Mit Jörg Kukies setzt Kanzler Scholz einen seiner engsten Vertrauten an die Spitze des Finanzressorts. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker ist zwar ausgewiesener Experte. Aber als politischer Quereinsteiger auch umstritten. Genau deshalb ist er für Scholz der Mann der Stunde.
Lange suchen musste Bundeskanzler Olaf Scholz nicht bei der Nachbesetzung des von ihm geschassten Finanzministers Christian Lindner. Nur zwölf Stunden später steht fest: Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und einer der engsten Vertrauten des Kanzlers, wird Nachfolger des FDP-Chefs.
Der promovierte Finanzwissenschaftler, der seine Karriere bei der US-Investmentbank Goldman Sachs begann, galt lange als umstrittener Quereinsteiger in die Politik. Nach seiner Promotion an der renommierten University of Chicago und seinem Einstieg bei Goldman im Jahr 2001 arbeitete er sich schnell hoch. 2014 stieg er zum Co-Chef von Goldman Sachs in Deutschland auf. Dort blieb er, bis er 2018 in die deutsche Politik wechselte - und auf viel Geld verzichtete. Kukies hat stets betont, nicht des Geldes wegen, sondern aus Lust an der Sache die Seiten gewechselt zu haben.
Bereits während seiner Zeit bei Goldman war Kukies an einigen der größten Finanzprojekte beteiligt, die die Welt je gesehen hat: Er spielte eine Schlüsselrolle bei der Beratung der Bundesregierung während der Finanzkrise 2008 und war maßgeblich an der Entwicklung der Rettungspläne für angeschlagene Banken beteiligt.
2018 holte ihn der damalige Finanzminister Scholz in die Merkel-Regierung. "Ein echter Paukenschlag", schrieb damals das "Handelsblatt". SPD-Mann Kukies wurde Staatssekretär und war zuständig für Finanzmarktpolitik und europäische Finanzmarktintegration.
Karriere aller Kritik zum Trotz
Unter Scholz begleitete Kukies weiterhin alle wichtigen Kriseninterventionen, die folgten. Er war in der Corona-Pandemie an der Ausgestaltung der Rettungsschirme für die deutsche Wirtschaft beteiligt und vertrat die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht, als die Richter das umstrittene Urteil zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank fällten, indem sie es in Teilen für verfassungswidrig erklärten. Aus seinem Ressort stammt der Plan, dass sich die Europäische Union in großem Stil verschulden und diese Mittel als Zuschüsse an die Mitgliedstaaten weitergeben kann.
Zum Problem wurde der Fall Wirecard: Nach der spektakulären Insolvenz des Zahlungsdienstleisters 2020 wurde bekannt, dass Wirecard-Chef Markus Braun Kukies im November 2019 im Finanzministerium getroffen hatte. Es ging um die damals schon vorgebrachten Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard. Die FDP forderte den Rücktritt von Kukies, ihm fehle der nötige Abstand zu dem Skandalkonzern. Kukies und Scholz legten als Folge des Wirecard-Skandals eine grundlegende Reform der Finanzmarktaufsicht Bafin vor.
Nach dreieinhalb Jahren als Finanz-Staatssekretär wechselte Kukies an der Seite von Scholz Ende 2021 als Wirtschaftsberater ins Kanzleramt. Auch wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Scholz und Kukies als eng gilt - er wird oft als rechte Hand von Scholz bezeichnet - heißt das nicht, dass beide Männer nicht auch verschiedene Meinungen vertreten. Während Kukies in Finanzfragen immer eher eine flexiblere Haltung gezeigt hat, gilt Scholz grundsätzlich als Vertreter einer strikten Haushaltspolitik. Trotzdem soll die Zusammenarbeit stets von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt gewesen sein.
Scholz' Mann der Stunde
Ist Kukies die richtige Wahl für das Amt? Ein harmonisches Verhältnis zwischen Kanzler und Finanzminister scheint zuallererst eine willkommene Abwechslung zum Dauerclinch zwischen Scholz und Lindner zu sein. Auch seine Erfahrung in der Finanzwelt und sein Verständnis für komplexe Finanzinstrumente sprechen für ihn. Er ist krisenerprobt - und sollte rechnen können. Auch an seiner Parteitreue gibt es trotz der Berufswahl keinen Zweifel: Der heute 56-Jährige ist SPD-Mitglied, seit er 18 Jahre alt ist - der Mainzer war Anfang der 90er Jahre sogar kurzzeitig der Vorsitzende der Jungsozialisten in Rheinland-Pfalz. Das Amt gab er auf, als er für sein Studium der Wirtschaftswissenschaften zunächst nach Paris wechselte.
Kritiker sehen in seiner engen Verbindung zur Bankenwelt trotzdem immer noch ein Problem. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht war die Erste, die wieder Kukies Tätigkeit bei Goldman Sachs problematisierte: "Die Sozialdemokraten betrauen ausgerechnet einen ehemaligen Goldman-Sachs-Banker mit der Aufstellung des Bundeshaushalts." Es sage viel über den Zustand der SPD aus. Die Sorge: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht. Kukies spielt eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Ziele von Olaf Scholz.
Inhaltlicher Knackpunkt des Streits in der Ampel-Koalition war die Frage, ob die Schuldenbremse ausgesetzt werden soll. Scholz wollte das, Lindner war dagegen. Der FDP-Chef hatte sich auch geweigert, das erwartete Haushaltsdefizit im kommenden Jahr auszugleichen. Die Folge: Es kam zum Bruch. Mit Kukies als oberstem Kassenwart hat Scholz nun einen Verbündeten, um einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr und vielleicht auch den für 2025 unter Dach und Fach zu bringen. Scholz will, wie er in seiner gestrigen Rede noch einmal betonte, "kein Entweder-Oder". Er will an seinen Ausgabenplänen festhalten: Wirtschaftsförderung, Investitionen und Ukraine-Hilfe. Kukies könnte ihm dabei helfen, die Ausgabenziele der Regierung voranzutreiben, zumindest für einige Monate - bis neu gewählt wird.