiziert.