Die Ampelkoalition steckt mal wieder in der größten Krise ihrer Geschichte. Kanzler Scholz lädt zu einem Wirtschaftsgipfel, ohne Finanzminister. Der trifft sich zu einem eigenen Gipfel, ohne Kanzler. Gibt es noch Hoffnung für die zerstrittene Regierung, fragt Markus Lanz.
Am 9. März sind Neuwahlen. Das glauben viele Journalisten in Berlin. Einige von ihnen sollen angeblich sogar Wetten darauf abgeschlossen haben. Tatsächlich steckt die Ampelkoalition in einer Krise, die unüberwindlich scheint. Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner setze offenbar darauf, aus der Koalition zu fliegen, heißt es in informierten Journalistenkreisen. Die stellvertretende Chefredakteurin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, Kristina Dunz, scheint dazu zu gehören. Sie beschreibt dieses Szenario am Dienstagabend bei Markus Lanz im ZDF.
Vor zwei Wochen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Regierungserklärung ein Gipfeltreffen mit Vertretern der Großindustrie angekündigt. Das fand am Dienstag im Kanzleramt statt. Die Minister des Kabinetts waren im Vorfeld nicht informiert worden. Prompt setzte Bundesfinanzminister Christian Lindner für den Dienstagnachmittag ein weiteres Gipfeltreffen mit Vertretern des Mittelstandes an. Man kam im ehemaligen Raucher-Clubraum des Bundestages zusammen. Ergebnisse: Fehlanzeige.
Scholz hat unterdessen für den 15. November ein weiteres Treffen anberaumt. Einen Tag später kommt der Haushaltsausschuss des Bundestages zu seiner "Bereinigungssitzung" zusammen. Da soll die Endfassung des Haushalts festgezurrt werden. Wichtige Fragen werden dabei diskutiert, die bisher zurückgestellt worden sind. In der letzten Novemberwoche soll der Bundestag den Haushalt beschließen. Dann könnte klar sein, wie viel Geld die Industrie vom Staat bekommt, um aus ihrer aktuellen Krise herauszukommen. Falls es überhaupt Geld gibt.
Die FDP setzt vor allem auf Privatinvestitionen, um die Schuldenbremse einhalten zu können. Wirtschaftsminister Habeck schlägt unterdessen einen Investitionsfond des Bundes vor, um die Wirtschaft flottzumachen. Und die Wirtschaft? Die fordert vor allem, dass die drei Ampelparteien sich endlich einigen und gemeinsam Wege aus der Krise finden. Danach sah es am Dienstag nicht aus.
Endzeitstimmung bei VW
Nach den Hiobsbotschaften des VW-Betriebsrates sei Gefahr im Verzuge, nicht nur für VW, sondern auch für die Koalition, analysiert Kristina Dunz am Dienstagabend bei Markus Lanz. Dort unterhalten sich die Gäste unter anderem über die Krise des Autoherstellers. Der will laut Betriebsrat drei Werke dichtmachen. Bis zu 30.000 Jobs stehen laut Autoexperte Stefan Bratzel auf der Kippe. Das ist ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland. Doch von der Krise des Autobauers sind nicht nur die eigenen Mitarbeiter betroffen. Auch Autozulieferer würden darunter zu leiden haben, sagt Bratzel.
Inzwischen haben auch andere Unternehmen auf die Wirtschaftskrise reagiert. Die Stahlsparte von ThyssenKrupp zum Beispiel. Dort müssen die Mitarbeiter jetzt Kaffee, Milch und Kekse von ihrem eigenen Geld bezahlen. Die Krise in der Stahlindustrie wird der "Kekserlass" wohl kaum beenden.
Dass die Ampelkoalition noch die Gelegenheit zur Hilfe bekommt, scheint fraglich. "Ich halte mittlerweile für möglich, dass sich die Koalition noch vor Jahresende zerlegt", sagt Kristina Dunz. Sie gehört zu den Journalisten, die den Bundeskanzler und einige Minister am Wochenende zu Gesprächen nach Indien begleitet haben. Der Kanzler sei genervt von seinem Vizekanzler und seinem Finanzminister – und umgekehrt, beschreibt sie die Situation. "Das ist richtig ernst. Ich habe eine solche Stimmung noch nie erlebt. Ich habe auch den Kanzler so noch nicht erlebt. Da ist eine tiefe Frustration. Er fühlt sich ungerecht behandelt." Scholz, Lindner und Habeck würden agieren, ohne sich gegenseitig zu informieren. "Das ist im Moment die Non-Kommunikation dieser Bundesregierung. Und das ist in dieser Wirtschaftskrise ein großes Drama."
FDP-Politiker Faber ist gelassen
Marcus Faber bringt das alles kaum aus der Ruhe. Der FDP-Politiker hat seine Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestages abgelöst. Er hätte vermutlich lieber über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten diskutiert. Da kennt er sich aus, da ist für ihn alles klar: Mehr Unterstützung für die Ukraine, und auch zu Israel müsse man halten. Doch die Krise bei VW beschäftigt ihn natürlich auch. Er wohnt in der Altmark, in Sachsen-Anhalt. Wenn er mit dem Zug nach Berlin fährt, sieht er die gefrusteten VW-Mitarbeiter, die vom Bahnsteig gegenüber ins Stammwerk nach Wolfsburg fahren. Das ist gerade mal eine halbe Stunde mit dem Zug entfernt.
Faber wirkt ruhig und entspannt. Anders als seine Vorgängerin lässt er seinen Gefühlen keinen freien Lauf. Der 40-Jährige redet sachlich, hört zu, fällt niemandem ins Wort. Kaum vorstellbar, dass er sich wie seine Vorgängerin aufs Motorrad schwingt und durch die Altmark brettert. "Es ist Zeit, dass man in Sachen Wirtschaftswende was auf den Weg bringt", sagt er bei Lanz.
"Gibt es die Koalition zu Weihnachten noch?", fragt ihn Markus Lanz im Laufe der Sendung. "Ich denke, das hängt davon ab, welche Entscheidungen wir in den nächsten zwei Monaten treffen", antwortet Faber: "Wir müssen in den nächsten zwei Monaten einen Haushalt auf den Weg bringen." "Es sind zwei Wochen", antwortet Kristina Dunz. "Wenn der Haushalt für 2025 in 2024 verabschiedet wird, dann bin ich zufrieden", antwortet Faber.
Haushalt und Wirtschaftswende, diese beiden Punkte müsse die Ampelkoalition bis Jahresende schaffen, meint er. "Wenn wir hier noch etwas tun können, dann lohnt es, dass diese Koalition zusammenbleibt. Wenn wir das nicht mehr können, dann ist es besser, den Weg freizumachen. Das sind die Optionen, die jetzt auf dem Tisch liegen."