Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist klar: Will die CDU regieren, braucht sie das BSW. Doch Wagenknecht versucht stattdessen, die Partei zu spalten. Die steht vor schmerzhaften Entscheidungen.
Was haben US-Mittelstreckenraketen und der Krieg in der Ukraine mit Landespolitik in Thüringen und Sachsen zu tun? "Nichts", wäre die Antwort, wenn man einen beliebigen CDU-Politiker fragen würde. "Alles" würde dagegen Sahra Wagenknecht sagen.
In einer normalen Welt wäre das kein Problem. CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht hätten darin nicht viel miteinander zu tun. Man könnte abwinken, den Kopf schütteln und zur Tagesordnung übergehen. Doch in Thüringen und Sachsen ist die CDU nach der Landtagswahl am 1. September auf Unterstützung des BSW angewiesen, wenn sie dort regieren will. Mehr noch: Arbeiten CDU und BSW nicht zusammen, gibt es überhaupt keine Mehrheiten jenseits der AfD. Es steht also viel auf dem Spiel.
Offensichtlich möchte sich das BSW, möchte sich Wagenknecht aber nicht so einfach in die Arme der CDU werfen. In Thüringen zeigt sich das bereits konkret. Am Freitagabend stellte der erweiterte BSW-Landesvorstand eine neue Bedingung für eine Koalition: In einer Präambel zu einem Koalitionsvertrag müsse mehr Diplomatie zur Beendigung des Ukraine-Krieges gefordert und die Stationierung von US-Mittelstrecken in Deutschland abgelehnt werden. Ohne so ein Vorwort keine Koalition.
Frontalangriff auf Merz
Wagenknecht selbst startete daraufhin einen Frontalangriff gegen CDU-Chef Friedrich Merz. Dem "Spiegel" sagte sie, CDU-Chef Friedrich Merz habe im Bundestag eine "entsetzliche Rede" gehalten und "faktisch einen Kriegseintritt Deutschlands gegen Russland gefordert". Ihre Partei könne nur in Koalitionen eintreten, wenn die Landesregierung sich von solchen Positionen klar abgrenzt.
In seiner Rede am Mittwoch hatte Merz zwar keineswegs wörtlich einen Kriegseintritt gefordert. Aber durchaus eine härtere Gangart gegenüber dem russischen Präsidenten: Man müsse Wladimir Putin diese Ansage machen: Lässt er weiter zivile Einrichtungen wie Kindergärten und Krankenhäuser in der Ukraine bombardieren, liefert Deutschland den Marschflugkörper Taurus. Damit könnten die Ukrainer die Nachschubwege der Russen in Russland angreifen, sagte der Kanzlerkandidat. Völkerrechtlich wäre das legitim und kein Kriegseintritt Deutschlands.
Wagenknechts Forderung läuft darauf hinaus, dass sich CDU-Landeschef Voigt für eine Koalition mit dem BSW von seinem Vorsitzenden Merz distanziert. Ein ähnliches Manöver hatte sie schon zuvor erfolgreich über die Bühne gebracht. Sie hatte Voigt, Kretschmer und den brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke dazu gebracht, öffentlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" diplomatische Initiativen gegenüber Russland zu fordern. Alle drei können ohne BSW nicht regieren.
Schon vor der Wahl hatte Wagenknecht die Ablehnung der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zur Bedingung für Koalitionen gemacht. Darauf ließ sich die CDU nicht ein. Während die Partei versucht, Stärke zu demonstrieren, wird Wagenknecht mehr und mehr zur Albtraum-Partnerin im Hintergrund. "Ich finde eine solche Forderung geradezu absurd, dass man in einem Koalitionsvertrag für eine Landesregierung in Thüringen darüber entscheidet, was beispielsweise in Hessen getan werden soll", sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, bei ntv.
DNA der CDU, DNA des BSW
Auch die Forderung, sich von Merz zu distanzieren, ließ man abtropfen. Voigt postete demonstrativ ein Foto von sich und Merz und schrieb darunter "eine Union". Frei sagte bei ntv, er hoffe auf eine Lösung zum Wohle des Landes. "Aber das kann keinesfalls bedeuten, dass wir die Grundfesten christdemokratischer Politik in Deutschland zur Disposition stellen."
Zu diesen "Grundfesten" gehört die Westbindung, das Bündnis mit den USA und ein Eintreten für Demokratie und Freiheit. Das bedeutet für die CDU, zumindest für ihre Mehrheit, klar an der Seite der Ukraine zu stehen. Denn die wurde vom Nachbarn Russland brutal überfallen und kämpft für Freiheit und Demokratie. Das betrifft die Wurzeln der CDU, das geht zurück bis in die Gründungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist die DNA der CDU.
