Vor vier Jahren führen Donald Trumps Wahlnacht-Lügen über die angebliche gestohlene US-Wahl zum Sturm auf das Kapitol. Diesmal ist er noch besser vorbereitet und massenhaft gestreute Falschaussagen gefährden den demokratischen Prozess - und könnten erneut für Chaos sorgen.
"Pennsylvania betrügt und wird dabei erwischt, und zwar in einem noch nie dagewesenen Ausmaß." Diese Worte postete Donald Trump vergangene Woche in seinem Online-Netzwerk Truth Social. "Melden Sie Betrug bei den Behörden", rief der Präsidentschaftskandidat der Republikaner seine Mitbürger in Großbuchstaben auf: "Die Strafverfolgungsbehörden müssen handeln, JETZT!"
Trump behauptete fälschlicherweise, dass es im wichtigen Swing-State Pennsylvania zu weitverbreitetem Betrug gekommen sei, nachdem Beamte in drei Bezirken in dem US-Bundesstaat erklärt hatten, dass sie mit den örtlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, um einige Anträge auf Wählerregistrierung auf möglichen Betrug zu untersuchen. Während Trump und seine Verbündeten eine Verschwörung wähnten, die Untersuchungen massiv aufblähten und fälschlicherweise als bestätigten Betrug verkauften, warnte der oberste Wahlbeamte Pennsylvanias, Al Schmidt, der sogar ein Republikaner ist, die Wähler, sich der "Halbwahrheiten" und Desinformationen bewusst zu sein, die in den sozialen Medien kursieren.
Derlei Falschaussagen von Trump sind längst nichts Neues. Sie haben System und ein klares Ziel - und stellen eine große Gefahr für den demokratischen Prozess in den USA und die friedliche Machtübergabe dar. Der ehemalige Präsident hat seit seinem ersten Wahlkampf immer wieder Zweifel am US-Wahlverfahren gesät. Auch diesmal verbreitet er massenhaft irreführende Behauptungen und einen Wirbelsturm an Lügen, die einen möglichen Sieg von Vizepräsidentin Kamala Harris im Fall der Fälle als illegitim erscheinen lassen und ihm den Weg zur Macht ermöglichen sollen.
Auf die Frage, ob er das Wahlergebnis akzeptieren werde, antwortete Trump während der TV-Debatte mit Harris im September, dass er dies nur tun werde, wenn es sich um eine "faire, legale und gute Wahl" handele. Die eklatante Lügen-Bilanz des ehemaligen Präsidenten in seinen Wahlkämpfen und Wahlnächten 2016 und 2020 legt nahe, dass er auch in dieser Wahlnacht wieder zu unlauteren Mitteln greifen wird. Laut einer Ende Oktober veröffentlichten CNN/SSRS-Umfrage erwarten ganze 70 Prozent der US-Bürger, dass Trump das Ergebnis ablehnen wird, falls er verliert.
Bedrohungen durch Trumps Wahlnacht-Lügen:
Lüge 1: Trump ruft sich zum Sieger aus
In den Stunden und Tagen nach der US-Wahl 2020, während die Stimmen noch ausgezählt wurden, verkündete der damalige Präsident Trump in den sozialen Medien einen Betrug und behauptete fälschlicherweise, er sei der eigentliche Gewinner mehrerer Swing-States und der Präsidentschaftswahl. Sein Protest gipfelte am 6. Januar 2021 in dem gewaltsamen Sturm seiner Anhänger auf das US-Kapitol in Washington. Auch bei der Wahl 2024 sind Demonstrationen und Chaos möglich. Bewaffnete Milizen sollen sich bereits auf den Tag vorbereitet haben.
Fakten-Check von Thomas Greven, Experte für das Parteiensystem und den Wahlkampf in den USA am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, gegenüber ntv.de: "Es wird vermutet, dass Trump sein Spiel von 2020 wiederholen wird. Das würde für ihn aber nur funktionieren, wenn er wieder viele Stimmen von Wählern erhält, die am Wahltag selbst wählen gehen, und die Demokraten viele Briefwahlstimmen erhalten, die erst an den folgenden Tagen ausgezählt werden. Klar ist, dass der Sieger oder die Siegerin erst feststehen kann, wenn alle Stimmen ausgezählt sind. Zum Glück sitzt Trump diesmal nicht im Weißen Haus und hat daher das Heft des Handelns nicht so stark in der Hand wie 2020."
