1 week ago

Drei-Milliarden-Paket: Plötzlich eskaliert der Streit um die Ukraine-Hilfen



Bekommt die Ukraine zusätzliche Milliardenhilfe? Wenige Wochen vor der Wahl zerlegen sich die Parteien über die Frage, wie das Geld aufgebracht werden kann. 

Macht der Kanzler Wahlkampf auf dem Rücken der Ukraine? Es ist ein harter Vorwurf, der gegen ihn erhoben wird – und den will Olaf Scholz so nicht so stehen lassen.

"Ich habe das Gefühl", sagte der Kanzler bei einer Veranstaltung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), "im Augenblick wird mit größter Intensität das deutsche Volk belogen". Von wem? "Von allen, die sich darum bemühen, eine Frage auszuklammern: Wie bezahlen wir's?" 

Das ist die große Streitfrage. Nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl ist ein heftiger Konflikt um die Ausweitung der militärischen Unterstützung für die Ukraine entbrannt. 

"Olaf Scholz schlägt um sich wie ein Ertrinkender", kontert nun FDP-Chef Christian Lindner den Lügen-Vorwurf des Kanzlers und wirft ihm vor, Rentner gegen Menschen in der Ukraine auszuspielen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hält es für "irritierend, wenn fachlich andere Auffassungen als Lüge diffamiert werden". Auch er kritisiert, dass die Ukraine-Hilfen gegen den sozialen Zusammenhalt ausgespielt würden. Und Scholz? Nimmt für sich und die SPD in Anspruch, die einzige Lösung vorgelegt zu haben, die eben nicht zulasten von Rentnern oder Kommunen gehe. 

Wer hat Recht?

Welche Optionen auf dem Tisch liegen 

Im Kern geht es um drei Milliarden Euro und die Frage, wie diese aufgebracht werden sollen. Der Streit ist auch deshalb so unübersichtlich, weil es noch keinen Haushalt für das laufende Jahr gibt, und so bald auch keinen geben wird. Es gibt zwar einen gemeinsamen Willen, die zusätzlichen Milliarden noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar Kiew zu genehmigen, aber mindestens drei verschiedene Optionen, wie das in dieser rechtlich unübersichtlichen Lage gelingen könnte. Da aber derzeit alle Seiten auf ihren jeweiligen Standpunkten beharren, finden die Milliarden nicht ihren Weg nach Kiew.

Aus Sicht von Union, Grünen und FDP ließen sich die Milliarden ohne zusätzliche Kredite aufbringen. Das sehen Scholz und die SPD anders. Sie argumentieren, dass neue Kredite notwendig seien, weil das Geld sonst anderswoher kommen müsse. Scholz verweist dabei auch auf eine "unfinanzierte Haushaltslücke" in zweistelliger Milliardenhöhe. Soll heißen: Der Scheck für die Ukraine-Hilfen muss auch gedeckt sein, aber nicht durch Kürzungen bei Renten oder Infrastruktur.

Der Kanzler setzt daher auf einen sogenannten Überschreitungsbeschluss, der es ermöglichen würde, mehr Kredite aufzunehmen. Dieser unterliegt laut Grundgesetz jedoch strengen Voraussetzungen, setzt eine Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation voraus, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die Finanzlage erheblich beeinträchtigen würden. 

Interview Michael Roth 18.00

"Die Situation in der Ukraine ist inzwischen seit mehreren Jahren bekannt", gibt der Jurist Hanno Kube von der Universität Heidelberg zu Bedenken. Ein Finanzierungsvolumen von drei Milliarden Euro sei zudem nicht groß genug, um einen Notlagenbeschluss zu rechtfertigen. "Eine Notlage in diesem Sinne erfordert eine erhebliche Beeinträchtigung des staatlichen Haushalts", sagt der Professor für öffentliches Recht dem stern. Vor allem jedoch fehlte der Scholz-Regierung die nötige Mehrheit im Parlament für einen solchen Überschreitungsbeschluss. 

Grüne, FDP und Union favorisieren eine andere Möglichkeit: Eine "außerplanmäßige" oder "überplanmäßige" Ausgabe. 

