Bundesliga-Aufstieg: Murphy’s Law im Volksparkstadion: Geht schon wieder alles schief beim HSV?

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Lange nicht mehr war es so einfach, der Zweiten Liga zu entkommen. Warum der HSV trotzdem um den Aufstieg bangen muss.

Wenn es gerade gut läuft – und es lief bis zum März ziemlich gut für den Hamburger Sportverein – sollte man vier Dinge nicht tun:

  1. Man sollte die eigene Mannschaft nicht vor dem versammelten Publikum als Vergeiger-Truppe brandmarken, die jetzt mit gemeinsamer Anstrengung über die Ziellinie getragen werden müsse. So geschehen am 27. Spieltag der 2. Bundesliga vor dem Heimspiel des HSV gegen den SV Elversberg. Dabei hatte es der Stadionsprecher nur gut gemeint, als er vor Anpfiff die Anhänger motivieren wollte. Sinngemäß sagte er: Der HSV habe in den vergangenen sechs Saisons immer vor der Tür zum Aufstieg gestanden, leider habe er den letzten Schritt nie gemacht. Jetzt aber sei die Zeit gekommen, dass man die Mannschaft gemeinsam durch die Tür trage. Am Ende stand es 0:0 gegen eine Dorfmannschaft aus dem Saarland, und die Wohlmeinenden sagten: In den vergangenen Saisons hätte man so ein Spiel verloren, durch irgendeine Tölpelei. Aber diese Stolperer und Aussetzer in der Abwehr, die seien ja längst abgestellt. Die Wohlmeinenden sollten bald eines Besseren belehrt werden.
     
  2. Man sollte keinen Zank beginnen mit dem Mann, dem man es zu verdanken hat, dass der HSV trotz missratener Hinrunde, die mit dem Rausschmiss des Cheftrainers Steffen Baumgart und der Beförderung des Assistenztrainers Merlin Polzin (mittlerweile 34 Jahre alt) endete, so gut dasteht wie in all den Jahren zuvor nicht: mit dem Stürmer Davie Selke. Dieser war zu Saisonbeginn eher als Notnagel aus Köln geholt worden, Fachbegriff: Backup, doch er wurde nach der Verletzung des eigentlichen Stürmerstars Robert Glatzel zur Dampflok, die das Team nach vorne zog. Einen Kämpfer wie Selke, der meist direkt nach dem Anpfiff den ersten Spieler der anderen Mannschaft anrempelt, hast du gern in deinen eigenen Reihen, du willst ihn auf gar keinen Fall zum Gegner haben. Dummerweise machte der Verein genau das: Er konnte sich mit Selke nicht über einen neuen Vertrag einigen, was dazu führte, dass Selke die Vereinsführung öffentlich anrempelte. Nach dem Spiel gegen Elversberg verkündete er: "Ich kann nichts versprechen, wir werden sehen, wie die Gespräche laufen. Das ist in beide Richtungen offen – leider." Das "leider" wirkte wie eine Grätsche mit offener Sohle. Tut weh. Der bemitleidenswerte Trainer Polzin musste das ausbaden. Gegen den FC Schalke 04 am 30. Spieltag brachte er Selke erst in der 82. Minute. Das Spiel endete 2:2, obwohl der HSV fast die gesamte Länge über mit einem Mann mehr gespielt hatte. Die Laune von Selke, dem einige Hamburger Fans "Fußballgott" hinterherrufen, fast ohne ironischen Unterton, dürfte nicht besser geworden sein. Leider.
     
  3. Man sollte eine Mannschaft, die aus vielen soliden Fußball-Handwerkern (Jonas Meffert) ein paar Fußball-Artisten (Jean-Luc Dompé, der am 28. Spieltag nahezu im Alleingang den 1. FC Nürnberg verknotete, Endstand 3:0 für den HSV) zusammengestellt ist, nicht mit jenem Team vergleichen, das 1983 den Fußballolymp bestieg, den Pokal der Landesmeister gewann, dessen Abglanz auf dem Trikot in Form eines Sterns über dem Vereinszeichen, der Raute, verewigt ist. Das kann ihr zu Kopf steigen, was wiederum dazu führt, dass sie wie benebelt kickt. So geschehen am 29. Spieltag im Heimspiel gegen die bis dahin akut abstiegsgefährdete Eintracht Braunschweig. Die oft sehr kreative Nordkurve, das Reich der treuesten und lautesten Anhänger im Volksparkstadion, entrollte ein titanisches Transparent, das eine Art Fußball-Zeus zeigte, darunter der Schriftzug: "Du bist zu Höherem bestimmt." Die Tiefschläge folgten sogleich: Der HSV verlor zum ersten Mal in dieser Saison im eigenen Stadion, 2:4, Resultat einer Kette von Stolperern und Aussetzern. Eine besondere Pechvogel-Erwähnung verdiente sich der Verteidiger Silvan Hefti, der das Eigentor zum 0:2 markierte und der ohnehin anhaltend überfordert wirkt, was Trainer Polzin aber offenbar anders sieht. Der Blitz des Kurven-Zeus hat aus der Mannschaft in dem Spiel Asche gemacht, und so grau war auch ihr Fußball.
     
  4. Man sollte sich nicht mit den Fans anlegen, die all die schlimmen Zweitliga-Jahre lang ins Stadion geströmt sind. Man sollte sie in Freibier aufwiegen oder ihnen ein besseres Pausenprogramm anbieten, als es bislang der Fall ist, Höhepunkt: Ein armer Tölpel soll irgendwelche Brocken umschießen, die aussehen wie kleine Schiffscontainer. Auf dem Rummel macht das Spaß, als Unterhaltung für Menschen, die Eintritt bezahlt haben, ist es nicht zur Nachahmung empfohlen. Wer stattdessen auf die Idee kommt, die Ticketpreise für die letzten Heimspiele der Saison derart in die Höhe zu schrauben, als handelte sich die Partie gegen den noch aktuter abstiegsgefährdeten SSV Ulm (am vorletzten Spieltag am 10. Mai) um einen Auftritt von Taylor Swift, der sollte eigentlich mit sieben weiteren Jahren Zweitklassigkeit bestraft werden. Diesen Unmut drückten die Fans nun am zurückliegenden Spieltag aus, die statt eines griechischen Gotts zahlreiche Transparente entrollten, die authentischen Volkszorn ausdrückten, ungefähr so: "Ich wollt ins Stadion, nichts ins Dispo" und "Ihr skrupellosen Gauner". Das Spiel gegen den Karlsruher SC ging 1:2 verloren; die zweite Heimniederlage in Folge hielt ein paar Abwehrschnitzer bereit, für die sich selbst der Erfinder der Abwehrschnitzer, der ehemalige HSV-Trainer Tim Walter, geschämt hätte.

Der HSV hat den Bundesliga-Aufstieg selbst in der Hand

Nun steht der HSV nach einem Horrormonat April (formerly known as "Horrormonat März") immer noch auf einem Aufstiegsplatz und trotzdem mit dem Rücken zur Wand. Verbockt hat das weniger die Mannschaft selbst, sondern der Klub, der möglicherweise einen gewissen Mister Murphy in seinen Reihen hat, nach dessen Regel (bekannt als Murphy's Law) stets all das schiefgeht, was schiefgehen kann. Der Aufstieg kann immer noch gelingen. Das Problem aber ist: Der HSV hat ihn selbst in der Hand.