Lüge 2: Harris kann nicht auf rechtmäßige Weise gewinnen
Amerikanische Watchdog-Gruppen, die Wahlkampf-Lügen überwachen, bekräftigen, dass das Ausmaß von verbreiteten Verschwörungserzählungen von Trumps Unterstützern bei dieser Wahl um einiges größer und gefährlicher ist als noch vor vier Jahren und schon lange vor dem Wahltag begonnen hat. Wendy Via, Gründerin des Global Project Against Hate and Extremism (GPAHE), sagte der britischen BBC, dass einige rechtsextreme und rechtsgerichtete Aktivisten "sich auf eine Art und Weise darauf vorbereiten, dass die Wahl auf eine Weise gestohlen wird, wie es 2020 noch nicht der Fall war".
"Stop the steal" wurde 2020 zum Slogan der Bewegung von Trumps Anhängern, um die Ergebnisse der angeblich gestohlenen Wahl zu kippen. Wahlhelfer in umkämpften Bundesstaaten erhielten Morddrohungen. Die Verschwörungstheorie über den eigentlichen Sieg Trumps hält sich bis heute bei seinen Anhängern. Alle Vorhersagen sehen ein enges Rennen, sodass Trump ebenso gute Chancen auf den Sieg hat wie Harris. Doch bei ihrem Sieg könnte er wieder behaupten: Sie hat nur gewonnen, weil sie betrogen hat.
Fakten-Check von Greven: "Dafür gibt es überhaupt keine Evidenz. Nach der Wahl 2020 wurden von Trumps Team in mehreren Bundesstaaten Dutzende Gerichtsverfahren wegen Wahlbetrugs eingeleitet, aber keines davon war erfolgreich. Trump nutzt seit 2015 das typisch populistische Argument, dass er für die Mehrheit des Volkes spricht. Er erkennt Wahlergebnisse nur an, wenn er gewinnt. Das geht zurück auf tatsächliche Probleme bei Wahlen in den USA. Die Parteien haben im 19. Jahrhundert mit aus heutiger Sicht fragwürdigen Methoden Wähler, zum Beispiel mit sogenannten Patronage-Jobs, mobilisiert."
Lüge 3: Massenhaft Nichtstaatsangehörige wählen
Trump behauptet seit Jahren fälschlicherweise, dass eine große Anzahl von Nicht-Staatsbürgern bei Präsidentschaftswahlen illegal wählen. Auch in diesem Jahr verbreiten deshalb seine Anhänger haufenweise Videos in den sozialen Videos, die angeblich zeigen, wie einfach es für Nicht-Amerikaner sei, in den USA zu wählen. Ein Beitrag sollte jüngst etwa in Georgia angekommene Haitianer bei der Wahl zeigen, aber später sagten US-Sicherheitsbeamte, das Video sei von "russischen Einflussnehmern" erstellt worden.
Fakten-Check von Greven: "Empirisch ist das Unfug. Mit seinen falschen Behauptungen wandert Trump in die Gefilde von rechtsextremistischen Verschwörungserzählungen, die etwa einen 'großen Bevölkerungsaustausch' prophezeien. Das macht er ganz gezielt, um diejenigen Amerikanerinnen und Amerikaner für die Wahl zu motivieren, die sich Sorgen um Arbeitsplätze, Wohnungen und die kulturelle Identität der USA machen. Dazu gehören vor allem weiße Christen, die Angst haben, ihre Macht zu verlieren. Hintergrund ist, dass eine immer diverser werdende Gesellschaft eher den Demokraten hilft."
Lüge 4: Videos zeigen kriminelles Wahlverhalten
Der Wirbelsturm an Fehlinformationen, der sich momentan online ausbreitet, ist deshalb so gefährlich, weil er oftmals echte Tatbestände benutzt, sie aber falsch oder irreführend beschreibt. Das geschah 2020 etwa mit einem Video eines Wahlhelfers, der ein Stück Papier zerknüllte und wegwarf. Derart Gerüchte können meist nicht schnell genug entkräftet werden, Donald Trump springt allzu gerne auf den Verschwörungszug auf. Einige der aktuell jeweils millionenfach aufgerufenen Videos stützen die falsche Behauptung, dass der Ex-Präsident die Wahl 2020 gewonnen habe, und legen nahe, dass er diesmal erneut um seinen Sieg betrogen werden könnte.
