Sport und Bewegung sind wichtig für unsere Gesundheit. Aber die Dosis ist entscheidend. Dr. Thomas Schneider klärt auf.
Die einen müssen sich zum Sport zwingen, andere sind regelrecht süchtig nach Fitness und Bewegung. Aber wann wirkt sich Sportsucht negativ auf die Gesundheit aus? Dr. Thomas Schneider, leitender Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin der Gelenk-Klinik Gundelfingen, weiß, dass Beschwerden infolge von zu viel Sport unter Umständen "chronisch" werden können. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news klärt der Experte auf.
Wie viel Sport pro Woche wird allgemein als gesund angesehen?
Dr. Thomas Schneider: Die WHO empfiehlt Erwachsenen bis zum Rentenalter zweieinhalb Stunden moderaten Sport pro Woche, wie etwa das Radfahren. Sicherlich spielt bei der optimalen Dauer auch die bevorzugte Sportart eine Rolle. So spricht natürlich nichts gegen eine tägliche Runde auf dem Drahtesel - das optimale Ausdauertraining hält fit und schont dabei die Gelenke. Damit hinterher nicht verspannte Schultern oder Rückenschmerzen das Ergebnis trüben, rate ich insbesondere Menschen in der zweiten Lebenshälfte zu maßvollem "Strampeln". Die Zeiten für Höchstleistungen sind vorbei. Deshalb Tempo und Fahrdauer bitte langsam steigern. Und besser mehrmals wöchentlich eine Stunde fahren, als einmal im Monat eine Mammut-Tour zu unternehmen.
Egal, welchem Sport ich nachgehe, sinnvoll ist es, auf den eigenen Körper zu hören und, vor allem, altersgerecht zu starten. Dabei sollten es neben älteren Menschen insbesondere Anfänger langsam angehen. Nehmen wir als konkretes Beispiel das überaus populäre Joggen. Speziell unerfahrenen Läufern empfehle ich höchstens dreimal die Woche zu joggen und Dauer sowie Tempo ganz behutsam zu steigern.
Ist täglich Sport treiben zu viel für den Körper?
Dr. Schneider: Das hängt vor allem von der Art des Sports ab, aber natürlich auch von Faktoren wie Alter und Kondition und lässt sich deshalb pauschal nicht beantworten. Bleiben wir deshalb auch hier konkret beim Beispiel des Joggens. Vor allem für Anfänger ist tägliches Laufen grundsätzlich zu viel des Guten. Denn nicht nur der Kreislauf muss sich erst an das Training gewöhnen: Auch Gelenke, Bänder und Sehnen benötigen einige Zeit, um sich den neuen Belastungen anzupassen. Empfehlenswert sind hier zwei- bis dreimal die Woche Strecken von 20, 30 Minuten oder auch etwas länger.
Studien haben übrigens gezeigt, dass bereits solche Trainingszeiten mehrmals wöchentlich wirksam helfen, den Kreislauf auf Trab zu bringen und sich vor Herzerkrankungen zu schützen. Und auch beim Tempo bewirkt Maßhalten mehr: Wer es langsamer angehen lässt, der fördert sein gesundheitliches Wohlergehen auf schonende Weise. Insbesondere Blutdruck und Immunsystem profitieren. Also bitte nicht stets Drauflosspurten bis zum Schnaufen.
Wer im mittleren Lebensalter oder noch später ein Lauftraining beginnt, sollte besonders achtsam sein. Ratsam ist insbesondere anfangs der kontinuierliche Trainingswechsel vom Laufen ins Gehen. Zuvor bitte nicht das Aufwärmen vergessen - und auch danach stets die Muskeln sanft dehnen, erst die Waden, dann Unter- und Oberschenkel.
Was sind Anzeichen dafür, dass man zu viel trainiert hat?
Dr. Schneider: Oft ist der sehr häufig auftretende Muskelkater das Resultat eines zu ausgiebigen Krafttrainings oder eines übertriebenen Marathons. Die Muskeln werden überstrapaziert und infolge davon kommt es zu Übersäuerungen und winzigen, vorübergehenden Faserverletzungen.
