Im Innenausschuss des Bundestages ging es heute um das „Sicherheitspaket“. Kirchen, Menschenrechtsverbände und die Beauftragte für den Datenschutz kritisieren die Maßnahmen als unverhältnismäßig und rechtswidrig. Die wichtigsten Kritikpunkte im Überblick.
Die Bundesregierung macht Tempo, der Bundestag macht mit. Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit geht derzeit ein Bündel von Maßnahmen durch das Parlament, das vor allem die Lage von Geflüchteten verschärft. Zwischen der ersten Lesung der Gesetze am 12. September und der Anhörung im Innenausschuss heute liegen gerade mal elf Tage.
Trotzdem ist die Liste der Fachleute und Verbände, die sich zu Wort melden, lang. Mehr als 20 Stellungnahmen sind eingegangen zu den beiden Gesetzespaketen, eines „zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ und ein weiteres „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ (PDF). Pro Asyl und die Sozialverbände, die Polizeigewerkschaften und die Kirchen – sie haben trotz dieser Hau-Ruck-Aktion und der kurzen Bearbeitungszeit die Vorhaben kommentiert.
„Jede dieser Neuerungen hätte eine eigene Anhörung verdient“, sagte die Juristin Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die als eine der ersten in der Anhörung zu Wort kam. Und es stimmt: Im so genannten Sicherheitspaket, mit dem die Bundesregierung auf den Terrroranschlag von Solingen reagiert, sind derart viele neue Befugnisse für Asyl- und Sicherheitsbehörden vorgesehen, dass sie alle zusammen in diesem Tempo kaum abzuhandeln sind.
Die Bundesregierung will staatliche Leistungen für bestimmte Asylsuchende streichen, die über ein anderes EU-Land eingereist sind. Sie weitet den Katalog der Abschiebegründe nochmals aus. In Waffenverbotszonen sollen Menschen ohne Anlass angehalten und durchsucht werden können. Polizeibehörden sollen per biometrischer Gesichtserkennung nach Personen im Netz fahnden dürfen. Ein Szenario, wie man es von Gesichtersuchmaschinen wie Clearview kennt – inklusive zweifelhafter Datenschutzkonformität.
Streichung der Sozialleistungen führt zu Obdachlosigkeit und Verelendung
Den Verbänden und Fachleuten blieb bei diesem Tempo schlicht nichts anderes übrig, als sich auf einzelne, besonders gravierende Punkte zu beschränken. Für Pro Asyl ist das der Plan, die Sozialleistungen für manche „Dublin-Fälle“ zu streichen. Das sind Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind. Hat der entsprechende Staat zugestimmt, dass die Person dahin überstellt wird, soll sie künftig nur noch zwei Wochen lang Grundleistungen wie Nahrung und Unterkunft in Deutschland bekommen.
„Würde der Gesetzeswortlaut tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden, dann würde dies zu einer bis heute in Deutschland unbekannten Obdachlosigkeit von schutzsuchenden Menschen führen“, warnt Pro Asyl. Der Verband verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Das Existenzminimum gilt demnach für alle Menschen, „auch für geflüchtete“.
Auch Sarah Lincoln stellt den Plänen ein vernichtendes Zeugnis aus: Der Entwurf gründe auf einer Fehlannahme, kritisiert sie. Er geht davon aus, dass es für Dublin-Geflüchtete einfach möglich sei, das Land zu verlassen. Diese dürften laut der geltenden Regeln aber gar nicht freiwillig ausreisen. Sie müssten von Behörden abgeschoben werden – was allerdings länger dauert. In der Wartezeit auf ihre Abschiebung bedeute das für tausende Menschen Obdachlosigkeit und Verelendung. „Ohne Geld, Nahrung oder medizinische Hilfe bleibt den Betroffenen nichts anderes übrig, als in Grünanlagen oder unter Brücken zu campieren und zu betteln.“
Auch der Paritätische Gesamtverband formuliert scharf: „Der Ausschluss von sogenannten ‚Dublin-Fällen‘ von jeglichen Leistungen nimmt die Obdachlosigkeit und Verelendung potentiell Tausender Menschen zur Erreichung migrationspolitischer Ziele in Kauf.“
So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschärfen
Biometriepläne verstoßen gegen KI-Verordnung
Geplant ist ebenfalls, dass das Bundeskriminalamt Befugnisse zur biometrischen Überwachung im Internet bekommt. Mit Stimmproben und Fotos aus den eigenen Datenbanken soll sie künftig auch auf Social Media rückwirkend nach Personen suchen und diese identifizieren dürfen. So sollen etwa Terrorverdächtige in IS-Videos ausfindig gemacht werden, hieß es dazu von der Ampel.
Diese Begehrlichkeiten aus dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) sind nicht neu. Bis zum Anschlag von Solingen sind sie aber noch am Widerstand von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gescheitert. Unter dem Druck, der nach Solingen auf der Ampel lastete, hat auch Buschmann schließlich zugestimmt.
Das ist ein Bruch der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, erinnert die Organisation AlgorithmWatch in ihrer Stellungnahme. Damals sagte die Ampel noch, „das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet“ sei zu gewährleisten.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien aber nicht nur ein Bruch selbst gemachter Versprechen, sondern auch des EU-Rechts. Die erst vor kurzem Verabschiedete KI-Verordnung verbiete es, Gesichtsbilder aus dem Internet zu scrapen, um daraus eine Datenbank für Gesichtserkennung zu erstellen. Ab Februar 2025 sei das in Deutschland geltendes Recht – auch für Strafverfolgungsbehörden und Migrationsbehörden wie das BAMF, das ebenfalls per biometrischem Abgleich die Identität von Asylsuchenden feststellen soll.
„Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene Befugnis zum nachträglichen biometrischen Überwachen sämtlicher öffentlich zugänglicher Daten aus dem Internet kann ohne den Einsatz dieser EU-weit verbotenen KI-Systeme nicht umgesetzt werden“, schreibt AlgorithmWatch. Die geplanten Einsatzzwecke – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Identitätsfeststellung im Zuge von Asylverfahren – seien alle eindeutig von der Verordnung erfasst.
Die Bundesdatenschutzbeauftragte wurde nicht gefragt
Die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider kritisiert, dass ihr Haus „bei einer derart gewichtigen Gesetzesänderung“ nicht einmal gefragt wurde. Die Bundesregierung hatte ihre Formulierungshilfe in den Tagen nach dem Anschlag im Eiltempo erstellt, ohne Specht-Riemenschneider zu beteiligen. Diese kritisiert jetzt: Sowohl für eine effektive Polizeiarbeit als auch für die Wahrung der Grundrechte betroffener Personen sei es wichtig, dass für neue Gesetze eine gründliche Vorarbeit geleistet wird.
Für besonders problematisch hält Specht-Riemenschneider das Zusammenführen von Daten in Super-Datenbanken bei Bundeskriminalalt und Bundespolizei, den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie zulasten Dritter und die unzureichende Begrenzung auf schwere Straftaten. Der biometrische Abgleich mit Daten aus dem Internet, der mit den Gesetzesentwürfen eingeführt werden soll, ermögliche „erhebliche Eingriffe in die Rechte unbeteiligter Personen“. Auch mutmaßliche Zeug*innen, Erziehungsberechtigte oder Betreuer*innen mutmaßlicher Gefährder*innen könnten von der biometrischen Erkennung erfasst werden.
„Es bestünde in der jetzigen Ausgestaltung der Norm bei einer videografierten Tatbegehung auf einem Volksfest die Möglichkeit, die biometrischen Daten einer Vielzahl möglicher unbeteiligter Besucher des Festes als Zeugen mit im Internet öffentlichen Daten automatisch abzugleichen, nur um diese als Zeugen zu identifizieren, ohne dass dies für die Ermittlungen von ausschlaggebender Bedeutung sein muss“, schreibt Specht-Riemenschneider in einer ihrer Stellungnahmen zum Gesetzespaket.
Biometrische Suche im Netz schon bei Sozialhilfebetrug
Auch sie kritisiert, der biometrische Abgleich sei nicht mit der KI-Verordnung zu vereinbaren. „Diese verbietet unter anderem die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsmaterial erstellen oder erweitern.“ Da die Polizeibehörden nach der KI-Verordnung keine eigene umfassende Datenbank zur Gesichtserkennung anlegen dürften, aber nach allgemeiner Ansicht auch nicht Kunden etablierter kommerzieller Anbieter wie PimEyes oder Clearview AI werden sollten, müssten sie für jeden Abgleich von Gesichtsbildern den aktuellen Lichtbildbestand des Internets erheben. „Dies ist unter den heutigen technischen Gegebenheiten unrealistisch“, schreibt Specht-Riemenschneider.
Zudem seien die strafrechtlichen Voraussetzungen des biometrischen Abgleichs zu weit gefasst. Der jetzige Entwurf würde bedeuten, dass auch längerfristiger Sozialhilfebetrug oder regelmäßige Kleindealerei schon ausreichen würden, um eine biometrische Fahndung einzuleiten.
Specht-Riemenschneider vermisst auch eine klare Regelung, „dass die Daten, sofern sie nicht als Beweismittel in einem Strafverfahren dienen können, sofort zu löschen sind.“ Auch die Vorschriften zur automatisierten Datenanalyse seien viel zu weit gefasst. „Es besteht das Risiko, dass auf Grundlage dieser Norm eine umfassende Datensammlung im Sinne einer Super-Datenbank beim BKA aufgebaut wird.“ Jeder, der einen Wohnungseinbruch anzeigt, würde in dieser Datenbank erfasst.
Zudem handele es sich um Daten sehr unterschiedlicher Sensibilität, von bloßen Adressen über medizinische Gutachten bis hin zu Namen von Vergewaltigungsopfern und Angaben über Details solcher Taten. „Die Eingriffsintensität der mit dem vorliegenden Entwurf beabsichtigten Praktiken ist also maximal hoch und bedarf dringend der Einschränkung“, schreibt Specht-Riemenschneider.
Kritik aus allen Ecken
Kritik am Gesetz kam in den Stellungnahmen nicht nur von Menschenrechtsverbänden. So kritisiert der Deutsche Jagdverband die im Paket vorgesehenen Messerverbotszonen, welche die Tür für anlasslose Kontrollen auf der Straße öffnen. Es sei zu befürchten, dass „potentiell eine gewaltige Zahl an unbescholtenen Bürgern unter die neuen Verbote fällt, die gar nicht das Ziel der Regelungen sind“. Als Beispiel nennt der Verband ein Obstmesser im Kinderwagen oder ein Multitool als Fahrradwerkzeug.
Dass „Messer“ nicht genauer definiert ist, kritisiert auch die GFF. Doch schwerwiegender sieht die Menschenrechtsorganisation, dass die Messerverbote anlasslose Kontrollen ausweiten und der Polizei das Recht geben, Personaldokumente zu verlangen und Menschen zu durchsuchen – und das an sehr vielen möglichen Orten und nicht mehr nur in definierten Waffenverbotszonen. Die Kontrollen böten ein „hohes Stigmatisierungspotential“ so die GFF. Die Menschenrechtsorganisation fürchtet auch Kontrollen gegen „missliebige“ Versammlungen und ein Einfallstor für rassistische Kontrollen mittels so genanntem Racial Profiling.
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