3 weeks ago

AfD: Höcke: Gefangen in Thüringen



Seit elf Jahren ist Björn Höcke Chef der Thüringer AfD – und bleibt es auch. Doch sein Einfluss im Bund schwindet, und selbst daheim rumort es. Was hat der Mann bloß vor?

Wieder einmal Arnstadt. Wieder einmal hat sich die thüringische AfD in der kleinen Kreisstadt nahe Erfurt versammelt. Und wieder einmal ist natürlich der ewige Landesvorsitzende dabei. 

Lächelnd schreitet Björn Höcke am Samstagmorgen durch den Eingang des einstigen Brauhauses. Er grüßt jovial in alle Richtungen, schwatzt hier, scherzt dort. Einem Journalisten, der, wie Höcke sagt, einen "ganz schrecklichen Artikel" über ihn geschrieben habe, knufft er freundlich in die Seite. 

Dass er im Netz eine antisemitische Karikatur verbreitete – das, beteuert Höcke, sei nur ein dummes Versehen gewesen. Er habe das Bild gar nicht genau sehen können, seine Augen ließen nach und die Brille besitze nicht die richtige Sehstärke.

Thüringen Mario Voigt 16.15

Das ist typisch Höcke: provozieren, dann relativieren. Ansonsten fühlt sich der Landeschef offensichtlich ziemlich wohl. Dies hier ist sein Thüringen, seine Machtbastion. Elf seiner 52 Lebensjahre verbrachte er inzwischen an der Spitze der hiesigen AfD, seit zehn Jahren führt er die Fraktion im Landtag. 

Björn Höcke kneift erneut bei der Bundestagskandidatur

Und so soll es die nächsten Jahre weitergehen. Die deutlich gewachsene Fraktion hat ihn kürzlich im Amt bestätigt. Nun wird ihn der Landesparteitag wieder zum Vorsitzenden bestimmen.

Interessanter ist, wofür Höcke in Arnstadt nicht antritt. Auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl kandidiert neuerlich Stephan Brandner, der auch als stellvertretender Bundesvorsitzender der AfD amtiert. Für Platz zwei bewirbt sich Co-Landeschef Stefan Möller.    

Und Höcke? Wie schon bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 hatte er öffentlich mit der Spitzenkandidatur kokettiert. Aber so wie er nie eine Bewerbung für den Bundesvorstand wagte, verzichtete er auch diesmal auf den überfälligen Karriereschritt in nationale Parlament. Björn Höcke ist gefangen in Thüringen

Anleihe bei der KPD: "Wer Merz wählt, wählt den Krieg"

Die Rede, die er auf der in Parteiblau und Schwarz-Rot-Gold gehaltenen Bühne vorträgt, besteht aus den bekannten Versatzstücken. Er schimpft über ein neues "Zweiparteiensystem", in dem die AfD allein gegen "das Kartell" stehe. Er klagt über einen angeblichen "tiefen Staat" und die "Politisierung der Justiz". Und er greift die Union und ihren Kanzlerkandidaten an ("Wer Merz wählt, wählt den Krieg"). 

Natürlich dürfte der beurlaubte Geschichtslehrer Höcke die KPD-Parole von 1932 kennen, die da lautete: "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg". Auch dies: typisch Höcke. 

Fast pflichtgemäß attackiert der Landeschef noch einmal den frisch gewählten Ministerpräsidenten Mario Voigt als "Totengräber" der CDU und wirft dem Koalitionspartner BSW vor, die "Friedensbotschaft einfach verraten" zu haben. Doch so hart die Angriffe auch sind, so wenig können sie Höckes Problem überdecken: Die CDU regiert – und er nicht. Auch das Rekordergebnis von 32,8 Prozent, das seine AfD bei der Landtagswahl im September erreichte, führt ihn nur in weitere fünf Jahre Opposition.

Björn Höcke ist inzwischen die leibhaftige Garantie dafür, dass die AfD, sofern sie keine absolute Mehrheit erringt, eine Regierungsbeteiligung verwehrt bleibt, in Erfurt, aber auch in Berlin. Sein rechtsextremistischer Kurs sorgt zwar für Stimmen, erweist sich aber als machtpolitische Sackgasse. Er selbst gilt vielerorts als Paria. Machtkämpfe AfD 9:11

In Arnstadt schließt sich für Höcke ein Kreis

Im Arnstädter Brauhaus schließt sich deshalb für Höcke auch ein Kreis. Es ist fast zehn Jahre her, als er hier die "Erfurter Resolution" vorstellte. Im März 2015 war das, Höcke hatte die AfD kurz zuvor erstmals in den Landtag geführt. 

