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Bundesliga: Sie sind also doch nur Menschen: Bayern-Stars verschenken Sieg bei Union Berlin



Der FC Bayern ist das Feinste vom Feinen, was der deutsche Fußball zu bieten hat. Aber gegen Underdogs wie die Ballarbeiter vom 1. FC Union tut sich das Starensemble schwer.

Thomas Müller hat es kommen sehen. 495 Spiele für den FC Bayern, 131 Einsätze in der Nationalmannschaft, da hat man wohl das, was man im Fußball "einen Riecher" nennt. Jedenfalls sah man den Mann, der schon alles gesehen hat, in der 83. Minute an der Seitenlinie wild gestikulieren. Die Aufregung im hochroten Gesicht, irgendetwas brüllte Müller, als Edelreservist noch beim Warmlaufen, in Richtung Bayern-Strafraum – und da war es auch schon passiert: Flanke von rechts, leicht abgefälscht, Bayern-Torwart Jonas Urbig wehrt unglücklich ab, halblinks am Strafraum taucht plötzlich Benedict Hollerbach auf und erzielt für Union Berlin das 1:1. 

Vorausgegangen war eine Demonstration drückender Überlegenheit. Klassenkampf auf dem grünen Rasen der Alten Försterei, fußballkapitalistischer Geldadel gegen Liga-Proletariat, Talent im Übermaß gegen anständig-biedere Fußballarbeiterei. Die Millionarios aus München nahmen sich ab der ersten Spielminute den Ball und gaben ihn nicht mehr her. Aus allen Fußball-Datenbanken müssen die Sicherungen rausgeflogen sein: um die 85 Prozent Ballbesitz für den FC Bayern – wohlgemerkt, bei einem Auswärtsspiel. Wohlgemerkt in einer der gefürchtetsten Arenen der Bundesliga, enge Stadionkiste mit furchterregendem Sound. 

Die Eisernen mit fußballerischer Notwehr gegen den FC Bayern

Dort machte sich unter den Fans ein wohliges Underdog-Gefühl breit. Jede Grätsche: bejubelt, wie ein Tor per Fallrückzieher. Jeder Befreiungsschlag, nach guter altdeutscher Fußball-Art weit in den Himmel über Berlin-Köpenick gedroschen: gefeiert als Heldentat derjenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Fußball-Geschäfts stehen. Schön war das alles nicht anzuschauen. Aber, wenn man von der Geschichte so wenig geliebt wird, geht es eben nicht um Schönheit – sondern um fußballerische Notwehr.

Allein das FC-Bayern-Juwel Jamal Musiala kommt auf einen Marktwert von 140 Millionen Euro – das ist mehr als der gesamte Kader von Union Berlin derzeit im Verkaufsfalle abwerfen würde. Welten trafen aufeinander: Tabellenführer gegen Abstiegskandidat, ein Starensemble mit Kane, Kimmich, Gnabry, Sané oder dem unwiderstehlichen Olise gegen die Trimmels und Haberers dieser Welt. Leider durften die nicht mitspielen, sondern allenfalls als Statisten den Künstlern im Bayern-Trikot bei ihren endlosen Ballstafetten im Guardiola-Stil vor allem: hinterherschwitzen.

Union-Trainer Steffen Baumgart, der wegen einer Mecker-Sperre aus dem letzten Spiel der Fußball-Demonstration auf der Tribüne beiwohnen musste, gab nach dem Spiel freimütig zu, seine Mannschaft hätte am eigenen Strafraum "einen Bus geparkt", um auf diese Weise verbarrikadiert die 90 Minuten zu überstehen.  Und erzählte, dass er "das ganze Spiel nicht das Gefühl hatte, dass es für einen Punkt reicht".

Union verpasst um ein Haar die ganz große Sensation

Tatsächlich war die Spielhälfte des FC Bayern über weite Strecken so unbespielt, dass man meinen konnte, auf dem unangetasteten grünen Rasen dort könnte auch bald Urwald wachsen. Unterdessen brüllten sie auf der "Waldseite", dort wo die Union-Ultras stehen, tapfer: "Hier regiert der F-C-U!" Doch hier regierte einzig und allein der FC Bayern und der "FCU" durfte vor allem eines: Zuschauen. 

Einzig die Tatsache, dass das Bayern-Ensemble bemerkenswert wenige echte Torchancen herausspielte, ließ den Union-Trainer etwas hoffen. Doch nachdem der eingewechselte Leroy Sané in der 75. Minute cool und flach zum 1:0 für den FC Bayern eingeschoben hatte, schien alles erledigt. Bis zum Ausgleich des Berliner Fußball-Proletariats kurz vor Schluss. Jetzt, man rieb sich die Augen, starteten die Unioner sogar einige wilde Angriffsversuche.

Wäre jetzt sogar noch das 2:1 gefallen, man hätte einen jener unvergesslichen Momente erlebt in der Union-Geschichte, in denen das Unmögliche doch noch möglich gemacht wird und der Stadionsprecher nach dem Schlusspfiff auch gern mal mit dem Mikro in der Hand übers Spielfeld läuft und beseelt feststellt: "Liebe Unioner, das ist einer der Tage, für die es sich zu leben lohnt."

Gegen Mannschaften, die den "Bus parken" tut sich auch der FC Bayern schwer

Wie schon bei der ziemlich sensationellen 2:3-Heimniederlage gegen den VfL Bochum zeigte sich auch in Berlin, dass die Ballkünstler aus München sich vor allem im grauen Bundesliga-Alltag gegen Fußball-Underdogs, wenn Siege Pflicht sind und großer Ruhm nicht zu erwarten ist, durchaus schwertun. Die Spezialität von Trainer Vincent Kompany: den Gegner extrem hoch anlaufen, damit Ballgewinne in der gefährlichen Zone nahe dem gegnerischen Tor erzielen und diese dann mit blitzschnellen Kombinationen in die Tiefe zu Treffern verwandeln – sie funktioniert natürlich eher schlecht, wenn man die ganze Zeit den Ball selber hat. Mannschaften wie Union Berlin, die im eigenen Strafraum den "Bus parken", können sogar Stars wie die aus München nerven. Irgendwann, wenn die Zuspiele zu ungenau werden und das ersehnte Tor ausbleibt, haben auch überlegene Mannschaften die Neigung, sich dem deutlich niedrigeren Niveau des Gegners anzupassen. 

Insofern dürfte sich Kompany freuen, wenn es jetzt in der Champions League endlich wieder gegen einen Großen geht: im Viertelfinale wartet Inter Mailand. San Siro statt Alte Försterei, Spiel auf Augenhöhe statt Klassenkampf gegen zwar sympathische, aber in ihren Möglichkeiten auch begrenzte Balltreter, die sich – wer will es ihnen verübeln? – vor allem aufs Zerstören verlegen. Gegen Inter heißt es alsoendlichch wieder richtiger Fußball. 

Aber wir verdanken diesem Nachmittag in der Alten Försterei von Berlin-Köpenick doch eine wichtige Erkenntnis. Die wunderbaren Spieler im Trikot des FC Bayern, die mit dem Ball am Fuß so gottgleich übers Feld schweben können – sie sind am Ende doch auch nur Menschen. 

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