1 month ago

Biometrische Überwachung: Ampel beschließt umstrittenes Sicherheitspaket



Mit einer deutlich größeren Mehrheit als erwartet hat die Ampel-Koalition das umstrittene „Sicherheitspaket“ durch den Bundestag bekommen. Das Paket sieht Verschärfungen im Asylrecht und weitreichende biometrische Befugnisse für Sicherheitsbehörden vor.

Frau stützt Kopf auf HandInnenministerin Nancy Faeser konnte sich mit der Verschärfung des Asylrechts und der staatlichen Überwachung im Bundestag durchsetzen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Knapp zwei Monate nach dem Messerangriff von Solingen hat die Ampel-Koalition das sogenannte „Sicherheitspaket“ verabschiedet. Beide Gesetze aus dem Paket schafften es mit einer komfortablen Mehrheit durch den Bundestag.

Bei der namentlichen Abstimmung zum Gesetz zur Verbesserung der Inneren Sicherheit und des Asylsystems wurden 660 Stimmen abgegeben. 361 Abgeordnete stimmten mit Ja, 290 mit Nein. In der Abstimmung zum Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung, das umstrittene Befugnisse für Sicherheitsbehörden enthält, wurden 652 Stimmen abgegeben, davon 367 dafür und 281 dagegen.

Wer von der Ampel für oder gegen das Gesetz gestimmt hat, lässt sich aufgrund der von der CDU beantragten namentlichen Abstimmung zu einem späteren Zeitpunkt auf der Webseite des Bundestag nachlesen. Mit der Abstimmung ist die Ampel an einer zuvor befürchteten Abstimmungsniederlage locker vorbeigekommen.

In der vorangegangenen Bundestagsdebatte gab es nur einen Redebeitrag von Clara Bünger von der Linkspartei, der sich aus menschenrechtlicher Perspektive gegen das Vorhaben wandte. Die Redebeiträge der Ampel warben für Zustimmung. CDU, AfD und BSW hielten das umstrittene Gesetzespaket gar für nicht weitgehend genug. Dem gegenüber hatte ein breites Bündnis der demokratischen Zivilgesellschaft das Gesetzesvorhaben wegen massiver Eingriffe in Grund- und Menschenrechte kritisiert.

Unruhe im Vorfeld

SPD, Grüne und FDP hatten das Paket Anfang September als Reaktion auf den Anschlag von Solingen auf den Weg gebracht. Nach dem Ende der Wahlkämpfe in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hagelte es dann Kritik. Nicht nur von Fachleuten, die das Paket in einer Anhörung als in Teilen rechtswidrig kritisierten, sondern auch aus den eigenen Parteien.

Die Fraktionen hatten das Paket daraufhin nochmal überarbeitet und geringfügig entschärft. Doch auch dieser Kompromiss konnte die Unruhe nicht befrieden. In einer turbulenten Fraktionssitzung am Dienstag hatten SPD-Abgeordnete kritisiert, dass der islamistische Terror dazu verwendet würde, Asylsuchende grundsätzlich als Verdächtige zu behandeln. Zahlreiche Abgeordnete hatten in der Sitzung angekündigt, gegen das Paket zu stimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte daraufhin offenbar indirekt mit einer Vertrauensfrage gedroht, was die Partei allerdings dementierte.

Auch bei den Grünen soll es in der Fraktionssitzung „hoch hergegangen“ sein. Die Nervosität sei im Vorfeld der Abstimmung so groß gewesen, dass die Abgeordneten nicht nur einmal gebeten wurden, der Fraktion anzusagen, wie sie abstimmen wollen. Noch am späten Donnerstagnachmittag sollten Abweichler:innen ihr geplantes Nein zum Paket ein zweites Mal anmelden. Ein ungewöhnliches Vorgehen, hieß es aus Fraktionskreisen.

Kosmetische Korrekturen an Überwachungsplänen

Was plant die Ampel

Bis zuletzt hatte ein Bündnis aus Fachleuten und zivilgesellschaftlichen Organisationen noch versucht, das Paket zu verhindern und auf die Gefahren hingewiesen.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte wies gestern nochmals darauf hin, dass die Pläne zur Streichung von Sozialleistungen zu einer Verelendung von Asylsuchenden führen würden. Abschiebungen dauerten aufgrund langwieriger Absprachen mit dem Zielland auch nach einer Anordnung oft noch mehrere Monate. Laut Sicherheitspaket sollen Menschen, für deren Asylverfahren ein anderer EU-Staat zuständig ist, keine Sozialleistungen mehr erhalten, sobald ihre Abschiebung angeordnet wurde. Derzeit bekommen alleinstehende Asylsuchende maximal 460 Euro im Monat.

Biometrische Fahndung eingeführt

Um Terrorismus besser zu bekämpfen, will die Ampel-Regierung zudem das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei mit neuen Fahndungsmöglichkeiten ausstatten: Sie sollen per Foto oder Stimmprobe nach Personen im öffentlichen Internet fahnden dürfen, nach Tatverdächtigen wie nach Opfern.

Für diese Art der Fahndung ist eine biometrische Datenbank nötig, in der alle verfügbaren Bilder und Videos und Milliarden darin abgebildete Personen biometrisch vermessen und gespeichert werden. Auch das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) soll die biometrische Online-Suche einsetzen dürfen, um Menschen ohne Papiere im Asylverfahren zu identifizieren.

Für die Ermittlungsbehörden soll zudem die Zweckbindung von Daten aufgehoben werden. BKA oder Bundespolizei dürfen dann bislang getrennt gespeicherte Daten aus verschiedensten Datenbanken zusammenführen und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz analysieren.

Auch das Waffenrecht wird verschärft, unter anderem werden verdachtsunabhängige Durchsuchungen in bestimmten Zonen erlaubt. Die Möglichkeiten, solche Zonen zu errichten, sind so weit gefasst, dass anlasslose Polizeikontrollen in Zukunft an sehr vielen Orten im öffentlichen Raum möglich werden.


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