Die Resolution wurde zur Gründungsurkunde des rechtsextremistischen Netzwerks "Der Flügel" – und eine Kampfansage an den damaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke. Die AfD dürfe keine "technokratisch ausgerichtete Partei" werden, hieß es in dem Papier. Stattdessen müsse sie eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands" sein.

"Der Flügel" wurde zu Höckes Machtvehikel. Gemeinsam mit dem Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz und dem Verleger Götz Kubitschek, der die Resolution mitverfasst hatte, drängte er die Partei immer weiter nach rechtsaußen. Wer im Weg stand, wurde demontiert. Erst fiel Lucke, danach Frauke Petry, die vergeblich ein Ausschlussverfahren gegen Höcke angestrengt hatte.

Der Thüringer Landeschef operierte stets von hinten, aus Thüringen heraus. Auf den "Kyffhäusertreffen" des "Flügels" zelebrierte er seine Wirkmacht. Wenn er von der AfD als "der letzten evolutionären Chance für unser Vaterland" sprach, meinte er vor allem sich selbst. 

Weidel will die AfD anschlussfähig machen

Doch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wurde immer größer. Der "Flügel" musste auf Druck der Parteispitze aufgelöst werden, Kalbitz wurde aus der Partei verbannt. Auf dem jüngsten Bundesparteitag in Essen spielte Höcke kaum noch eine Rolle. Hinzu kamen Verurteilungen und interne Streitigkeiten, selbst im Thüringer Landesverband rumorte es zuletzt laut. 

Für viele Jüngere, die sich oft nicht minder extrem gebärden, hat Höcke seine Schuldigkeit getan. Dasselbe gilt für die Vorsitzende Alice Weidel, die sich einst nur notgedrungen mit dem "Flügel" arrangierte. Sie will ihre Partei bis zur Bundestagswahl 2029 anschlussfähig machen – und bedeutete Höcke, dass er in Berlin mit keiner Führungsposition rechnen konnte.

Bleibt also die Bastion Thüringen. Hier ist Höcke im Landtag der Vorsitzende der größten Fraktion, die mehr als ein Drittel der Mandate und damit eine Sperrminorität besitzt. Sie kann alles blockieren, was eine Zweidrittelmehrheit benötigt, von Richterwahlen über Verfassungsänderungen bis hin zur Selbstauflösung des Parlaments.

"An der AfD wird in den nächsten Jahren nichts vorbeiführen!", ruft Höcke in Arnstadt. "Wir werden richtig Druck machen!" 

Und am Ende noch ein bisschen Frieden

Und schließlich, am Ende seiner Rede, hat er doch noch eine Überraschung parat: eine neue Resolution. Diesmal geht es nicht gegen die eigene Parteispitze, sondern um den Weltfrieden. Wie damals bei der Deklaration des "Flügels" sollen die Mitglieder, die vorher nicht gefragt wurden, per Akklamation zustimmen.

Höcke wirkt beinahe ergriffen, als er auf der Bühne seine Sicht zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vorträgt. "Amerika möchte seine Vormachtstellung in Europa nicht aufgeben und zwingt seine 'Verbündeten' zu einer Parteinahme", liest er aus dem Text vor. Im Gegensatz zum BSW unterwerfe sich die AfD nicht der "Kriegsrhetorik der Kartellparteien" und setze sich für eine "Rückgewinnung der Souveränität Deutschlands" ein.

Die Resolution, sagt Höcke, sei ins Englische und Russische übersetzt worden, die Partei werde sie "unseren amerikanischen Freunden" und "unseren russischen Freunden" übersenden. Die Mitglieder im Saal stehen brav auf und klatschen, was Höcke prompt als Beschlussfassung interpretiert.

Und so wird, im Brauhaus zu Arnstadt, doch wieder einmal die ganz große Politik versucht. Oder wie es der ewige Landeschef Björn Höcke formuliert: "Da, wo Thüringen ist, ist vorne!"

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2025. All rights are reserved