Wer wusste über das Strategiepapier zum Ampelbruch in der FDP Bescheid? Nach Darstellung von Parteichef Lindner nur eine untere Ebene. Polit-Beobachter halten das für wenig glaubwürdig.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner ist auf Distanz zum Strategiepapier der Liberalen für den Ausstieg aus der Ampel-Koalition gegangen. "Das öffentlich gewordene Papier des Genscher-Hauses war lediglich ein Entwurf", hieß es in einer Erklärung Lindners. Der scheidende Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann habe bestätigt, dass es auf Mitarbeiterebene erstellt und nur dort diskutiert worden sei. "Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt", betonte Lindner.
Der FDP-Chef fügte hinzu: "Unabhängig von diesem Dokument will ich aber ausdrücklich bestätigen, dass es angesichts des Streits in der Koalition und des Stillstands im Land notwendig war, das mögliche Ausscheiden der FDP aus der Ampel zu durchdenken. Hierzu weise ich jeden Vorwurf zurück."
Sein tatsächlicher Vorschlag an Bundeskanzler Olaf Scholz sei gewesen, als Koalition gemeinsam Neuwahlen herbeizuführen, wenn in der Sache keine Einigung mehr möglich ist. "Ausdrücklich war und ist es kein Geheimnis, dass die FDP selbstverständlich ohne Wirtschaftswende, ohne einen Haushalt mit Schuldenbremse und ohne Konsequenz in der Migrationspolitik hätte aus der Regierung ausscheiden müssen."
Vor dieser Erklärung waren FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Reymann zurückgetreten. Sie reagierten damit auf das Bekanntwerden des "D-Day"-Papiers, in dem im Detail der Austritt der FDP aus der Koalition mit SPD und Grünen entworfen wird.
"Alle wussten, was sie getan haben"
Beobachter halten den Umstand, dass sowohl Djir-Sarai als auch Lindner nach eigenen Angaben keine Kenntnis von dem Dokument hatten, für abwegig. Es sei davon auszugehen, dass sowohl der zurückgetretene Generalsekretär als auch "Lindner in gleicher Weise informiert, involviert und in diesen Dingen mittendrin steckte", sagte Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder im Gespräch mit ntv. Es sei schlechterdings nicht vorstellbar, "dass Praktikanten in der FDP-Zentrale sich mal gerade überlegen, wie man aus dieser Koalition austritt und alle anderen sich nicht darum kümmern, weil sie viel Wichtigeres zu tun haben." Und weiter: "Ich gehe davon aus, dass von Lindner bis hin zu den zentralen Referenten, die dieses Papier zu verantworten hatten, alle wussten, was sie getan haben. Und ansonsten wäre deren Zurechnungsfähigkeit in höchstem Maße in Zweifel zu ziehen." Schröders Einschätzung nach müssten bei der FDP als Konsequenz aus dem Papier und dem Umgang damit "weitere Köpfe rollen".
Der Politologe Albrecht von Lucke glaubt indes nicht daran, dass Parteichef Lindner ernsthafte Konsequenzen fürchten muss. "Schon deshalb, weil es in der FDP niemanden gibt, der Christian Lindner ersetzen könnte", sagte von Lucke im Gespräch mit ntv. Gleichzeitig sei es ein "Aberwitz" zu behaupten, Lindner habe nicht gewusst, was sich in seiner Parteizentrale abgespielt habe.