Der Osten hat die Wahl: Am 1. September entscheiden knapp 3,3 Millionen Wahlberechtigte in Sachsen, wer im Dresdner Landtag künftig die politische Richtung vorgeben soll. Die CDU könnte zum ersten Mal seit 1990 die Position der stärksten Kraft im Land verlieren.
Bei der Landtagswahl im Freistaat Sachsen deutet sich ein denkbar knapper Wahlausgang ab: In den Umfragen der vergangenen Monate lagen CDU und AfD zeitweise nahezu gleichauf. Der Vorsprung der Rechtspopulisten schien im Sommer abzuschmelzen, in den jüngsten Umfrage wird die AfD wieder knapp vor der CDU gesehen.
"Es ist eine Schicksalswahl, hier geht es um alles", erklärte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der bei der Landtagswahl am 1. September als CDU-Spitzenkandidat zur Wiederwahl antritt. Kretschmer rief seine Mitbürger zur Stärkung der demokratischen Mitte auf.
Die sächsischen Christdemokraten kamen zuletzt auf 29 bis 33 Prozent der Stimmen, die Alternative für Deutschland (AfD) bei 30 bis 32 Prozent. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) könnte den Umfragen zufolge zwischen 11 und 15 Prozent erreichen. Damit wäre das BSW in Sachsen neue drittstärkste Kraft. Die SPD bewegt sich in den Befragungen zwischen sechs und sieben Prozent, die Grünen je nach Umfrageinstitut zwischen fünf und sechs Prozent.
Hinweis: Die Daten zur Landtagswahl 2024 in Sachsen werden laufend aktualisiert.
Die Suche nach einer tragfähigen Mehrheit zur Regierungsbildung könnte sich schwierig gestalten: Der amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer muss damit rechnen, mit der sächsischen CDU auf Platz zwei abzurutschen.
Bisher stützt sich Kretschmer auf eine schwarz-grün-rote Mehrheit. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob es in der bisherigen Konstellation weitergehen kann. Kretschmer selbst hat angekündigt, künftig ohne die Grünen regieren zu wollen.
Die CDU stellt in Sachsen seit der Wiedervereinigung durchgehend den Ministerpräsidenten. Sollte Kretschmer bei der Wahl weniger als 32,2 Prozent der Stimmen einfahren, müsste er nach innen und außen das bisher schlechteste CDU-Ergebnis bei einer Landtagswahl in Sachsen verantworten.
Kretschmers Verhandlungsspielräume hängen auch davon ab, wie vielen Parteien der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde überhauot gelingt. In einer Befragung im Auftrag der Sächsischen Zeitung vom 19. Juni zum Beispiel wurden SPD und Grüne in Sachsen jeweils nur bei 5,0 Prozent gesehen. Ohne eine ausreichende Anzahl an Direktmandaten wäre damit der Wiedereinzug ins Landesparlament auch für Sozialdemokraten und Grüne gefährdet.
Kretschmer ist in der Bevölkerung vergleichsweise beliebt. In der Direktwahlfrage der Meinungsforscher führt der CDU-Politiker haushoch vor dem AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban. Den Spitzenkandidaten der Rechten können sich demnach nur 17 Prozent der von Infratest dimap Befragten als Regierungschef vorstellen. Der AfD-Spitzenkandidat schneidet damit zumindest in dieser Umfrage schwächer ab als seine Partei.
Klare Mehrheiten sind in Sachsen bisher nicht in Sicht. Die Linke muss den bisherigen Umfragen zufolge um den Wiedereinzug in den Landtag bangen: In den aktuellen Erhebungen landet die Partei durchgehend unter fünf Prozent. Das heißt: Sollten bei der Landtagswahl am 1. September nicht mindestens zwei Direktmandate an die Linke gehen, würde sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Sollten Grüne, Sozialdemokraten und Linke tatsächlich den Einzug ins Landesparlament verpassen, wären im sächsischen Landtag künftig womöglich nur noch drei Fraktionen vertreten. Kretschmer steht auf Landesebene nicht nur in diesem Fall vor bundespolitisch höchst umstrittenen Entscheidungen: Sollte die CDU mit Wagenknechts Bündnis regieren? Im "Frühstart" bei RTL und ntv wollte er eine Koalition mit dem BSW auf Nachfrage zumindest nicht grundsätzlich ausschließen.
