2 months ago

Die Grünen schießen zurück: "Was Markus Söder macht, ist infantil und verantwortungslos"



Die Grünen wagen nach monatelangem Ampelchaos den Neustart. Erfolgreich, meint jedenfalls Yazgülü Zeybek. "Man spürt eine neue Dynamik", sagt die Chefin der Grünen in NRW im "Klima-Labor" von ntv. Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl räumt die Partei allerdings nicht nur personell, sondern auch politisch auf: "Wir dürfen nicht länger nur auf ökologische Ziele schauen", erklärt Zeybek die neue Marschroute. Das Ziel ist klar: Die Grünen wollen auch nach 2025 der Bundesregierung angehören, dann aber in einer erfolgreichen Koalition. "Schwarz-Grün funktioniert in Nordrhein-Westfalen gut", sagt Zeybek. Doch dafür müssen Markus Söder und die Grüne Jugend mitspielen.

ntv.de: Das bundespolitische Beben der Grünen ist noch frisch. Benötigen die Grünen wie angekündigt einen kompletten Neustart?

Yazgülü Zeybek: Ja. Die Partei hat ein Problem mit ihrem Image in der Öffentlichkeit. Die Landtagswahlen im Osten und die Europawahl waren ein heftiger Einschnitt und ein klares Signal, dass die Leute unzufrieden sind und wir einen Neustart brauchen. Ricarda Lang und Omid Nouripour haben den Weg dafür frei gemacht. Es hat großen Respekt verdient, dass die Bundesvorsitzenden diesen Schritt gegangen sind. Üblich ist das ja nicht in der Politik.

Sind die Grünen ohne Ricarda Lang und Omid Nouripour an der Spitze besser dran?

So würde ich das nicht sagen. Aber ich spüre eine neue Dynamik und eine gewisse Aufbruchstimmung, mit der wir in das Jahr der Bundestagswahl starten. Das wird mit neuen Gesichtern an der Parteispitze gut gelingen.

Die Grünen regieren auch in NRW, anders als in Berlin allerdings mit der CDU. Wie ist die Stimmung bei Ihnen, ist ebenfalls Krise angesagt?

Die Bundespolitik überlagert alles. Das merken wir auf Landes- und auch kommunaler Ebene. Aber in NRW arbeiten wir anders zusammen … "besser" würde ich einfach mal behaupten.

Schwarz-Grün funktioniert besser als die Ampel?

Ja. Das ist einfach Fakt. Auch wenn wir sehr unterschiedliche Parteien sind, versuchen wir trotzdem, konstruktiv Lösungen für die Menschen zu entwickeln, die hier leben.

Die Grünen haben aber auch in NRW seit der Landtagswahl im Mai 2022 deutlich an Zustimmung verloren. Das ist nicht nur ein Bundestrend.

Seit der Wahl hat sich viel verändert. Die Menschen spüren immer noch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die Inflation und die Energiepreise. Diese wirtschaftliche Verunsicherung führt dazu, dass die Menschen skeptisch und zurückhaltend sind, wenn eine Partei für Veränderungen wirbt. Dafür stehen wir wie keine andere Partei, dafür steht unsere Wirtschaftspolitik. Wir wollen Dinge verbessern, aber auch anders machen. Dass diese Botschaft aktuell nicht bei jedem verfängt, kann ich nachvollziehen. Trotzdem liegen wir als Grüne in Nordrhein-Westfalen in Umfragen konstant über dem Bundestrend. Die Menschen sehen, dass wir in NRW gute Arbeit machen und vernünftig miteinander umgehen.

Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, dass grüne Themen nicht mehr priorisiert werden. Müssen Sie Ihre Botschaft verändern?

Die Botschaft bleibt dieselbe: Wir wollen eine Zukunft, in der es sich gut leben lässt. Das geht nur mit der Bewältigung der Klimakrise. Diese Aufgabe hängt nicht von Wahlperioden oder Umfrageergebnissen ab. Es ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Aber viele haben Klimaschutz in der Vergangenheit eher als Belastung wahrgenommen. In Zeiten, in denen Züge nicht fahren, das Amt nicht funktioniert und man sich wegen globaler Krisen Sorgen macht, haben viele keine Kraft mehr, sich auch noch ums Klima zu sorgen. Das kann ich gut verstehen. Ich will die Menschen wieder davon überzeugen, Klimaschutz als eine Chance für die Zukunft zu sehen. Wir müssen unsere Botschaft besser erläutern und die Menschen mitnehmen.

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Was bedeutet das konkret? Die meisten Menschen wünschen sich in Umfragen nach wie vor mehr Klimaschutz, es zeigt sich aber auch: Diese Kompetenz wird nicht mehr unbedingt den Grünen zugeschrieben.

Das stimmt. Es gibt deutliche Einbußen, bei denen wir uns fragen müssen, woran das liegt. Wir müssen nicht drum herumreden, dass das Heizungsgesetz …

… der Testballon war, wie Robert Habeck sagte.

Ja, das ist keine gute Formulierung …

Warum nicht?

Weil das Gesetz viele Menschen verunsichert hat. Der Gedanke damals war ja: Wir müssen die Emissionen im Gebäudesektor reduzieren. Dafür haben wir einen Plan und den ziehen wir durch. Das war fatal. Denn für die Menschen hieß das Heizungsgesetz, dass man sein Leben für Klimaschutz plötzlich stark verändern muss. Viele haben sich gefragt, ob sie sich diese Vorgaben überhaupt leisten können. Das wurde von Anfang an nicht gut kommuniziert und vom Bundeswirtschaftsministerium nicht gut organisiert. Das muss man sich eingestehen und besser machen, um solche Fehler nicht zu wiederholen. Denn das Heizungsgesetz hat zu einer Abwehrhaltung geführt, die man auf alle Bereiche übertragen kann, in denen Klimaschutz persönlich wird und ins eigene Haus oder den Keller kommt und Einschnitte bedeutet.

