2 months ago

Bundesverfassungsgericht: Der hessische Verfassungsschutz darf zu viel



Verdeckte Ermittler:innen, Handyortung, Datenübermittlung: Zahlreiche Regelungen im Hessischen Verfassungsschutzgesetz gehen zu weit. Das stellte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fest. Nun muss Hessen nachbessern. Einiges kippte das Gericht jedoch sofort.

Silvia Gingold auf einer KundgebungEine der Beschwerdeführer:innen: Silvia Gingold, die wegen ihres antifaschistischen Engagements vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Hartenfelser

Teile des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) sind verfassungswidrig. Sie verstoßen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung, so das Karlsruher Bundesverfassungsgericht in einer Pressemitteilung.

Das Gericht beanstandet in seinem Beschluss unter anderem die Regelungen zur Ortung von Mobilfunkgeräten. Sie erlauben „eine engmaschige langandauernde Überwachung der Bewegungen im Raum“, ohne dass es „eine dafür hinreichende Eingriffsschwelle“ gebe. Auch gesetzliche Bestimmungen zum Einsatz von verdeckten Ermittler:innen sowie Datenübermittlungsbefugnisse an andere Behörden hielten einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Neben zu niedrigen Eingriffsschwellen mahnt das Gericht an, dass die Regeln zum Datenaustausch mit Strafverfolgungsbehörden nicht an „hinreichend gewichtige Straftaten anknüpfen“. So umfasst die Definition einer besonders schweren Straftat im beanstandeten Gesetz, wenn die Tat geeignet sei, „das Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts zu erschüttern“.

Manche Beschwerdeführer:innen selbst im Visier

An der zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde beteiligt waren die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Humanistische Union (HU), die Datenschützer Rhein Main sowie das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Verfahrensbevollmächtigter war der Rechtswissenschaftler Tobias Singelnstein.

Zwei der insgesamt fünf Beschwerdeführer:innen engagieren sich in Organisationen, die wegen ihres antifaschistischen Engagements selbst vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Zwei weitere vertreten als Anwält:innen Personen, die ihrerseits unter Beobachtung stehen. Der fünfte Beschwerdeführer hat als Journalist regelmäßig Kontakt mit Personen, die für den hessischen Landesgeheimdienst interessant sind.

„Der lange Atem für die Grundrechte lohnt sich. Das Bundesverfassungsgericht weist den hessischen Verfassungsschutz in die Schranken und festigt damit seine grundrechtsfreundliche Rechtsprechung zu den Geheimdiensten“, so David Werdermann, Verfahrenskoordinator bei der GFF, als Reaktion auf den Beschluss der Karlsruher Richter:innen.

Erst Bayern, dann Hessen

Damit bezieht sich Werdermann auch auf ein Urteil aus dem Jahr 2022, in dem das Bundesverfassungsgericht viele Befugnisse im ebenso angefochtenen Bayerischen Verfassungsschutz beanstandet hatte. Trotz der anschließenden Novellierung läuft dagegen jedoch bereits eine neue Verfassungsbeschwerde, die sich insbesondere gegen die Informationsweitergabe an private Stellen richtet.

„Die hessische Landesregierung muss nachsitzen, weil sie schlampig mit elementaren Bürgerrechten umgegangen ist“, sagt Franz Josef Hanke, stellvertretender Landessprecher der Humanistischen Union Hessen und Beschwerdeführer im hessischen Fall. Er verweist darauf, dass Hessen nicht zum ersten Mal vor dem Bundesverfassungsgericht zurechtgewiesen wird.

2023 ging es in Karlsruhe um die Befugnisse für die hessische Polizei, genauer um Regelungen zur automatisierten Datenanalyse im Polizeigesetz. Damals verlangten die Richter:innen, dass es klare Vorgaben geben müsse, wann die Polizei Auswertungen mit Big-Data-Analysen erstellen darf. Auch hier gab es eine Neuregelung und auch hier zog die GFF aufgrund bleibender Kritik mit anderen erneut vor Gericht.

Bei den meisten der beanstandeten Punkte im Hessischen Verfassungsschutzgesetz hat das Bundesland nun bis Ende 2025 Zeit nachzubessern. Einiges darf der Landesgeheimdienst jedoch auch in dieser Übergangszeit nicht mehr tun. So muss bei einer Handyortung sichergestellt sein, „dass die Bewegungen des Mobilfunkendgerätes einer beobachteten Person nur punktuell und nicht längerfristig nachverfolgt“ werden können. Auch Datenübermittlungen an Strafverfolgungsbehörden, die nicht wegen klar bestimmter und besonders schwerer Straftaten geschehen, sind fortan nicht erlaubt.


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