Allerdings kritisierte er das BSW deutlich. Das Bündnis plakatiere in Sachsen vor allem Wagenknecht, obwohl die Politikerin dort bei der Wahl am 1. September gar nicht antrete. Zudem sei kaum etwas über das Programm der Wagenknecht-Partei bekannt. "Auch das ist ein Stück weit eine Wundertüte, eine Blackbox", sagte Kretschmer.
CDU-Spitzenkandidat Kretschmer deutete im Vorfeld der Wahl bereits an, dass er weiterregieren möchte - nach Möglichkeit mit der SPD und ohne die Grünen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss er ausdrücklich aus. Auf Basis der bisher vorliegenden Umfragedaten käme die CDU mit den Sozialdemokraten auf maximal 56 der regulär 120 Sitze. Die Schwelle zur Mehrheit liegt allerdings bei 61.
Doch selbst mit Grünen und Linken im Landtag wäre eine Fortsetzung von Schwarz-Grün-Rot nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen: Nur in einer der letzten vier Umfragen aus dem August reicht es mit den sächsischen Grünen für eine stabile Mehrheit der Mandate.
Selbst zusammen mit dem BSW käme Kretschmer - Stand August - nur auf eine knappe Mehrheit im Landtag. Ob sich für die sächsische CDU neben dem BSW ein weiterer, dritter Koalitionspartner finden ließe, ist noch offen. Ein Bündnis mit Wagenknechts jungem Polit-Projekt birgt Risiken: Kretschmer müsste sich auf ein umstrittenes Experiment einlassen und wäre der erste CDU-Politiker, der eine "Blackbox"- oder "Wundertüten"-Koalition auf Landesebene führen müsste.
Die Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen, Katja Meier, schloss eine Koalition mit dem BSW bereits im Vorfeld klar aus. "Ich bin Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, einer Partei, die aus der Bürgerrechtsbewegung entstanden ist, die 1989 auf die Straße gegangen ist für freie Wahlen, für Demokratie, für Pressefreiheit", sagte Meier im RTL/ntv-"Frühstart". Sie könne sich mit Blick auf die Russland-Positionen des BSW beim besten Willen nicht vorstellen, eine Koalition mit einer Partei einzugehen, die einem autoritären Regime nicht nur das Wort rede, sondern auch "autoritär regieren" werde.
Die Grünen-Politikerin Meier ist amtierende Justizministerin in Sachsen. Die Dreier-Koalition mit CDU und SPD wertet sie als Erfolg. Sie kritisierte, dass sich Kretschmer gegen eine erneute Koalition mit den Grünen ausspricht. "Die Unkenrufe von Michael Kretschmer finde ich an der Stelle auch völlig fehl am Platze, weil wie gesagt, es darum geht, dass wir hier stabile Mehrheiten haben und kein Blinken nach rechts Richtung AfD, genauso wenig wie mit den Kreml-Leuten vom BSW."
Hinweis: Diese Karte zeigt Ergebnisse der Kommunalwahlen in Sachsen, Stand Juni 2024
Die künftigen Mehrheitsverhältnisse im sächsischen Landtag entscheiden sich erst am Wahltag. Großen Einfluss auf das amtliche Ergebnis dürfte auch in Sachsen die Wahlbeteiligung haben: Der Einfluss der Stimmabgabe ist enorm, wie eine bekannte Vergleichsrechnung zeigt.
Bei der zurückliegenden Landtagswahl 2019 lag die Wähler-Quote in Sachsen bei 66,5 Prozent. Damit wären die Nichtwähler - hätten sie ihr Wahlrecht genutzt - auf einen theoretischen Stimmanteil von 33,5 Prozent gekommen. Am Wahlsonntag, dem 1. September, treten in Sachsen insgesamt 19 Parteien und Wählergruppen an.
Bei der Wahl 2019 hatte die CDU mit 32,1 Prozent der Stimmen ihr bisher schwächster Ergebnis in Sachsen seit der Wiedervereinigung eingefahren. Die AfD kam damals mit 27,5 Prozent auf Platz 2, gefolgt von der Linken mit 10,4 Prozent. Die Grünen hatten 2019 in Sachsen 8,6 Prozent der Stimmen erzielt, die Sozialdemokraten lagen mit einem Wahlergebnis von 7,7 Prozent auf Platz fünf.