In der vorläufigen Haushaltsführung, die mangels eines Etats für 2025 gerade praktiziert wird, würde dann festgestellt, dass die bisherigen Ausgaben für die Ukraine nicht ausreichten. Dieser Weg würde vorerst neue Schulden vermeiden. Allerdings müsste das Geld dann im Haushalt 2025, der von der nächsten Bundesregierung noch offiziell beschlossen werden muss, aufgetrieben werden. Entweder durch neue Schulden oder Einsparungen an anderer Stelle. 

Könnten Union, Grüne und FDP dafür eine Mehrheit an Scholz und seiner SPD vorbei bilden, sozusagen in einer unheiligen Allianz, einer Quasi-Jamaika-Koalition?

"Die drei Milliarden Euro könnten schon rein rechtlich nicht in einer hypothetischen Jamaika-Mehrheit mit Union und FDP beschlossen werden", sagt Sven-Christian-Kindler, haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, dem stern. Die Begründung dafür ist rechtstechnischer Natur: Eine überplanmäßige Ausgabe müsse immer zunächst vom Finanzministerium an den Haushaltsausschuss zugeleitet werden. Ohne diese Zuleitung könne es rechtlich keine Freigabe der Mittel geben, erklärt Kindler. "Das bedeutet, es braucht zwingend den Willen des Kanzlers dem Finanzminister zu erlauben, die Vorlage dem Ausschuss zuzuleiten." 

Caren Miosga Donald Trump Baerbock 06.10

Und Jörg Kukies, der SPD-Finanzminister, hat dahingehend schon einen Pflock eingeschlagen. "Alle, die jetzt sagen, wir machen eine überplanmäßige Ausgabe, sind in der Pflicht zu sagen, wie diese gedeckt werden soll", so Kukies in der "FAZ". "Wo kürzen wir? Oder wo nehmen wir mehr ein?" In anderen Worten: Das ist keine Option, jedenfalls nicht aus Sicht der SPD. 

Ukraine-Hilfen "kein Streitthema für den Wahlkampf"

Grünen-Chefhaushälter Kindler hält die Notfallregel der Schuldenbremse angesichts der Lage in der Ukraine sogar für gerechtfertigt, wenngleich er zu Bedenken gibt, dass es dafür gerade keine parlamentarische Mehrheit gebe. Er halte die drei Milliarden Euro (aus einem knapp 480-Milliarden-Euro-Haushalt) aber auch so für stemmbar. Bei einer vorläufigen Haushaltsführung würden immer weniger Mittel abfließen als bei einem regulären Haushalt, sagt Kindler. "Deshalb ist es möglich, die drei Milliarden zu finanzieren – wenn man es denn will." 

Hilfe für die Ukraine 18:36

Auch die langjährige finanzpolitische Sprecherin der Unionsfraktion Antje Tillmann sagt: "Natürlich ist das Geld da, wenn denn der politische Wille besteht". An drei Milliarden Euro werde der Haushalt für 2025 "ganz bestimmt nicht scheitern", sagt sie dem stern. Aus Sicht von Tillmann geht es Kanzler Scholz nicht um eine seriöse Finanzierung. "Der Grund, dass Scholz etwas anderes behauptet und anderen dreist Lüge vorwirft, ist allein der Wahlkampf", sagte sie. Auch Grünen-Haushälter Kindler poltert: "Ich nehme Olaf Scholz in der Frage vor allem im Wahlkampfmodus wahr, aber wenig darauf bezogen, was die gefährliche Lage in der Ukraine jetzt erfordert." 

Die einen sagen so, die anderen so – die Fronten sind verhärtet im politischen Berlin. Während die Ukraine auf weitere Milliarden zur Unterstützung hofft. Das ruft auch bei manchem Sozialdemokraten Unmut hervor. SPD-Außenpolitiker Michael Roth beklagt im stern-Interview, dass in der "hitzigen Stimmung im Wahlkampf nichts nach vorne" gehe. Alle Verantwortlichen sollten jetzt eine pragmatische Lösung finden, fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. "Das ist kein Streitthema für den Wahlkampf – das ist eine Notsituation."

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