
Aus Transparenzgründen soll das Bundesarchiv eigentlich Korrespondenzen ausgeschiedener Regierungsmitglieder sichern. Das gelingt aber oft nicht oder nur teilweise. Derzeit bemüht sich die Behörde laut einem Bericht, die Daten unter anderem von Ex-Finanzminister Lindner zu bekommen. Und ist besorgt
Das Bundesarchiv wartet laut einem Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv auf den Zugang zu Postfächern, Chatverläufen und Kalenderdaten ehemaliger Kabinettsmitglieder der Ampelregierung. Eigentlich sind Amtsträger nach dem Bundesarchivgesetz dazu verpflichtet, ihre Unterlagen der Koblenzer Behörde anzubieten. Unter anderem Ex-Finanzminister Christian Lindner und die ehemalige Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, beide von der FDP, haben dies Correctiv zufolge bislang nicht getan.
Beim Bundesarchiv besteht offenbar die Sorge, dass die Mailfächer der Minister schon gelöscht sind oder kurz vor der Löschung stehen. Dem Netzwerk liegen Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, wie sich das Bundesarchiv derzeit darum bemüht, Vernichtungsaktionen zu verhindern.
Correctiv zitiert aus einer Mail vom 26. Februar an das Kanzleramt und ein Großteil der Ministerien, in der an die gesetzliche Verpflichtung erinnert wird, Dateien zur Aufbewahrung anzubieten. "Das Bundesarchiv weist daher ausdrücklich darauf hin, dass ihm die E-Mail-Postfächer, Kalenderdaten, Messenger-Accounts, Dateiablagen usw. ausscheidender Leitungspersonen zur Übernahme anzubieten sind, bevor eine Löschung in Betracht kommt", heißt es darin.
Rund einen Monat später bekräftigte ein weiteres Mahnschreiben die Forderung. Beim Bundesarchiv herrscht demnach "inzwischen der Eindruck vor, dass eine vollständige Aktenführung aufgrund elektronischer Abläufe teilweise nicht mehr vollumfänglich gewährleistet ist".
Lindner-Aufforderung schon im November
Im Finanzministerium von Lindner ging Correctiv zufolge schon im November 2024 eine Verfügung ein. Lindner und die anderen FDP-Minister waren nach dem Bruch der Ampel da bereits entlassen worden. Alle Personalabgänge, darunter auch Lindner selbst, waren angewiesen, "das E-Mail-Postfach (inklusive Kalender)" mit dem Ausscheiden "zu deaktivieren". 180 Tage später seien die Datensätze "automatisiert und unwiderruflich zu löschen". Diese Frist ist inzwischen verstrichen, offenbar ohne, dass die Behörde die Daten erhalten hat. Vom früheren Justizminister Marco Buschmann gingen Correctiv zufolge Ende 2024 lediglich die Kalenderdaten beim Bundesarchiv ein. Seine Mailfächer dürften dem Bericht zufolge aber inzwischen gelöscht sein.
Das Kanzleramt und die Bundesministerien legen das Bundesarchivgesetz laut Correctiv anders aus und wiesen bislang darauf hin, dass eine Aufbewahrung und Anbietung ganzer Mailfächer nicht nötig sei. Die reguläre Aktenführung sei ausreichend. Minister, Staatssekretäre und ihre Mitarbeiter hätten bereits während ihrer Amtszeit dafür gesorgt, dass alle relevanten Informationen zu den offiziellen Akten genommen werden.
Lücken in U-Ausschüssen
Laut Correctiv haben in der Vergangenheit aber wiederholt relevante Daten von Bundesministern gefehlt. Im Jahr 2020 mussten die Abgeordneten in Untersuchungsausschüssen feststellen, dass Textnachrichten auf Handys der früheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer gelöscht waren. 2023 wurde bei Untersuchungen zum Afghanistan-Abzug bekannt, dass der Dienstkalender von Ex-Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr vorhanden war.
Bereits eine Recherche der "Welt" hatte 2022 ergeben, dass das Kanzleramt und die Bundesministerien den Mailverkehr beim Ausscheiden ihrer Regierungsmitglieder pauschal löschen. Correctiv-Anfragen unter anderem beim Innenministerium und Umweltministerium der neuen schwarz-roten Regierung ergaben, dass es bei der bisherigen "Veraktungspraxis" bleiben soll - also keine ganzen Chat- und Mailprotokolle überliefert werden. Damit könnten weiter Mailfächer und Chatnachrichten gelöscht werden. Das Kanzleramt und die meisten Ministerien ließen die Anfrage unbeantwortet.