Drei Jahre lang bekommt man von Angela Merkel nicht viel mit, doch seit einigen Tagen wird wieder viel geredet über die frühere Bundeskanzlerin. Der Grund: sie hat ihre Memoiren veröffentlicht. Bei Maybrit Illner erklärt sie, wie sie heute zu früheren Entscheidungen steht.
Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Memoiren geschrieben. Auf gut 750 Seiten blickt sie auf ihr Leben zurück, das politische und das davor. Am Donnerstagabend ist die Ex-Politikerin zu Gast bei Maybrit Illner im ZDF. Und sie hat viel zu erzählen.
Freiheit, so heißt das Buch. Und viele Menschen wünschen sich in diesen Zeiten mehr Freiheit und Sicherheit, in Deutschland und in der Welt. Das treibt auch Angela Merkel um. "Ich glaube, erst einmal haben sich viele Menschen daran gewöhnt, dass sie in Freiheit leben können", sagt die Kanzlerin a.D. "Natürlich braucht man auch Sicherheit, um Freiheit individuell realisieren zu können. Die Welt ist unsicherer geworden. Das ist gar keine Frage. Und insofern hängen Freiheit und Sicherheit eng miteinander zusammen. Und der Staat muss sich natürlich ganz massiv um die Sicherheit kümmern."
Angela Merkel muss lange warten, bis sie ein Leben in Freiheit führen kann. 35 Jahre alt ist die Pfarrerstochter aus der DDR, als 1989 die Mauer fällt und sich die Grenzen in Richtung Westen öffnen. "Ich wurde in einer freien Wahl zur Bundeskanzlerin gewählt", erinnert sich Merkel. "Es ist schön, Mehrheiten hinter sich vereinen zu können. Aber natürlich ist man in der Demokratie mit ganz vielen anderen, die frei sind. Das heißt, ich habe Verantwortung für andere. Ich bin nicht frei von etwas, sondern ich bin frei dazu, mich für etwas zu engagieren. Andere haben andere Meinungen, die Menschen sind unterschiedlich geschaffen, und das ist das Starke einer Demokratie: Dass wir vielfältig sind. Und da muss man Kompromisse finden und Mehrheiten suchen."
Kompromisse hat sie gesucht, zum Beispiel in Sachen Klimaschutz. Mit dem Ergebnis ist sie heute nicht ganz zufrieden. "Da hätten wir mehr machen müssen", sagt sie bei Illner. Den nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima im Jahr 2011 beschlossenen Atomausstieg, der für Ende 2022 geplant war, hält sie für richtig. "Einmal, weil ich glaube, dass die Verantwortlichkeit durch einen solchen Reaktorunfall nicht gegeben ist, und zum andern, weil ich glaube, es wäre auch gut, viele andere Länder, die sich noch entwickeln werden auf der Welt, nicht dazu zu bringen, auf den Weg der Kernenergie zu gehen."
Reformbedarf bei der Schuldenbremse
Doch der Klimawandel ist nur eine Krise, mit der sich Regierungen heute herumschlagen müssen. Dazu kommen noch der Krieg in der Ukraine oder die sich immer weiter verschlechternde Wirtschaftssituation. Merkel weiß, dass die Ampelregierung sehr viele Probleme zu lösen hatte. Und sie lobt: "Sie hat zum Beispiel gezeigt in einer sehr schnellen Art und Weise, dass man auch die Abhängigkeit vom russischen Gas beseitigen konnte, allerdings um den Preis höherer Energiekosten. Und das ist natürlich ein Thema, das jetzt alle umtreibt und auch Auswirkungen auf die Wirtschaft hat."
D eutschland steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, an der viele der Ampelregierung eine gewisse Mitschuld geben. Deren verbliebene Koalitionäre würden sich durch eine Lockerung der Schuldenbremse gern größere Handlungsspielräume eröffnen. Das Instrument wurde während Merkels Regierungszeit in die Verfassung geschrieben, heute würde es auch die Altkanzlerin auf den Prüfstand stellen. "Wir stehen unter einem großen Investitionszwang, weil wir gleichzeitig die Verteidigungsausgaben massiv erhöhen müssen, wir müssen den Umstieg zu CO2-freien Technologien schaffen, und wir konstatieren, dass wir auch technologisch gegenüber anderen Weltregionen zum Teil im Rückstand sind. Und deshalb muss eine Reform der Schuldenbremse her, die sich aber auf Investitionen stützt und nicht wieder Sozialausgaben daraus finanziert." Ob eine Reform der Schuldenbremse noch vor den Wahlen in Angriff genommen werden müsste, weil die demokratischen Parteien nach der Wahl vielleicht keine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag mehr haben könnten, fragt Moderatorin Maybrit Illner. "Die demokratischen Parteien sollen stark werden. Dass meine Partei besonders stark werden soll, wird Sie nicht verwundern", sagt sie mit Blick auf die CDU. Über mögliche Wahlergebnisse will Merkel sich jedoch nicht äußern.
Ukrainekrieg und Migration
Zum Krieg in der Ukraine aber schon. Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, sagt sie. "Das ist eine flagrante, völkerrechtswidrige Aktion, die Putin gemacht hat mit der Ukraine." Deswegen hält es Merkel für richtig, die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen. "Ich sage allerdings auch, dass man parallel immer auch diplomatische Lösungen mitdenken muss. Die muss man nicht jetzt schon auspacken. Wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, das müssen alle gemeinsam miteinander beraten: die Ukraine genauso wie ihre Unterstützer." Eigene Fehler in der Russlandpolitik sieht Merkel nicht. "Das Drama ist, dass es nicht so geendet hat, wie ich es mir gewünscht habe." Man müsse die Entscheidungen, die sie damals getroffen habe, im Zusammenhang mit der Zeit sehen, in der sie fielen. Das gelte nicht nur für den Umgang mit dem russischen Präsidenten, auch für die Entscheidungen, die sie 2015 in der Flüchtlingskrise getroffen habe.
"Das Problem der illegalen Migration ist nicht bewältigt", sagt Merkel. Das müsse gelöst werden, aber nicht an der deutsch-österreichischen Grenze. "Man muss Abkommen mit den Herkunftsländern und mit den Transitländern schließen, um mit ihnen darüber zu verhandeln, dass illegale Migration reduziert wird und die Schlepper und Schleuser nicht mehr ihr Handwerk durchführen können." Man müsse die EU-Außengrenzen schützen und Abkommen mit den Nachbarn schließen.
In den letzten Wochen haben immer wieder Politiker und Journalisten von der Altkanzlerin gefordert, sich für Entschlüsse zu entschuldigen, die sich nachträglich als falsch herausgestellt haben. Zum Beispiel, dass sich Deutschland unter ihrer Führung zu abhängig von russischem Gas gemacht hat. Doch einen Grund für Entschuldigungen sieht die ehemalige Kanzlerin nicht. Entschuldigen könne sie sich nur für etwas, das zu der Zeit falsch war, als sie die Entscheidungen getroffen habe. Und da hat Merkel ihrer eigenen Ansicht nach ziemlich viel richtig gemacht.