Fakten-Check von Greven: "Wir wissen mittlerweile, dass diese Desinformationen auch aus dem Ausland gesteuert werden, etwa aus Russland, China, Nordkorea oder dem Iran. Das ist die Tragödie der offenen modernen Mediengesellschaft und das wird in Zukunft über die Innovationen im Bereich der KI noch herausfordernder. Die Leichtigkeit, mit der Desinformationen gestreut werden können, spielt einerseits denjenigen in die Hände, die westliche Gesellschaften spalten und schwächen wollen, und andererseits in die von Polarisierungsunternehmern wie Donald Trump: Für ihn und seine Anhänger ist es viel einfacher, Falschinformationen zu verbreiten als für andere die Richtigstellungen, die noch nicht einmal dafür sorgen können, dass das Thema aus der Welt ist, sondern im Gegenteil deren Weiterverbreitung begünstigen."
Lüge 5: Demokratisch dominierte Städte betrügen bei Wahlen massiv
Trump behauptet seit Jahren fälschlicherweise, dass überwiegend demokratisch regierte Städte mit großen schwarzen Bevölkerungsanteilen, wie Philadelphia, Detroit, Milwaukee und Atlanta, von Wahlbetrug geprägt sind.
Fakten-Check von Greven: "Auch hier kann Trump keine Evidenz vorzeigen, vor Gericht gab es 2020 in diesen Fällen ebenfalls keine Beweise. Trump nutzt die durch die Lügen erzeugte Stimmung aus, dass die Menschen dem Staat und den Politikern immer weniger vertrauen. Die wichtigere Verzerrung des Wahlergebnisses sind ganz klar die konzertierten und systematischen Versuche der Republikaner, Wählerinnen und Wähler aus Minderheiten und junge Menschen durch administrative Maßnahmen von der Wahl abzuhalten."
Lüge 6: Stimmenauszählungen bis tief in die Nacht und nach dem Wahltag sind verdächtig
Trump hat wiederholt grundlos behauptet, dass mit der Stimmenauszählung in den Nachtstunden der Wahlnacht 2020 etwas nicht stimmte. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um normale Stimmen, die wie üblich ausgezählt und so schnell wie möglich zu den öffentlichen Gesamtzahlen hinzugefügt wurden. Der damalige Präsident äußerte den berüchtigten Aufruf "Stop the count" (Stoppt die Auszählung).
Fakten-Check von Greven: Das ist keine Aussagen eines Demokraten. Trump ist ein Möchtegern-Autokrat, der es geschafft hat, seine Partei in einen Personenkult zu verwandeln. Er gibt nichts auf die demokratischen Wahlverfahren und hat persönliche Gründe, unbedingt Präsident werden zu wollen, damit ihm etwa mögliche Strafen und vielleicht sogar ein Gefängnisaufenthalt erspart bleiben. Alle Analysen der Wahlverfahren zeigen, dass die US-Wahlen bisher sicher durchgeführt werden konnten. Es sind etablierte Verfahren mit Beobachtern von beiden Parteien am Werk und es dauert eben, bis alle regulär abgegebenen Stimmen gezählt worden sind."
Lüge 7: Bei der Briefwahl wird massiv betrogen
Trump behauptet seit vier Jahren immer wieder, dass bei der US-Wahl bei den Briefwahlzetteln betrogen wird. Gleichzeitig verbreitete er die Unwahrheit, dass Briefwahlzettel, die nach dem Wahltag eingehen, unzulässig sind und nicht gezählt werden sollten. Hierfür gibt es Regeln auf bundesstaatlicher Ebene und sogar in ein paar republikanisch regierten Staaten werden Stimmzettel legal gezählt, wenn sie nach dem Wahltag eintreffen, aber bis zum Stichtag einen Poststempel bekommen haben. Von den diesjährigen sieben Swing States ist jedoch Nevada der einzige, bei dem die Briefwahlzettel nicht bis zum Abend des Wahltages eintreffen müssen.
Fakten-Check von Greven: "Das sind rein opportunistische Falschaussagen von Trump. Traditionell war es so, dass die Briefwahlstimmen zugunsten der Republikaner ausfielen. Ältere Menschen oder Militärangehörige im Ausland nutzten die Briefwahl häufig und waren eher konservativ eingestellt. Spätestens durch die Maßnahmen der Pandemie, als Erleichterungen für die Briefwahl getroffen und die vorzeitige Stimmabgabe wurden, damit weniger Menschen in den Schlangen stehen, haben die Republikaner ihren Vorteil verloren. Die Masse an Briefwählern wurde viel größer und diverser und der Vorteil wechselte zu den Demokraten. Das Paradoxe ist ja, dass die Republikaner ihre eigenen Wähler zur Briefwahl auffordern, aber Trump zugleich sagt, die Briefwahl wäre ein Quell des Betrugs. Der eklatante Widerspruch fällt vielen Menschen wegen des Trump-Personenkults aber wohl nicht auf."