Scholz und Merz können eigentlich nicht besonders gut miteinander. Doch jetzt braucht der Bundeskanzler den Oppositionsführer von der CDU, um weiterzuregieren. Der verlangt die sofortige Vertrauensfrage. Es ist die Stunde der Taktierer.
Es muss jetzt irgendwie weitergehen. Das ist die Lage, in der sich Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Ende der Ampelkoalition wiederfindet. Bis hierhin ist er ganz gut aus der Nummer herausgekommen: Bevor FDP-Chef Christian Lindner mit großer Geste selbst aussteigen konnte, feuerte Scholz ihn kurzerhand. Als Bonus zog er sogar noch Verkehrsminister Volker Wissing auf seine Seite. Ein weiterer Tiefschlag für Lindner.
Doch jetzt wartet die nächste Aufgabe und die ist ungleich schwieriger: Friedrich Merz zumindest ein bisschen auf seine Seite zu ziehen. Ihn und seine Unionsfraktion braucht der Kanzler im Bundestag, wenn er noch irgendetwas beschließen will. Denn seine rot-grüne Restkoalition hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Und die FDP wird eigentlich schon geeinte Gesetzesvorhaben höchstens noch punktuell mittragen. In Sachen Wirtschaft und Verteidigung könne man vor der Wahl zusammenarbeiten, schlug Scholz deshalb am Mittwochabend der Union vor. Er kündigte an, am 15. Januar die Vertrauensfrage zu stellen. Die Bundestagswahl wäre dann voraussichtlich im März.
Merz erteilt Absage
Merz hat immer Wert darauf gelegt, konstruktive Oppositionsarbeit zu betreiben. Schon beim Sondervermögen für die Bundeswehr arbeitete die CDU mit, im Vermittlungsausschuss auch beim Bürgergeld und kürzlich hatte Merz eine Initiative zur Migration gestartet, die dann aber scheiterte. Doch jetzt erteilte er Scholz erstmal eine Absage. Stattdessen forderte er ihn auf, sofort die Vertrauensfrage zu stellen und damit den Weg für Neuwahlen freizumachen.
Das ist kein Wunder, die CDU will das schon seit Langem. In Umfragen ist sie mit gut 30 Prozent derzeit stärkste Kraft. Nicht nur das, sie ist stärker als die drei Ampelparteien zusammen. Würde jetzt gewählt, wäre die Union haushoher Favorit auf den Wahlsieg. Warum also Zeit verlieren? Merz kann aber auch darauf vertrauen, dass die Menschen im Lande jetzt offen für Neuwahlen sind. Der Vertrauensverlust der Ampelparteien war dramatisch. Warum nun noch das Überbleibsel künstlich lange am Leben halten? Diese Frage muss der Kanzler beantworten. Merz ist damit in einer komfortablen Situation. Ohne ihn geht nichts. Er ist der kommende starke Mann.
Scholz aber bleibt erstmal bei seinem Plan, erst im Januar die Vertrauensfrage zu stellen. Er werde tun, was für das Land notwendig sei, sagte der SPD-Politiker. "Die Bürgerinnen und Bürger werden bald die Gelegenheit haben, neu zu entscheiden, wie es weitergehen soll." Damit haben beide, Merz und Scholz, die Pflöcke so tief eingehauen, dass sich einer bewegen muss. Immerhin, man redet miteinander. Zum Beispiel an diesem Mittag, da trafen sich Merz und Scholz für eine halbe Stunde. Viel kann da also nicht besprochen worden sein. Das Problem ist auch, dass die beiden selbstbewussten Männer einander in persönlicher Abneigung verbunden sind. Sie verstehen einander auch nicht hinter verschlossenen Türen. Es rächt sich in diesen Tagen vor allem für Scholz, dass beide nie ein gutes Arbeitsverhältnis miteinander gefunden haben.
Würde Merz nun Scholz zu weit entgegenkommen, könnte er sich womöglich selbst ins eigene Fleisch schneiden. Im für ihn schlechtesten Fall würde er in die gleiche Bredouille geraten wie Lindner: Er könnte als Ermöglicher linker Politik gelten. Das ist wohl das Letzte, was Merz möchte. Selbst wenn sie mit SPD und Grünen CDU-Projekte umsetzten, wie eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes, dürfte wohl eher Scholz davon profitieren. Als Regierungschef steht er immer in der Verantwortung, im Guten wie im Schlechten. Vor allem aber könnte die von Scholz angebotene Zusammenarbeit ebenfalls auf ein Aussetzen der Schuldenbremse hinauslaufen. Das aber schließt Merz aus. Kurzum: In einer Zusammenarbeit mit Scholz hat Merz nicht viel zu gewinnen.
Was ist mit der Ukraine?
Andererseits: Selbst, wenn Scholz die Vertrauensfrage schon nächsten Montag stellt, würden trotzdem noch quälend lange Wochen vergehen, bis gewählt würde. Die einfach so ins Land streichen zu lassen, kann sich auch Merz nicht erlauben. Der Druck auf ihn könnte wachsen, doch mit Rot-Grün zusammenzuarbeiten. Beispielsweise hat Merz kürzlich erst selbst ein entschlosseneres Auftreten gegenüber Russland gefordert. Und auch Merz hat kein Interesse an Millionen zusätzlicher Flüchtlinge aus der Ukraine, sollte die Wärmeversorgung oder gar das ganze Land im Winter kollabieren.
Eine mögliche Einigung könnte sein, dass Scholz die Vertrauensfrage vorzieht und Merz und die Union im Gegenzug bei der ein oder anderen Maßnahme zu einer Mehrheit verhilft. Der CDU-Chef hat auch immer davor gewarnt, das Thema Migration in den Wahlkampf geraten zu lassen. Die Parteien der Mitte sollten die Zugangszahlen besser schon vor dem Wahltag effektiv begrenzen, forderte er mehrmals. Das könnte also ein Feld sein, in dem die Union mit Rot-Grün zusammenarbeiten könnte.
Es wäre eine allerdings seltsame Situation: Während sich Oppositionsführer und Kanzler im Wahlkampf beharken, sollen sie im Bundestag vertrauensvoll zusammenarbeiten. Doch Merz hätte dadurch auch die Gelegenheit, seinen nächsten Koalitionspartner besser kennenzulernen. Reicht es für Schwarz-Gelb nicht - und danach sieht es derzeit aus - wird er mit Grünen oder SPD, vielleicht auch mit beiden regieren müssen.