Folgen die Grünen dem Vorschlag, den sich ihre Spitzen da ausgedacht haben? Klares Ja: Franziska Brantner und Felix Banaszak sind die neuen Vorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen. Vor allem eine der beiden Kandidaturen war im Vorfeld auf Skepsis gestoßen.
Kurz vor der Bundestagswahl haben die Grünen den Führungswechsel an der Parteispitze mit großer Mehrheit für ihre neuen Vorsitzenden vollzogen. Bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden wurde Franziska Brantner mit rund 78 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt. Ihr Co-Vorsitzender Felix Banaszak kam auf rund 93 Prozent. Brantners Ergebnis entspricht in etwa den Werten der abgetretenen Vorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang, als diese im Januar 2022 erstmals ins Amt kamen. Dass Banaszak im ersten Anlauf derart viel Zustimmung bekam, überraschte dann doch. Mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl hatte sich die Partei ein Signal von Geschlossenheit und Rückenwind gewünscht, auch mit Blick auf die Kanzlerkanidatur von Robert Habeck.
Lang und Nouripour wären eigentlich noch bis zum kommenden Jahr gewählt gewesen, haben aber wegen des anhaltenden Umfragetiefs der Grünen im Oktober und der desaströsen Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern vorzeitig ihre Posten geräumt. Banaszak forderte im Falle einer erneuten Regierungsbeteiligung eine Partei, "die sich nicht nur als Korrektiv einer Regierung versteht und, ehrlich gesagt, noch weniger als ihre ausgelagerte Pressestelle, sondern als ihr Motor - und dieser Motor ist erneuerbar". Es war der einzige kritische Ton gegenüber den bisherigen Vorsitzenden in den Bewerbungsreden der Neuen.
Lang und Nouripour waren zusammen mit der Bundesgeschäftsführerin Emily Büning am Freitag und Samstag tränenreich verabschiedet worden. Die seit Monaten schwachen Umfragewerte der Partei wurden dem Trio nicht angelastet. Gleichwohl räumten Lang und Nouripour auf dem Parteitag ein, keine neuen Antworten mehr auf diese Lage gefunden zu haben.
Habeck-Vertraute übernimmt
Vor allem Banaszak wurde nach seiner Rede mit viel Applaus bedacht. Die Grünen sollten ein "Hoffnungsort" sein, sagte er. Angst sei ein "dominantes Gefühl" in dieser Zeit. Dieser Angst müssten die Grünen begegnen "mit der ehrlichen und der gemeinsamen Suche nach Zuversicht". Brantner versprach ihrer Partei eine kämpferische Haltung als Bundesvorsitzende einzunehmen. "Ich habe es satt, dass alles, was anderen nicht passt, uns als Ideologie angelastet wird", sagte Brantner. Mit Blick auf eine mögliche Regierung aus Union und SPD nach der Bundestagswahl am 23. Februar sagte Brantner: "Es darf keine weitere Stillstands-Groko geben und dafür braucht es starke Bündnisgrüne."
Die Habeck-Vertraute Brantner folgt als Vertreterin des Realo-Flügels auf den bisherigen Vorsitzenden Nouripour. In ihrer Rede ging sie auf mögliche Skeptiker unter den Partei-Linken zu. Das Leben müsse "gerecht und bezahlbar sein", sagte Brantner und verwies auf die bisherige Bilanz. Die Ampel-Regierung habe Milliarden Euro für Kitas, Schulen und die Bahn mobilisiert. "Wir brauchen Investitionen, Investitionen und nochmal Investitionen." Die Grünen dürften sich nicht vorwerfen lassen, sie "seien die Partei der Besserverdienenden - und schon gar nicht von einer pseudo-sozialistischen Spitzenverdienerin Sahra Wagenknecht."
Die 45-jährige Brantner aus Baden-Württemberg ist Staatssekretärin im von Habeck geführten Bundeswirtschaftsministerium und hat dort unter anderem die Themen Freihandelsabkommen und Diversifizierung der deutschen Rohstoffimporte betreut. Sie ist Mutter einer Tochter aus einer früheren Beziehung mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
Brantners Nominierung war in Teilen der Partei kritisch aufgenommen worden. Zum einen wegen ihrer klaren Positionierung als Realo-Vertreterin, zum anderen, weil einige eine Dominanz des designierten Kanzlerkandidaten Habeck befürchteten. Entsprechend schwächer, wenn auch nicht schlecht, war Brantners Wahlergebnis im Vergleich zu Banaszak.
Brantner hatte schon 2021 Interesse am Parteivorsitz angemeldet, folgte dann aber Habeck ins Bundeswirtschaftsministerium. Habeck soll am Sonntag offiziell als Kanzlerkandidat der Partei nominiert werden, mit Annalena Baerbock als begleitende Spitzenkandidatin im Wahlkampf. Bei der Bundestagswahl 2021 war die Rollenaufteilung noch umgekehrt.
Auch übrige Spitze wird getauscht
Für die Parteilinken übte bis zum Wochenende Ricarda Lang den Co-Parteivorsitz aus. Ihr folgt nun der 35-jährige Banaszak. Der verheiratete Vater eines Kindes kommt aus Duisburg und war 2018 bis 2022 Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen. In seiner Bewerbungsrede bezeichnete er sich als "Kind des Ruhrgebiets" und erinnerte an seinen Großvater, der in einer Kokerei von Thyssen gearbeitet hatte. Der Bundestagsabgeordnete Banaszak gilt wie Lang als großes, aufstrebendes Talent in der Partei.
Im Lauf des Parteitags wird auch der übrige Parteivorstand neugewählt. Auf die bisherige Geschäftsführerin Büning soll Pegah Edalatian folgen, bislang stellvertretende Parteivorsitzende. Favoriten auf die beiden Stellvertreterposten sind Sven Giegold, bislang ebenfalls Staatssekretär im Hause Habeck, und Heiko Knopf. Der Thüringer Politiker Knopf würde als einziger aus dem bisherigen Vorstand im Amt bleiben. Er ist der einzige ostdeutsche Politiker im Vorstand. Die Grünen tun sich im Osten besonders schwer und verloren bei den diesjährigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zum Teil deutlich an Stimmen.
Ebenfalls auf dem Parteitag soll noch am Samstag über inhaltliche Festlegungen entschieden werden, bevor Ende Januar das eigentliche Bundestagswahlprogramm zur Abstimmung gestellt wird. Offen ist dabei etwa, ob die Grünen sich auf die Forderung nach einer Reform oder nach einer vollständigen Abschaffung der Schuldenbremse verständigen. Weitere Themen sind die künftige Ausgestaltung eines Klimagelds und die Besteuerung besonders großer Vermögen.