Der Ifo-Wirtschaftswissenschaftler Timo Wollmershäuser spricht im Interview über die eingetrübten Aussichten für die deutsche Wirtschaft. Die Menschen seien verunsichert, sagt er.
Capital: Herr Wollmershäuser, vor ein paar Monaten schien die Stimmung in der deutschen Wirtschaft schlechter zu sein als die Zahlen, zum Beispiel zum Wirtschaftswachstum. Aber zum Herbstbeginn haben Sie für dieses Jahr nun doch ein Nullwachstum prognostiziert. Gleichen sich die Zahlen jetzt der Stimmung an?
Timo Wollmershäuser: Eigentlich sahen die Zahlen dieses Jahr nie besonders gut aus. Es stimmt, dass wir im Frühjahr noch mit einem Aufschwung gerechnet haben, im Sommer sind wir noch von 0,4 Prozent Wachstum ausgegangen. Wirklich gute Zahlen sind das aber nicht. Die Stimmung war da im Frühjahr besser, weil alle die Erholung im Laufe des Jahres erwartet haben. Nun sehen wir: Diese Erholung gab es im Sommer weder in der Industrie noch beim Konsum. Jetzt sind wir wieder bei der schlechten Stimmung, die wir zu Jahresbeginn schon hatten.
Woran liegt es, dass die Menschen weniger konsumieren?
Das ist eine spannende Frage, denn die Preise steigen ja nicht mehr so stark. In der Zeit der hohen Inflation wurden die Einkommen entwertet, weil die Preise viel schneller stiegen als die Löhne. Jetzt haben wir fast die angestrebte Inflationsrate von zwei Prozent erreicht und die Einkommen steigen gleichzeitig kräftig an. Es gab viele Tarifabschlüsse und Einmalzahlungen mit Lohnanstieg.
Trotzdem ist das Preisniveau insgesamt deutlich höher.
Das stimmt, aber das Lohnniveau eben auch. Aktuell ist der Anstieg von Löhnen und Preisen fast ausgeglichen. Von der Kaufkraft her sind wir wieder mehr oder weniger dort, wo wir vor Beginn der großen Inflation waren. Das heißt, wir können uns im Durchschnitt wieder das gleiche kaufen wie vor 2021. Das Problem ist, dass die Menschen das nicht tun und ihr Geld lieber beisammenhalten.
Das sieht man an der Sparquote, die derzeit höher ist als im Zehnjahresschnitt vor der Corona-Pandemie.
Ja, die Menschen geben ihr Geld zumindest nicht in dem Maße für Konsumzwecke aus, wie wir das erwartet hätten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Natürlich lohnt es sich wegen der höheren Zinsen wieder, Geld als Tages- oder Festgeld anzulegen. Ich glaube aber, dass die viele Krisen, die hinter uns liegen, dabei eine größere Rolle spielen. Die Menschen sind sehr verunsichert. Das sehen wir an der Wahlurne, wo auf einmal Parteien gewählt werden, nur weil sie vermeintlich einfache Lösungen bieten. Wir messen die Unsicherheit aber auch: Im Vergleich zu anderen Ländern liegt die Unsicherheit in Deutschland am höchsten. Die Menschen sparen, weil sie Angst haben.
Wovor haben sie Angst?
Ich glaube, das Problem ist, dass uns derzeit die Antworten auf viele Fragen fehlen. Politisch sind wir im Grunde genommen gelähmt. Und alles, was wir derzeit an politischen Debatten mitbekommen, verunsichert nur weiter. Der Migrationsgipfel jetzt ist nur eines von vielen Beispielen. Ein Weg, um die Verunsicherung zu nehmen, wäre politische Entscheidungen zu treffen, die eine Mehrheit der Bevölkerung versteht und die sie für sinnvoll hält. Das ist etwas, das die aktuelle Regierung in großen Teilen vermissen lässt.
Fürchten sich die Menschen auch vor Arbeitslosigkeit?
Ja, das ist ein weiterer Grund für die Verunsicherung. Die Krisen zeigen uns, dass die Arbeitslosigkeit wieder steigen kann, und das tut sie auch. Es gibt Entlassungen in der Industrie, zuletzt die Meldung von Volkswagen, dass man Standorte schließen möchte. Gerade ist ein massiver Wandel im Gange, in dem vor allem die Industrie Produktionsstätten verlagert. Deswegen haben wir letztlich auch unsere Konjunkturprognosen nach unten korrigiert.
STERN PAID 38_24 VW Krise, 22.00
Wen würde eine steigende Arbeitslosenquote besonders treffen?
Das lässt sich teilweise an den Branchen ablesen, die gerade Stellen abbauen. Das sind vor allem energieintensive Branchen wie die chemische Industrie oder der Papierindustrie. Beim Ifo-Institut glauben wir aber nicht, dass die Unternehmen im großen Stil Menschen entlassen werden. Die Situation jetzt ist nicht mit den Krisen vergangener Jahrzehnte vergleichbar. Gesamtwirtschaftlich werden sogar Stellen aufgebaut. Der Dienstleistungssektor stellt massiv ein, besonders in den Bereichen, die dem öffentlichen Dienst zugeordnet werden können wie in Pflege- und Erziehungsberufen.
Jetzt geht es bald auf Weihnachten zu, wo die Leute traditionell kauffreudiger sind.
Dass wir kurz vor Weihnachten mehr Geld ausgeben als im Herbst, ist normal. Die aus konjunktureller Sicht spannende Frage ist, ob wir dieses Jahr an Weihnachten mehr Geld ausgeben als in den Jahren zuvor und danach sieht es gerade nicht aus.
Sollte Ihre Prognose stimmen und die Wirtschaft in diesem Jahr stagnieren: Was bedeutet das konkret für Verbraucherinnen und Verbraucher?
Das kommt darauf an, inwiefern sie betroffen sind. Wer seinen Job behält, was wie gesagt voraussichtlich für die meisten der Fall sein wird, der wird zunächst kaum merken, dass es kein Wirtschaftswachstum gibt. Ihre Löhne könnten sogar noch steigen: In den nächsten Monaten stehen beispielsweise für die Elektroindustrie wieder Lohnverhandlungen an. Bei vielen Tarifverträgen treten zu Jahresbeginn neue Stufen in Kraft. Das Einkommen ist also gesichert. Damit die Konjunktur in Schwung kommt, müssen die Leute es dann nur auch ausgeben.