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Brände in L.A. : "Du musst da verdammt nochmal raus"



Zehntausende sind in Los Angeles auf der Flucht vor dem Flammeninferno. Wie erleben die Menschen diese angstvolle Zeit? Gespräche mit Einwohnern, die es heraus geschafft haben.

Los Angeles hat am Morgen des dritten Tages im Feuer einen neuen Himmel. In Venice Beach, knapp sechs Kilometer von der Evakuierungszone entfernt, scheint sich die Rauchwolke als solche kaum mehr abzuzeichnen. Sie ist der Himmel geworden, eine plüschige graubraune Decke filtert das Sonnenlicht. Es könnte einer dieser unendlich aufeinanderfolgenden sonnigen Wintertage von L.A. sein – wenn man vergisst zu atmen. Doch der Rauch beißt in der Lunge.  

"Like a thousand fires", titelt die "Los Angeles Times" am Donnerstag. Die Feuerwehrleute sind da seit zwei Tagen im Dauereinsatz.  

"Das Feuer brach in den Highlands aus, einem Stadtteil der Palisades, nur ein paar Minuten von meinem Haus entfernt", erzählt Lisa Marie Erwin. Die 28-Jährige lebt seit zwei Jahren in dem Viertel Pacific Palisades. Sie kommt aus Spanien und arbeitet als Au-pair. Wenn die Kinder in der Schule sind, hat sie ihre Pause. Sie ist allein zu Hause, als ihre Gastmutter ihr eine Nachricht über ein Feuer schickt, das oberhalb ihres Hauses ausgebrochen sein soll. Es sind die Anfänge des Palisades-Feuers, das sich über die nächsten Stunden in ein Inferno verwandeln und Tausende Häuser zerstören wird. 

Mehr aus Pflichtgefühl als aus Sorge packt Lisa eine Tasche, für den Notfall. Sie greift nach zwei Hosen, zwei Shirts und ihren wichtigsten Dokumenten. "Keine zehn Minuten später bekam ich eine Warnmeldung auf meinem Handy, dass das Feuer jetzt nah sei und ich sofort gehen müsse." Lisa ist geschockt. "Ich schaute aus dem Fenster, und der ganze Himmel war grau. Ich dachte nur: heilige Scheiße."  

 Der Anblick von Lisa Erwins Straße in Los AngelesDas Feuer ist nicht mehr weit: Der Anblick von Lisa Erwins Straße in Los Angeles
© privat

Lisa setzt sich ins Auto, das Feuer ist da bereits sehr nah an ihre Nachbarschaft herangerückt. "Die Flammen kamen den Hügel herunter, unglaublich schnell", erzählt sie. Binnen Minuten sind alle vier Fahrspuren voll mit Autos, die alle in dieselbe Richtung drängen: den Hügel herunter, Richtung Pacific Coast Highway (PCH). "Überall waren Autos, sie bewegten sich nicht von der Stelle." Nach zehn Sekunden sei sie bereits im Stau gestanden, der den Weg für die Feuerwehrautos blockierte.  

"Menschen verließen ihre Autos und rannten einfach" 

Wie alle anderen will Lisa nur noch eins: weg. "Plötzlich sah ich Kinder aus einer Schule neben mir rennen", sagt sie. Sie dreht sich um: Die Palmen, die die Straßenmitte säumen, brennen lichterloh. 

"Ich sah mich um, der Berg hinter mir stand in Flammen, und der Berg neben mir hatte ebenfalls Feuer gefangen", sagt Lisa. Sie ist am Telefon mit ihrem Gastvater, der fragt, ob sie es schon bis runter auf den PCH geschafft hat. "Ich sagte: 'Nein, ich bin immer noch an der gleichen Stelle', und er sagte: 'Du musst da verdammt nochmal raus!'" Die Menschen seien in Panik geraten. "Sie weinten, verließen ihre Autos und rannten einfach."  

Mit dem Skateboard floh Lisa Erwin auf den Pacific Highway, von wo sie schließlich eine Frau im Auto in Sicherheit brachteMit dem Skateboard floh Lisa Erwin auf den Pacific Highway, von wo sie schließlich eine Frau im Auto in Sicherheit brachte
© privat

"Ich bin dann mit dem Skateboard den Hügel hinuntergefahren", erzählt Lisa. Um sie herum: Chaos. Feuerwehrleute, Lastwagen, Polizei – und das Feuer, das sich den Hügel nach unten durch die Siedlung frisst. Eine riesige Rauchwolke bedeckt den Himmel, aus dem es Asche regnet. "Es fühlte sich an wie in einem Albtraum", sagt Lisa. Sie schafft es auf den Highway, klopft an das Autofenster einer Frau, die sie mit nach Santa Monica nimmt. Als sie einsteigt, denkt sie nur: Was zur Hölle ist gerade passiert?   

"Es ist erstaunlich, wofür man sich entscheidet" 

Zehntausende Menschen evakuiert, Tausende Häuser zerstört: An Tag drei sind viele Menschen aus den Palisades noch immer in ihrem Katastrophenfilm gefangen. Wie Lisa bekommen sie unzählige Anrufe und Nachrichten, oder sie sind, wie im Fall von Melissa Rivers, auf der Suche nach einem Schlafplatz. "Es ist so traurig", erzählt eine Frerundin von Rivers dem stern. "Sie hat alles verloren." 

Rivers berichtet später im TV-Sender CNN von ihrer Flucht. "Es ist erstaunlich, wofür man sich entscheidet. Ich habe mich für eine Zeichnung meiner Mutter entschieden, anstatt für ein Foto", sagt sie über ihre spontane Reaktion. Weil sie wusste, dass sie die Fotos wiederfinden könne. Doch eine Zeichnung sei nicht zu ersetzen. Rivers beschreibt den Moment als "das Ende von allem, was meiner Familie und zu ihrer Geschichte gehörte". Ihr Herz sei gebrochen, nicht nur wegen ihres eigenen Schicksals. Nach der Feuerwalze bleibt nur die Zerstörung: "Die Stadt wurde von der Karte ausgelöscht", so Rivers. 