Doch diese Frage betrifft auch die junge DNA der Wagenknecht-Partei. Denn die hat zwei zentrale Themen: Zuwanderung und Ukraine. Die Zuwanderung will Wagenknecht begrenzen und in der Ukraine-Frage fordert sie einen russlandfreundlicheren Kurs. Ihre Kritiker würden es drastischer formulieren: Sie will die Ukraine Putin überlassen, ja, zum Fraß vorwerfen. Mit dieser Mischung und ihr selbst als Gallionsfigur feierte sie in diesem Jahr spektakuläre Erfolge. Bei der Europawahl, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Aus dem Stand zog sie in die Parlamente ein. Soll sie dort diese Positionen gleich wieder räumen?
Mario Voigt würde dagegen mit einem klaren "Ja" antworten. Er betont, wie gut er mit Katja Wolf, der BSW-Chefin in Thüringen, zusammenarbeitet. Denn über Außenpolitik wird nicht in den Ländern entschieden. Das ist Sache der Bundesregierung, auch wenn Landespolitiker über den Bundesrat oder über ihre Parteien etwas Einfluss nehmen können. Die Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock ruft aber auch nicht erst den Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmer an, bevor sie nach Israel reist.
Rot-Rot-Grün unter Ramelow ließ Außenpolitik Außenpolitik sein
Wagenknecht sieht das anders. "Dass wir uns die Frage von Krieg und Frieden nicht wegverhandeln lassen dürfen, haben wir immer deutlich gemacht", sagte sie am Sonntag in der ARD. Man könne nicht Dinge über Bord werfen, die man vorher den Wählern versprochen habe. Es sei klar, dass Verteidigungspolitik auf Bundesebene entschieden werde. "Aber es geht darum, dass die Regierungen der Länder ihre Stimme erheben und zum Ausdruck bringen, was gerade in diesen Bundesländern die große Mehrheit der Menschen möchte", sagte sie.
Die scheidende rot-rot-grüne Landesregierung hat dagegen in Thüringen vorgemacht, wie man gemeinsam regiert, trotz außenpolitischer Differenzen. Auch SPD und Grüne sowie Linke liegen in der Außenpolitik weit auseinander. Die Linke ist beispielsweise gegen die NATO, SPD und Grüne dafür. Das wurde aber beiseitegelassen, weil es allen wichtiger war, mehr Lehrer einzustellen, Unternehmen anzulocken und für mehr Wohnraum zu sorgen. Also Landespolitik zu machen.
Wagenknecht wird nun nachgesagt, sie wolle vielleicht gar keine Regierungsbeteiligung des BSW in den Ländern. Lieber wäre es ihr, weiter die reine Lehre vertreten und dann bei der Bundestagswahl in einem Jahr noch einmal richtig punkten. Sich lieber nicht in Kompromissen und dem Landes-Klein-Klein verheddern. Lieber Projektionsfläche für Hoffnungen und Sehnsüchte bleiben, statt im Realitäts-Check des grauen Polit-Alltags zu zerbröseln.
7000 CDU-Mitglieder gegen Bündnis mit BSW
Nun haben nach Thüringen auch in Sachsen Sondierungsgespräche zwischen CDU, SPD und BSW begonnen. Auf den sächsischen SPD-Chef Henning Homann hat Wagenknechts Verhalten keinen guten Eindruck gemacht. "Das Kasperletheater, was Sahra Wagenknecht aufführt, das schadet der Regierungsbildung in Sachsen", sagte er. Er könne ihr nur empfehlen, damit aufzuhören.
"Ich habe das Gefühl, dass Frau Wagenknecht mit der Situation hadert, dass sie sich noch nicht klar darüber ist, ob sie wirklich Verantwortung in Deutschland übernehmen möchte", sagte CDU-Politiker Frei bei ntv. Die Thüringer BSW-Chefin Katja Wolf hat solche Zweifel übrigens nicht. Sie scheint fest entschlossen, mit der CDU zu regieren. Da deutet sich ein Riss an.
Der ist bei der CDU klar sichtbar. Denn so pragmatisch sich Voigt auch gegenüber dem BSW gibt - die neue Partei steht weit links und ist antiamerikanisch. Wagenknecht selbst ist für viele ohnehin eine Albtraum-Politikerin. In der CDU gibt es viele, die mit dieser Truppe nicht zu tun haben wollen. Mindestens 7000 um genau zu sein. So viele unterstützen mittlerweile einen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU gegenüber dem BSW. Das sagte der CDU-Politiker Frank Sarfeld der "Bild". Er koordiniert das Anliegen. Inhaltlich wäre der Beschluss in der CDU leicht durchzuargumentieren, ist aber politisch brisant. Die Partei könnte in Thüringen und Sachsen nicht regieren. Und auch sonst niemand. Die Krise mitsamt möglichen Neuwahlen, die dann folgen würde, wäre nur für eine Partei gut - die AfD.