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das "Klima-Labor" können Sie bei ntv.de lesen oder sich bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und auch über den RSS-Feed anhören.

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an podcasts@ntv.de oder nehmen Sie Kontakt zu Clara Pfeffer und Christian Herrmann auf.

Was heißt das für die Grünen? Diese Projekte gehen Sie in Zukunft nicht mehr an?

Doch, aber man darf beim Klimaschutz nicht länger nur auf ökologische Ziele schauen. Die bleiben wichtig, aber gleichzeitig muss man soziale Akzeptanz und Versorgungssicherheit schaffen, mit Unternehmen sprechen und die Wettbewerbsfähigkeit der Region sichern. Diese Dinge wirken bei einschneidenden Projekten wie dem Heizungsgesetz zusammen. Es reicht nicht, sich einfach nur ambitionierte Ziele zu setzen.

Ist das ein grundlegendes Problem, dass die Grünen bei diesen Themen häufig als arrogant wahrgenommen werden?

Es mag sein, dass das die Wahrnehmung ist, aber aus meiner Sicht gibt es keine Partei, die sich mehr hinterfragt und Kritik ernster nimmt als die Grünen. Als Landesvorsitzende spreche ich jeden Tag mit Unternehmen, Verbänden und Menschen und höre erst einmal zu. Das ist ein wichtiger Aspekt politischer Arbeit für mich persönlich und für die Grünen im Allgemeinen. Dazu gehört aber auch, dass man das Gehörte anschließend mitnimmt in die politische Arbeit. Und das Personal, das wir gerade aufstellen, ist dafür genau richtig. Das betrifft Robert Habeck, das betrifft den neuen Bundesvorstand und das betrifft auch die Grünen in Nordrhein-Westfalen.

Und im Bundestagswahlkampf werben die Grünen nächstes Jahr für Schwarz-Grün? Das ist das Erfolgskonzept?

Schwarz-Grün funktioniert in Nordrhein-Westfalen gut. Es funktioniert auch in Schleswig-Holstein gut und in Baden-Württemberg hat man mit Grün-Schwarz auch gute Erfahrungen gemacht. Es kann funktionieren, es können aber auch andere Konstellationen funktionieren. Aber wir sind schon ein Vorbild und ich hoffe, dass Schwarz-Grün eine Option für die Bundesebene bleibt. Dem darf man sich nicht verschließen, über Koalitionsmöglichkeiten sollte man aber erst am Wahlabend sprechen.

Die Union macht allerdings bereits an vielen Stellen Wahlkampf gegen die Grünen.

Das kann ich nicht verstehen, auch wenn es ehrlicherweise derzeit vor allem CSU-Chef Markus Söder ist, der jeden Tag einen Beitrag oder ein Video dazu macht und auf jedem Podium, auf dem er sitzt, gegen die Grünen hetzt. Er hat das quasi zu seinem Hauptjob gemacht. Das ist infantil.

Er ist aber relativ erfolgreich damit.

Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich kann absolut nicht nachvollziehen, dass die Grünen der Hauptfeind der CSU sein sollen, wenn man weiß, dass die AfD auch in Bayern eine sehr starke Kraft ist. Wir haben gerade bei den Wahlen in Ostdeutschland erlebt, was für dramatische Auswirkungen es haben kann, wenn die AfD stärkste Kraft wird. In dieser Situation, wo es neben der AfD auch noch die Putin-Marionetten des BSW gibt und wir Angriffe auf unsere Demokratie von innen und außen erleben, die Grünen zum Hauptfeind zu erklären … das finde ich absolut verantwortungslos.

Es scheint derzeit Trend zu sein, sich von den Grünen abzugrenzen. Der Vorstand der Grünen Jugend ist komplett zurückgetreten, weil die Partei ihm zufolge inzwischen zu wenig grün und links ist. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?

Es ist bedauerlich, dass sie diesen Weg gegangen sind. Ich kann nachvollziehen, dass die Vorstände frustriert sind, aber für seine politischen Ziele sollte man innerhalb einer Partei kämpfen, anstatt sich zurückzuziehen und etwas anderes zu machen. Wie allen Parteien wäre es auch mir lieber, wir könnten in Regierungen 100 Prozent unseres Wahlprogramms umsetzen. Aber so funktioniert Demokratie nun mal nicht. Das muss man akzeptieren. Das ist die Realität der politischen Aufgabe.

Sehen Sie keine Gefahr, dass die Grünen so viele Kompromisse machen, um weiterregieren zu können, dass die Partei am Ende auch junge Wählerinnen und Wähler verliert, die enttäuscht sind, weil sie mehr Klimaschutz wollen?

Das ist die Herausforderung: Wir müssen denjenigen gerecht werden, die mehr und schnelleren Klimaschutz wollen und gleichzeitig denjenigen, denen es zu schnell geht. Das ist die Abwägung, die man treffen muss - und zwar nicht im luftleeren Raum, sondern in Verbindung mit Verhandlungsergebnissen, Koalitionspartnern, öffentlicher Stimmung, Unternehmen und anderen äußeren Einflüssen. Ich glaube, die allermeisten Menschen verstehen das.

Mit Yazgülü Zeybek sprach Clara Pfeffer. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüfen. Ist Deutschland ein Strombettler? Vernichtet die Energiewende Industrie & Arbeitsplätze? Warum erwarten so viele Menschen ihren ökonomischen Abstieg? Warum sind immer die Grünen schuld? Sind Seeadler wirklich wichtiger als Windräder? Kann uns Kernkraft retten?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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