Es ist eine der Top-Meldungen in der wichtigsten russischen Nachrichtensendung: Ein Deutscher mit russischen Wurzeln wird bei der Einreise aus Polen in die Exklave Kaliningrad verhaftet. Angeblich wollte er Anschläge in Russland verüben. Auffällig ist, wie ausführlich das russische Fernsehen berichtet.
"Raus hier, auf den Boden!", schreien die vermummten Männer. Zu dritt zerren sie Nikolai G. auf den Boden. Aus drei verschiedenen Kameraperspektiven zeigt der staatliche Fernsehsender "Perwij Kanal" diese Operation des russischen Geheimdienstes FSB in Kaliningrad an der polnisch-russischen Grenze. "Wohin wollten Sie?", fragt ein Beamter in strengem Ton. "In ein Wellness-Hotel", antwortet der Mann, dessen Kopf zur Kamera gedrückt wird. Der TV-Redakteur kommentiert in seinem Text süffisant: "Jetzt wird er in einem anderen Hotel wohnen, ohne Wellnessbereich."
Dann wird das Auto des Festgenommenen durchsucht und siehe da, die Spezialkräfte finden eine Flasche mit einer Flüssigkeit. Angeblich soll es sich dabei um flüssigen Sprengstoff handeln. Die Sprecherstimme erklärt, Nikolai G. habe sich entschieden, mit den Behörden zu kooperieren.
Geständnis im Fernsehen
Es folgt ein Klassiker im russischen Fernsehen: das gefilmte Geständnis. "Im November 2023 hat sich in der Stadt Hamburg ein Bekannter an mich gewandt", beginnt der Mann mit deutscher Staatsbürgerschaft vor laufender Kamera zu erzählen. Angeblich wurde er angeworben von einem Ukrainer. Nicht selten werden Menschen in Russland für solche Geständnisse gefoltert. Wie genau dieses Geständnis zustande kam, ist unklar.
Eine Unschuldsvermutung scheint es nicht zu geben, genauso wenig wird Nikolai G. unkenntlich gemacht. Für den Zuschauer soll klar werden: Hier sitzt ein Terrorist und er hat seine Taten zugegeben. Angeblich habe G. schon einmal eine Gasverteilungsstation angegriffen und dazu Sprengstoff nach Kaliningrad gebracht. Dazu zeigt das russische Fernsehen Fotos eines Heizofens.
Die TV-Redakteure sind auffällig gut vorbereitet. Sie wissen zu berichten, dass der Festgenommene im ukrainischen Teil der Sowjetunion geboren wurde und 1986 im asiatischen Teil des Riesenreichs im Militärdienst war. Aufnahmen von ihm vor dem Reichstag und auch ein Foto mit Olaf Scholz zeigt der Beitrag. Ein Grund für die akribische Vorbereitung: Die Festnahme hat schon im Oktober stattgefunden, veröffentlicht wurde der Beitrag aber erst jetzt. Das Auswärtige Amt bestätigte, dass ihm der Fall bekannnt sei.
Russischer Korrespondent in Hamburg unterwegs
Die russischen Journalisten haben die Adresse des Verdächtigen recherchiert und schon steht Korrespondent Ivan Blagoy in Hamburg vor einem Wohnhaus. Blagoy ist in der Vergangenheit schon durch Falschinformationen aufgefallen. Im Fall der erfundenen Vergewaltigungsgeschichte rund um das Mädchen Lisa aus Berlin hat er so viel russische Propaganda verbreitet, dass er wegen Volksverhetzung angezeigt wurde.
Nun steht der Reporter des "Perwij Kanal" am Wohnhaus des angeblichen Terroristen. Sein vollständiger Nachname wird auf dem Klingelschild gezeigt - dass der Name dort mit H. geschrieben ist, liegt an der teils anspruchsvollen Übersetzung einiger kyrillischer Schreibweisen ins Deutsche. Der Korrespondent kommt ins Haus und spricht mit einer Natalia im Flur, sie ist die Ex-Frau des Beschuldigten. Über Terroranschläge könne sie nichts sagen und auch sonst wisse sie kaum etwas zu berichten. Kein großer Erfolg. Anhand der Klingelschilder meint der Korrespondent erkennen zu können, dass man hier keine Verbindungen zu Ukrainern herstellen kann. Auch andere Nachbarn fragt der Korrespondent nach einem Verbindungsmann aus der Ukraine. Kein Erfolg.
Nachrichten mit Botschaft
Dann müssen jetzt andere Mittel her. Mit einer Gesichtserkennungssoftware finden die russischen Journalisten einen Ukrainer, der Nikolai G. in Hamburg Aufträge für Anschläge gegeben haben soll. Hier kommt man jetzt nicht mehr weiter, also folgen im Beitrag andere Fälle, bei denen Personen aus dem Westen angeblich Russland schaden wollten. Ein als Experte vorgestellter Mann erklärt, dass alle Spuren eindeutig in die Ukraine führen würden. Und fertig sind sechs Minuten russische Propaganda.
Wie es mit Nikolai G. weitergeht, ob die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleitet? Dazu keine weiteren Informationen. Offen ist auch, warum die Festnahme aus dem Oktober erst jetzt gezeigt wird. Klar scheint aber, dass die Veröffentlichung mit hoher Wahrscheinlichkeit eng mit dem Kreml abgestimmt wurde. Denn der russische "Perwij Kanal" ist ein wichtiges Sprachrohr des russischen Präsidenten.
Die Veröffentlichung hat mindestens zwei Botschaften. Die russischen Zuschauer erfahren, wie sehr ihr Land angeblich durch die Ukraine bedroht sei. Und in Deutschland kommt die Nachricht an, dass Putin einen deutschen Staatsbürger in seiner Gewalt hat. Nun hat Putin ein neues Faustpfand. Erst im Sommer hatte sich die Bundesregierung durchgerungen, im Tausch für westliche Geiseln und russische Oppositionelle den sogenannten "Tiergarten-Mörder" aus der Haft an Russland zu übergeben.