Ein typisches Anzeichen für ein übertriebenes Training ist auch das "Joggerschienbein", von Medizinern als Schienbeinkantensyndrom bezeichnet. Vor allem unerfahrene Läufer werden oftmals durch diese schmerzhafte Reizung verschiedener Sehnen, Muskelansätze sowie der Knochenhaut ausgebremst. Typisch dafür sind krampfartige Schmerzen in den Unterschenkeln. Wichtig ist die frühzeitige Behandlung. Ansonsten können Beschwerden chronisch werden und auch Sprunggelenk und Knie in Mitleidenschaft ziehen. Selbst Ermüdungsbrüche sind keine Seltenheit.
Kann sich zu häufiges Trainieren dauerhaft auf Knochen und Muskeln auswirken?
Dr. Schneider: Auf jeden Fall. Die vorher erwähnten Stressfrakturen, z.B. im Mittelfuß, sind eine mögliche Folge von übermäßigem Training. Aber auch Sehnenreizungen bis hin zu -rissen sind eine Gefahr für Knochen, Sehnen und Muskeln. Daher ist maßvolles Training der richtige Weg, vor allem bei einer einseitigen Sportauswahl, wie das genannte Beispiel Joggen.
Wie sieht es aus, wenn man beim Trainieren variiert und verschiedene Muskelgruppen trainiert. Ist täglicher Sport dann in Ordnung?
Dr. Schneider: Ein klares Ja - so ist der Körper bestens ausgelastet und aktiv. Wichtig ist es tatsächlich, die Sportart zu wechseln. Also nicht Joggen und Nordic Walking als unterschiedliche Sportarten zählen, sondern beispielsweise Radfahren und Schwimmen.
Wann kann man von einer Sportsucht sprechen?
Dr. Schneider: Sport sollte in erster Linie Spaß machen. Kenne ich keine Grenzen, trainiere ich exzessiv und zwanghaft und steigere ich permanent meine sportlichen Aktivitäten, so kann das für eine Sportsucht sprechen. Vor allem, wenn sich immer mehr alles darauf konzentriert und wenn mein Beruf, meine anderen Interessen oder alltägliche Aufgaben darunter leiden, kann eine solche Störung vorliegen. In diesem Fall ist die Klärung durch einen Psychotherapeuten sehr empfehlenswert. Eventuell steckt dahinter auch eine ernsthafte psychische Störung. So flüchten sich insbesondere Männer mit Depressionen nicht nur in Alkohol- und Medikamentensucht, sondern auch in ein exzessives sportliches Verhalten.
Sollte man mit Muskelkater trainieren oder lieber pausieren?
Dr. Schneider: Bei einem Muskelkater sollte man am besten eine Pause einlegen und Belastungen vermeiden. Anderenfalls drohen ernsthafte Verletzungen und ausgeprägte Muskelfaserrisse. Durch Kälte oder Wärme können die Schmerzen gelindert werden, aber die Regeneration lässt sich damit nicht beschleunigen.
Trainiert werden sollte frühestens nach zwei schmerzfreien Tagen. Und nach spätestens drei Wochen sollten sich die betroffenen Muskeln völlig regeneriert haben. Anderenfalls empfiehlt sich ein Arztbesuch, um ernsthafte Verletzungen der Muskulatur oder des Sehnenapparates auszuschließen.
Dr. Thomas Schneider ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akupunktur, manuelle Therapie sowie Sportmedizin. Der Fuß- und Sprunggelenkspezialist leitet das Bewegungs- und Ganganalysezentrum der Gelenk-Klinik Gundelfingen. Seit Jahren beschäftigt sich Dr. Schneider zudem auch als Buchautor (u.a. "Wenn die Ferse schmerzt", riva Verlag) sowie TV-Experte ("Kaffee oder Tee", "Planet wissen", SWR) mit dem Thema Laufen und Gehen.