Los Angeles Feuersturm PAID 21.42

Das Palisades-Feuer zählt zu den schlimmsten in der Geschichte von Los Angeles. Und es bleibt in diesen windigen Tagen nicht das einzige. 

Los Angeles' berühmteste Straße ist Katastrophengebiet

Amina Oughourli wird am Mittwochabend von einem der Feuer überrascht. Die 52-Jährige wohnt mit ihrem 23-jährigen Sohn und ihrem Hund mitten in Hollywood. In den Nachrichten und online verfolgt sie vor allem die Situation in den Pacific Palisades und in Santa Monica. Um kurz nach 18 Uhr Ortszeit schreibt ihr eine Freundin, sie habe gerade von den Feuern in den Hollywood Hills gehört. Das Sunset-Feuer bedroht wie aus dem Nichts Hollywood und den bekannten Sunset Boulevard – Aminas Zuhause.   

"Fünfzehn Minuten nach ihrer Nachricht mussten wir plötzlich raus", erzählt Amina. "Wir hatten nichts gepackt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass wir evakuiert werden müssen. Und ich wusste wirklich nicht, wie viel Zeit wir hatten." Sie habe nur ein paar Unterhosen, T-Shirts, und den Hund samt Futter mitgenommen. "Und ich habe meinem Sohn gesagt, er solle nur das Nötigste für ein oder zwei Tage einpacken. Alles andere haben wir zurückgelassen und gehofft, dass alles gutgeht."  

Die Evakuierung verläuft sehr chaotisch. Aminas Vermieterin rennt durch die Flure des Wohnhauses und ruft zur Flucht auf. Aber wohin? Die mangelnde Kommunikation sei das größte Problem gewesen, sagt Amina. "Ich war auf meine privaten Nachrichten angewiesen." Hätte ihre Freundin ihr keine Nachricht geschickt, hätte sie nicht einmal die fünfzehn Minuten Vorwarnzeit gehabt.  

Amina Oughourli und ihr Sohn WinstonAmina Oughourli und ihr Sohn Winston musste binnen 15 Minuten aus ihrem Zuhause in L.A. fliehen
© privat

"Wie soll man sich entscheiden, in welche Richtung man flieht?", erinnert Amina sich an ihre Gedanken. Einige Nachbarschaften sind zu nah an anderen Feuern. "Man weiß nicht, ob man lange in einer sicheren Zone bleibt", sagt Amina. Es habe massiv viel Verkehr gegeben, weil "alle rauswollten".  

Die Plötzlichkeit des Sunset-Feuers macht deutlich, an wie vielen Fronten Los Angeles kämpft – und wieso es für Menschen vor allem im Westen der Stadt unberechenbar bleibt. Die Brände verlaufen explosiv: Durch die heftigen Santa-Ana-Winde kann aus Funken innerhalb kürzester Zeit ein großes Feuer entstehen.  

Amina und ihr Sohn haben Glück im Unglück. Als der stern sie erreicht, sitzt sie wieder in ihrer Wohnung in Hollywood. Die Nacht hatten sie in einem Hotel in Silverlake, auf der Eastside, verbracht. Sie hat gelernt aus ihrer Hilflosigkeit: "Jeder sollte immer eine Notfalltasche haben", sagt sie. "Wenn nicht wegen der Feuer, dann wegen der Erdbeben."  

Waldbrandexperte Interview 10.51

Sie versuche jetzt, "tief durchzuatmen und den Stress abzubauen". Sie beginnt einen weiteren Satz, bricht ab und sagt dann: "Wir hatten extremes Glück im Vergleich zu anderen Menschen."  

Wer verschont geblieben ist, hat nun eine Aufgabe: helfen

Am Donnerstagnachmittag erhält auch Au-pair Lisa die erlösende Nachricht: Das Haus ihrer Gastfamilie ist vom Feuer verschont geblieben. "Ehrlich gesagt hatte ich die ganze Zeit Hoffnung", sagt Lisa, die nun bei ihrem Freund in einem anderen Stadtteil untergekommen ist. Die Feuerwehrautos hätten genau durch ihre Nachbarschaft fahren müssen, um zum Brandherd zu gelangen. Die ursprüngliche Route sei durch die vielen Autos fliehender Menschen blockiert worden. "Ich dachte: Sie werden sehen, wie die Flammen bei uns ankommen, und das Feuer stoppen!"  

Am Freitag wollen sie und ihr Freund mit dem Fahrrad in die Palisades fahren, um Lisas Auto zu retten. Sie hatte es im Fernsehen gesehen, mitten auf der Straße, wo sie es zurückgelassen hatte. Anscheinend hatten sich die Feuerwehrautos daran vorbeischieben können. "Es ist nur ein Auto, das kann man ersetzen", sagt Lisa, "aber ich brauche es, um jetzt anderen Leuten zu helfen." Im Moment versuche sie, Spenden zu organisieren. Sie sei dankbar, denn zumindest seien sie alle in Sicherheit. "Man kann Sachen ersetzen, aber ein Leben nicht." 

Doch obwohl das Haus noch stehe, könne sie nicht einfach dorthin zurück und normal weitermachen. "Unser Leben hat sich verändert", sagt Lisa. "Die Kinder werden nicht mehr zur Schule gehen – die Schule existiert nicht mehr. Die Supermärkte sind weg, die Geschäfte sind weg, nichts ist mehr da."

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