Mit seiner Offensive in der Migrationspolitik geht Unions-Kanzlerkandidat Merz gleich drei Risiken ein. So profitieren in der Regel die Rechtspopulisten, wenn Mitte-Parteien über Migration streiten. Merz muss hoffen, die Deutungshoheit zu erlangen.
Ein wenig klang Friedrich Merz am Donnerstag wie Donald Trump. "Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen." Es werde "ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen".
Rumms. Am ersten Tag der Amtszeit. Anweisen. Faktisches Einreiseverbot. Das erinnerte, vermutlich nicht ungewollt, an die Dekrete, mit denen der neue US-Präsident am Tag seiner Vereidigung Macht demonstrierte.
Für Merz ist dieses Vorgehen riskant. Denn der Bundeskanzler hat in Deutschland bei weitem nicht so viel Macht wie der Präsident in den USA. Das liegt am politischen System der Vereinigten Staaten, das ganz auf das Staatsoberhaupt zugeschnitten ist, und in dem es nur zwei relevante Parteien gibt. Merz wird, wenn er Kanzler werden sollte, einen Koalitionspartner brauchen. Und dann gibt es noch die ganzen Sachzwänge und juristischen Unwägbarkeiten, von denen auch Trump ein Lied singen könnte, wenn er sie wahrnehmen würde.
Drei Risiken
Darin liegt das erste Risiko: Dass Merz sein Versprechen einer Kehrtwende in der Migrationspolitik nicht wahr machen kann. Auch Trump konnte die Grenze zu Mexiko in seiner ersten Amtszeit nicht schließen.
Riskant ist zweitens, dass Merz die Migrationspolitik so sehr ins Zentrum rückt. Je lauter sich demokratische Parteien um die richtige Migrationspolitik streiten, desto stärker profitieren Rechtspopulisten. So gesehen ist das, was Merz gerade macht, ein strategischer Fehler. "Das Maß ist endgültig voll", hatte der CDU-Chef am Donnerstag gesagt. "Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik." Am Freitag kündigte er an, die Unionsfraktion werde Anträge zur Migrationspolitik in den Bundestag einbringen, und er machte dabei deutlich, dass er eine Zustimmung der AfD in Kauf nimmt.
Hier liegt sein drittes Risiko: Sein Vorgehen könnte den Eindruck erwecken, die "Brandmauer" der Union zur AfD sei gefallen, eine Zusammenarbeit nach der Bundestagswahl läge im Bereich des Möglichen. Damit würde Merz mehr Wähler verprellen als neue gewinnen. Unabhängig von solchen Überlegungen betont die gesamte Führung von CDU und CSU immer wieder, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird. Auch Merz sagte am Freitag, dass er bereit ist, mit SPD, FDP und Grünen über die Anträge zu verhandeln, nicht aber mit AfD und BSW.
"Dann können wir halt nicht regieren"
Trotz dieser Risiken ist sein Vorgehen aus seiner Sicht alternativlos: Nach den Morden von Aschaffenburg kann die Union keinen Zweifel daran lassen, dass sie es ernst meint mit dem angekündigten Politikwechsel, mit dem Bruch mit Angela Merkel, der ja längst vollzogen ist. Denn neu ist das, was Merz sagt, nicht. Der faktische Aufnahmestopp steht bereits seit Dezember im Wahlprogramm der Union.
Dass die AfD nun ihrerseits versucht, die CDU vorzuführen, muss Merz in Kauf nehmen - etwa, dass AfD-Chefin Alice Weidel (die die CDU kürzlich noch "Betrügerpartei" nannte) der Union eine Zusammenarbeit anbietet. Für Weidel ist die aktuelle Situation die Chance, als potenzieller Partner, als ernsthafter Akteur wahrgenommen zu werden, statt als rein destruktive Kraft und Gefahr für die Demokratie.
Auch dieses Risiko muss Merz eingehen. Ihm dürfte es darum gehen, die Deutungshoheit in der Migrationspolitik für die Union zu erlangen. Mit seinem Verweis auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gibt er nicht nur Wählern, sondern auch möglichen Koalitionspartnern das Signal, dass er in etwaigen Koalitionsverhandlungen bei diesem Thema nur zu sehr begrenzten Kompromissen bereit sein wird. Das machte auch sein Generalsekretär Carsten Linnemann deutlich: "Vielleicht haben wir die absolute Mehrheit", sagte er dem Sender Welt-TV. "Wenn wir die nicht haben und es gibt keinen Koalitionspartner, der da mitgeht, dann können wir halt nicht regieren."