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Bundestagswahl: Zwischen Realpolitik und Idealen: Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck



Kanzlerkandidat im zweiten Anlauf: 2021 verzichtete Robert Habeck, jetzt geht er für die Grünen bei der Bundestagswahl ins Rennen. Leichtes Spiel hat der 55-Jährige dabei nicht.

Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wollte Robert Habeck eigentlich schon vor vier Jahren werden. Doch bei der damaligen Bundestagswahl ließ er Annalena Baerbock den Vortritt. Es sei "der schmerzhafteste Tag" in seiner politischen Laufbahn gewesen, sagte Habeck damals und sorgte im Nachgang für Zweifel daran, wie freiwillig sein Verzicht wirklich war: "Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen."

Baerbock taumelte anschließend mächtig im Wahlkampf und verlor durch einen Lebenslauf-Patzer und Plagiatsvorwürfe zunehmend Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Der Rest ist bekannt: Laschet lachte, und Scholz machte das Rennen. Der Traum von der ersten Grünen Bundeskanzlerin war damit vorerst ausgeträumt. 

Habeck aber glaubt noch immer – oder wieder – daran. Er will es nochmal versuchen. Dieses Mal steht ihm dabei zumindest parteiintern keiner im Weg: Im November stimmten die Grünen beim Bundesparteitag mit 96,48 Prozent eindeutig für den 55-Jährigen als Kanzlerkandidaten. Wie schon 2021 bildet er im Wahlkampf ein Duo mit Annalena Baerbock, jetzt aber mit getauschten Rollen. Die Außenministerin unterstützt ihn im Rennen um die Kanzlerschaft.

STERN PAID 49_24 Robert Habeck

Regierungserfahrung hat Habeck als Vizekanzler und Wirtschaftsminister zwar nun auch auf Bundesebene vorzuweisen. Das krachende Scheitern der Ampel-Koalition und die damit verbundene Missgunst mancher Bürger gegenüber ihm und seiner Partei sitzen ihm jedoch im Nacken.

Manche Kompromisse bringen Ärger

Habeck gilt innerhalb seiner Partei als ausgewiesener Realpolitiker. In den Vordergrund stellt er die Bündnisfähigkeit der Grünen in der politischen Mitte. "Wir müssen Brücken bauen" und "einigungsfähig sein", sagte er in einer Parteitagsrede. Der Vizekanzler wirbt dabei für eine politische Kultur, bei der die Suche nach Lösungen Priorität hat. Darin bestünde auch eine Chance: "In der Politik zu lernen – wie jeder andere jeden Tag auch".

Die Kompromissbereitschaft bringt der gebürtige Lübecker aus seinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein mit, wo er über sechs Jahre lang Minister und stellvertretender Ministerpräsident in der Landesregierung war. Dort kam er bei der breiten Bevölkerung gut an. Auch bei Landwirten, die sich sonst wenig von den Grünen verstanden fühlen, wie die Bauernproteste zu Beginn des letzten Jahres zeigten. Habeck selbst lebt mit seiner Familie ländlich, nahe der dänischen Grenze.

Dass es auf Bundesebene Kompromisse von größerem Kaliber braucht, lernte der Norddeutsche teilweise auf die harte Tour. Während seiner Amtszeit als Wirtschafts- und Klimaschutzminister befand er sich in einem permanenten Balanceakt zwischen der Gunst seiner Parteikollegen und der des Volkes. Klimaschutzziele erreichen und die Energieversorgung sichern – gar nicht so einfach.

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Fluch und Segen des "Habeckismus"

Nachdem Russland 2022 die Ukraine angegriffen hatte, reiste der Grünen-Politiker nach Katar, um neue Gaslieferanten zu gewinnen. Die Ideale seiner Partei ordnete er dabei der Energieversorgung Deutschlands unter und verbeugte sich sogar vor den Machthabern des Wüstenstaates. Anschließend meldete Habeck sich in einer Videobotschaft aus Doha und bezeichnete die Reise als "total merkwürdig", erklärte aber die Notwendigkeit seines Vorgehens.

Diese offene Kommunikation kam bei der deutschen Bevölkerung gut an, bei manchen Parteikollegen weniger. Genauso wie Habecks Vorschlag, bei der Energiewende mit Rücksicht auf die Wirtschaftslage vorerst nicht noch "einen draufzupacken". Als die Atomkraftwerke in Deutschland länger als geplant liefen und die Kohle unter dem Ort Lützerath abgebaggert wurde, hätten sich einige Grünen-Politiker wohl auch mehr Protest von Habeck gewünscht.

Anders sah es beim umstrittenen Heizungsgesetz im Jahr 2023 aus. Fossile Heizungen sollen schrittweise durch klimafreundliche ersetzt werden, lautete der Plan Habecks und seiner Partei. Doch das Vorhaben sorgte bei Bürgern für Verunsicherung, zu viele Fragen blieben lange offen: Wie streng ist das Gesetz? Welche Förderungen gibt es? Habeck sah sich mit zunehmender Kritik konfrontiert, da Skeptiker ihn für das Chaos rund um das Gesetz verantwortlich machten. "Ich bin zu weit gegangen", räumte er später ein.Rekonstruktion Merz 6:05

Das Abwägen zwischen Kompromissen und den Idealen seiner Partei begleitet den Grünen-Politiker in den letzten Jahren. Einen Begriff für seine Politik gibt es auch bereits: "Habeckismus".

Die Grünen seien "cool, aber bisschen freaky"

Insgesamt hatte Robert Habeck keine leichte Amtszeit. Aktuell ist er auch noch Wirtschaftsminister in einer Wirtschaftskrise und muss die eigene Partei aus einem Umfragetief holen. Nicht die beste Ausgangslage für den Wahlkampf.

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Um sein Image und das der Grünen wieder aufzubessern, nutzt Habeck derzeit alle Kanäle. Er meldete sich sogar auf X (vormals Twitter) zurück, während andere Nutzer die Plattform dieser Tage wegen ihres Besitzers, dem US-Milliardär und Trump-Buddy Elon Musk, eher verlassen. Manchmal schlägt Habeck mit seinen Inszenierungen auf Social Media auch über die Stränge (lesen Sie hierzu: "Habecks Auschwitz-Fauxpas: An manchen Orten verbietet sich Inszenierung").

Mitte Januar war der Vizekanzler im Twitch-Livestream von Maximilian Knabe alias "HandOfBlood" zu Gast, sprach über Ostfriesenwitze, Biersorten und artgerechte Tierhaltung. Die Grünen seien "cool, aber bisschen freaky". Das Ziel solcher Aktionen liegt auf der Hand: junge Wähler für sich gewinnen. Ob Habeck das gelingt, zeigt sich bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Seine Partei steht zumindest geschlossen hinter ihm. Trotz unbeliebter Kompromisse in der Vergangenheit.

Weitere Quellen:Zeit Online", Tagesschau", mit AFP-Material

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