15 hours ago

Bürgerschaftswahl: Warum ist die SPD in Hamburg unter Tschentscher so erfolgreich?



Auf Bundesebene ist die SPD in eine tiefe Krise gestürzt, in Hamburg hingegen hält Peter Tschentscher die Sozialdemokraten auf Kurs. Wie macht der ehemalige Oberarzt das?

Anfangs galt Peter Tschentscher mitunter als Übergangslösung, inzwischen leitet der 59-Jährige seit sieben Jahren als Erster Bürgermeister die Geschicke Hamburgs – und die Chancen auf eine Fortsetzung für weitere fünf Jahre stehen gut. Vor der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt am Sonntag deuten alle Umfragen auf einen klaren Sieg der von dem früheren Oberarzt als Spitzenkandidat in den Wahlkampf geführten SPD.

Auf Rückenwind von der Bundesebene konnte der gebürtige Bremer, der eher als analytisch agierender Organisator denn als machtbewusster Strippenzieher daherkommt, im Wahlkampf nicht zählen. Nach dem vorzeitigen Aus der Ampelkoalition in Berlin stand es nicht zum Besten um die SPD im Bund und die persönliche Beliebtheit ihres nun bei der Bundestagswahl abgestraften Bundeskanzlers Olaf Scholz, der Tschentschers Amtsvorgänger als Regierungschef in Hamburg war.

Die Ausgangslage ist den Hamburger Genossen allerdings vertraut. Bereits zur Bürgerschaftswahl 2020 gab es eine ähnliche Konstellation, die SPD gewann trotzdem. "Die Hamburgerinnen und Hamburger wissen ja, dass die Politik in den letzten Jahren in Hamburg besser gelaufen ist als in anderen Bundesländern und im Bund", sagt Tschentscher jüngst in einem Interview selbstbewusst. Die Verhältnisse in der Hansestadt seien stabil.

Hamburg sei ein "Vorzeige-Bundesland", sagte die ehemalige SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, kürzlich bei einem gemeinsamen Auftritt mit Tschentscher. Was zunächst wie eine Wahlkampf-Plattitüde wirkt, hat einen wahren Kern: Das Durchschnittsgehalt ist deutlich höher als in anderen Bundesländern. Im Vergleich zu den beiden anderen Stadtstaaten Bremen und Berlin finden zudem deutlich mehr Arbeitnehmer einen Job.

SPD und Grüne regieren seit 2015 zusammen in Hamburg

Dass sich die Wahlkämpfe für die vorgezogene Bundestagswahl am vergangenen Sonntag und die Bürgerschaftswahl eine Woche später überlagerten, sei zwar nicht optimal, findet Tschentscher. Die Hamburger SPD hätte gern einen eigenständigen Landeswahlkampf geführt, werde aber damit "zurechtkommen". In der Tat sprechen die Umfragen dafür. Die SPD führt mit 32 bis 33 Prozent weit vor allen anderen Parteien.

Damit würden die Sozialdemokraten, die 2011 unter Scholz mit 48,4 Prozent die absolute Mehrheit holten und bei der Bürgerschaftswahl 2020 immerhin noch auf 39,2 Prozent kamen, zwar das dritte Mal in Folge massiv Stimmen verlieren. Doch die Mehrheitsverhältnisse sind weiterhin relativ klar, einer Neuauflage der seit 2015 regierenden Koalition aus SPD und Grünen steht voraussichtlich nichts im Weg. Beide Parteien sprechen sich dafür aus.

Es sei sein "Wunsch", den politischen Kurs in der Hansestadt fortzusetzen und mit den Grünen "schnell zu einer stabilen Regierung" zu kommen, sagte Tschentscher am Donnerstag im Fernsehtriell der Spitzenkandidaten im NDR.

Im Wettkampf der Spitzenkandierenden führt Tschentscher ohnehin haushoch. Einer Umfrage zufolge wollen ihn 51 Prozent weiterhin als Bürgermeister, die Grünen-Spitzenkandidatin und Vizeregierungschefin Katharina Fegebank sowie den CDU-Herausforderer Dennis Thering nur je 14 beziehungsweise 15 Prozent. Tschentscher wird zudem einer anderen Befragung zufolge auch als deutlich glaubwürdiger, sympathischer und führungsstärker wahrgenommen. Eine schwache Hamburger Union spielte ihm und seiner Partei in den letzten Jahren in die Karten.

Das Geheimrezept des Peter Tschentscher

Als klassischer Macht- und Spitzenpolitiker gilt Tschentscher dabei weniger. Ihn zog es ursprünglich gar nicht in die erste Reihe der Politik. Er war Oberarzt in leitender Funktion am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zudem war er Abgeordneter in der Bezirksversammlung im Hamburger Stadtteil Wandsbek, zwischen 2008 und 2011 saß er in der Bürgerschaft. 2011 wechselte er als Finanzsenator in den Senat und wurde erst dadurch zu einem Vollzeitpolitiker.

Tschentscher war sieben Jahre lang Finanzsenator unter Hamburgs damaligem Bürgermeister Scholz, weitergehende Ambitionen wurden ihm nicht nachgesagt. Als Scholz 2018 als Bundesfinanzminister nach Berlin wechselte, übernahm zwar Tschentscher – allerdings erst, als der als Kronprinz gehandelte damalige Chef der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Andreas Dressel, abwinkte. Viele sprachen daher von einer Übergangslösung.

Nach dem SPD-Sieg bei der Bürgerschaftswahl 2020 aber blieb Tschentscher und etablierte sich. In der eskalierenden Coronapandemie setzte der frühere Arzt auf ruhige Kommunikation und bundesweit abgestimmtes Handeln. Sein Politikansatz wird allgemein gern mit dem seines Amtsvorgängers Scholz verglichen. Dessen betont unideologische Maxime, dass Wählerinnen und Wähler vor allem "gutes Regieren" honorierten, passt auch zu Tschentscher.

Wie Scholz ist auch Tschentscher kein Freund glamouröser Auftritte, aber es gibt auch Unterschiede. "Ich habe, glaube ich, mehr Freude daran, mit Bürgern ins Gespräch zu kommen", antwortete der verheiratete Vater eines erwachsenen Sohns schon vor Jahren auf die Frage, was er anders mache als Scholz. Anders als dieser zu seinen Hamburger Zeiten konzentriert sich Tschentscher zudem auf das Bürgermeisteramt. Die Führung der SPD überlässt er anderen, Parteichefs sind Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard und der Jurist Nils Weiland. Dass die SPD in Hamburg über Jahre so gut abschneidet, liegt also vor allem an der Person Peter Tschentscher.

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2025. All rights are reserved