3 months ago

Chance auf Wahlsieg in Wien: "Die FPÖ agiert disziplinierter als die AfD"



Ein Österreich ohne EU, Migranten und LGBTQ - das ist die Vision des FPÖ-Vorsitzenden Kickl. Seine Partei könnte die Nationalratswahl am Sonntag für sich entscheiden. Obwohl die FPÖ radikale Positionen vertrete, verhalte sie sich geschickter als die AfD, sagt Robert Treichler. Er ist Co-Autor des Buches "Kickl: und die Zerstörung Europas" und stellvertretender Chefredakteur des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil".

ntv.de: Was unterscheidet die FPÖ von der AfD, was verbindet die beiden Parteien?

Robert Treichler: Die FPÖ unterscheidet ideologisch nichts von der AfD, aber sie agiert - zumindest derzeit - disziplinierter. Sie ist nicht so zerstritten und vermeidet es seit einiger Zeit weitgehend, durch Nazi-Nostalgie aufzufallen. FPÖ-Chef Herbert Kickl gratulierte der AfD auf seinem Instagram-Account zu ihren Wahlerfolgen in Thüringen und Sachsen. Er sieht in der AfD ganz offensichtlich immer noch eine Schwesterpartei, auch wenn sie nicht Teil der Fraktion "Patrioten für Europa" im EU-Parlament ist. Kickl distanziert sich niemals von der AfD. Er nennt sogar die rechtsextreme Gruppe der Identitären verharmlosend eine "NGO von rechts".

Trotz der diversen Krisen der FPÖ in den letzten Jahren ist die Zustimmung in der österreichischen Bevölkerung gewachsen. Wie kommt das?

Die FPÖ konnte ihr Wählerpotenzial dank mehrerer Krisen steigern: die Migrationskrise von 2015, die Covid-19-Pandemie ab 2020 und die hohe Inflation der Jahre 2022 und 2023. Bei allen drei Themen vertritt die FPÖ eine Position, die keine andere der Parlamentsparteien teilt: die Errichtung einer "Festung Österreich" gegen Migranten; die Ablehnung strenger Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie; und die Forderung, die Sanktionen gegen Russland ebenso wie die Militärhilfe an die Ukraine einzustellen.

Auch in Deutschland gehört Herbert Kickl zu den bekanntesten österreichischen Politikern. Wieso ist er in Österreich so beliebt?

Kickl hat seine Fans, aber er liegt in Umfragen unter der Bevölkerung (OGM/APA Vertrauensindex) ganz am Ende der Beliebtheitsskala - noch weniger Vertrauen genießt lediglich ein Politiker, der bereits seinen Rückzug aus der aktiven Politik bekannt gegeben hat. Kickls Stil ist provokant, aggressiv, radikal und kommt bei den Enttäuschten gut an. In seiner Rhetorik schreckt er vor nichts zurück, wenn er über seine Lieblingsfeinde - die Eliten, die EU, die "Systemmedien" herzieht. Bei den Salzburger Festspielen wolle er nicht dabei sein, "bei diesen Heuchlern, dieser Inzuchtpartie", sagte er in einer Rede im August. Dazu verspricht Kickl eine Rückkehr zu einem Österreich, das die Kompetenzen der EU zurückdrängt und national agiert; und zu einer "homogenen" Gesellschaft, in der, ungestört von Migranten und LGBTQ-Einflüssen, Österreicher ihrer Leitkultur frönen. Dieses Bild scheint für nicht ganz ein Drittel der Wählerschaft attraktiv zu sein.

Sollte Kickl Kanzler in Österreich werden: Was würde sich voraussichtlich ändern?

Kickl würde alles daransetzen, das geltende Asylrecht abzuschaffen, und er würde nicht davor zurückschrecken, dabei auch EU-Recht zu brechen. Eine FPÖ-geführte Regierung würde das Budget des ORF reduzieren und diesen in seiner Unabhängigkeit gefährden. In der EU würde eine FPÖ-Regierung Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán stärken und ihr Veto-Recht nutzen, um etwa Militärhilfe an die Ukraine zu stoppen.

Die FPÖ wird einen Koalitionspartner brauchen, wer käme da infrage?

Eigentlich nur die ÖVP. Deren Vorsitzender und Spitzenkandidat Karl Nehammer sagt, dass er mit Kickl, den er als "Sicherheitsrisiko" und "rechtsextrem" bezeichnet, keine Koalition bilden werde. Eine ÖVP-FPÖ-Regierung ohne Kickl schließt er jedoch nicht aus.

Wie wollen die anderen Parteien eine Kanzlerschaft Kickls verhindern?

Eine Regierung ohne FPÖ-Beteiligung wird möglich sein, wenn ÖVP, SPÖ und - aller Wahrscheinlichkeit nach - eine dritte Partei wie etwa die liberale Partei Neos eine Koalition bilden. Für diesen Fall wird Kickl wohl die Propaganda-Botschaft verkünden, dass er der vom Volk gewählte "Volkskanzler" sei, dessen Amtsantritt jedoch von den "Systemparteien" verhindert werde.

Mit Robert Treichler sprach Marko Schlichting

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