Die Rolle von Christian Lindner und seiner FDP beim Ende der Ampelregierung sorgt weiter für Diskussionen. An der eigenen Basis regt sich der Unmut.
Nach der D-Day-Affäre, in deren Zuge der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer der FDP zurücktraten, steckt die Partei in einer tiefen Krise. Für die Liberalen geht es nun darum, verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des FDP-Präsidiums, sprach von einer Lawine, unter der die FDP "kommunikativ begraben" worden sei. "Wir schaufeln uns jetzt wieder frei", sagte die ehemalige EU-Spitzenkandidatin und Verteidigungsexpertin dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
Bei der Frage, wie das klappen kann, rückt auch Parteichef Christian Lindner selbst in den Fokus. Ist er derjenige, der die Partei wieder in besseres Fahrwasser führen kann? Strack-Zimmermann, die laut Medienberichten Lindners Wunschkandidatin für das freigewordene Amt des Generalsekretärs gewesen ist, aber abgelehnt haben soll, beantwortete diese Frage eindeutig: "Christian Lindner bleibt der richtige Parteichef und Spitzenkandidat", sagte sie.
Harsche Kritik an Lindner: "Polithandwerklicher Dilettantismus"
Manche an der Basis allerdings sehen das gänzlich anders. Der frühere Thüringer FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzende Andreas Kniepert übte harsche Kritik an Lindner. "Was jetzt passiert ist, ist polithandwerklicher Dilettantismus", sagte er dem stern. "Wenn der Vorsitzende angeblich nicht weiß, was die eigenen engen Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle machen, dann ist das ein Offenbarungseid."
Die Stimmung in der FDP in Ostdeutschland liege inzwischen "bei null", erklärte Kniepert. "Ich denke, die FDP wird nicht dem nächsten Bundestag angehören." Das sei "auch gut so, denn es muss eine Läuterung geben, das geht nur über das Ausscheiden aus dem Parlament."
Die Führungskrise der FDP betrifft laut Kniepert nicht nur den Parteivorsitzenden. "Es geht nicht nur um Christian Lindner, es ist die gesamte Truppe, die versagt hat", sagte er. "Hier hat sich eine Machtstruktur gebildet, der die Wähler nicht mehr vertrauen." Dass die FDP damals überhaupt in die Ampel-Koalition einstieg, sei "abenteuerlich" gewesen. "Es ging nach meiner Meinung vor allem darum, Positionen zu besetzen."
Ulf Kasimir, der im Oktober einen Mitgliederentscheid zum Austritt der FDP aus der Bundesregierung angestoßen hatte, hat den Rücktritt von Parteichef Christian Lindner gefordert. "Es ist Zeit, dass sich Lindner zurückzieht", sagte der Vorsitzende der FDP im hessischen Neu-Isenburg der "taz". "Die FDP braucht einen personellen Neuanfang."
Ganz anders argumentiert der Bundestagsabgeordnete Gerald Ullrich. "Wir wollten in einem geordneten Prozess Neuwahlen herbeiführen, auch um einige wichtige Vorhaben und Gesetze noch im Bundestag beschließen zu können", sagte er dem stern. Dass es Papiere gab, die sich mit anderen Exit-Strategien beschäftigt hätten, sei normal und richtig gewesen. "Ich fand es daher auch völlig unnötig, dass der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer zurückgetreten sind. Sie haben beide einen ausgezeichneten Job gemacht."
Ex-Bundesschatzmeister tritt aus: "Für mich ist Haltung wichtig"
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer sieht gar überhaupt keine Anzeichen für eine solche Diskussion bei den Liberalen. "Es gibt keine Debatte in der FDP über die Spitzenkandidatur von Christian Lindner", sagte der Berliner Landesvorsitzender dem stern. Christian Lindner habe die Blaupause für die Wirtschaftswende verfasst, mit der man dokumentiere, wie es wieder aufwärts mit Deutschland gehen könne. "Es gibt niemand, der geeigneter ist, uns in diese Richtungswahl zu führen."
In der vergangenen Woche hatte das Bekanntwerden eines Papiers mit detaillierten Plänen zum Ausstieg aus der Ampel zum Rücktritt von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann geführt. Die Verwendung historisch belasteter Begrifflichkeiten in dem Dokument hatte auch in den eigenen Reihen für harsche Kritik gesorgt. Überschrieben ist das Papier mit dem Titel "D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen". Der D-Day bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt im Kampf gegen Hitler-Deutschland, den Tag, als die Alliierten in der Normandie ankamen. In einem skizzierten Zeitplan ist in "Phase IV" vom "Beginn der offenen Feldschlacht" die Rede.
Im Zuge der Affäre hat die Partei einen prominenten Austritt verzeichnen: Der frühere FDP-Bundesschatzmeister Harald Christ begründete seine Entscheidung auch mit dem Vorgehen der Parteiführung in den vergangenen Wochen. "Für mich ist Haltung wichtig", sagte er dem "Handelsblatt". Gerade die kriegerischen Begriffe in dem Papier irritierten ihn – "ich kann über Worte wie 'D-Day' und 'offene Feldschlacht' nur den Kopf schütteln". Er empfehle der Parteiführung jetzt, "sich ehrlich zu machen und alles auf den Tisch zu bringen".
Parteichef Christian Lindner hat wiederholt betont, von dem Dokument "keine Kenntnis" gehabt zu haben. Als die Moderatorin Caren Miosga ihn am Sonntag in ihrer Sendung nach einem Rücktritt fragte, sagte Lindner: "Ich habe nicht die Absicht, nein." Er habe die Absicht, sich bei seiner Partei als Spitzenkandidat zu bewerben. Offen ist, ob die FDP bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar mit mehr als fünf Prozent der Wählerstimmen erneut in den Bundestag einzieht – oder daran scheitert.