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Experten schlagen "Kinderstartgeld" vor - wie sinnvoll ist das?



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Stand: 09.10.2024 07:00 Uhr

Der Sachverständigenrat Wirtschaft plädiert für ein staatlich finanziertes "Kinderstartgeld" für alle Kinder ab sechs Jahren. Wie sinnvoll wäre das - und könnte es die Finanzbildung in Deutschland stärken?

Till Bücker

Zehn Euro im Monat über einen Aktienfonds: Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben ein staatlich finanziertes "Kinderstartgeld" für alle Mädchen und Jungen ab sechs Jahren vorgeschlagen. Mit 18 Jahren sollen sie es sich dann auszahlen lassen oder weiter damit sparen können, erklärte der Sachverständigenrat Wirtschaft (SVR Wirtschaft) in seinem neuem Policy Brief. Durch diese Erfahrung mit Kapitalmarktanlagen könne die Finanzkompetenz gestärkt werden. Aber wie steht es überhaupt um die Finanzbildung hierzulande?

"Das Niveau der finanziellen Bildung in Deutschland ist gut - gemessen an vielen anderen Ländern", erklärt Lukas Menkhoff, der am DIW Berlin unter anderem über die Wirkungen finanzieller Bildung forscht, im Gespräch mit tagesschau.de. Das zeigt auch eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Darin belegt Deutschland im Vergleich mit 38 weiteren Staaten den ersten Platz. Ein Ranking sei aber nicht der richtige Maßstab, so Menkhoff. "Der richtige Maßstab ist, ob die Menschen das Wissen und die Fähigkeiten haben, wirklich gute Entscheidungen zu treffen, die für ihr Leben wichtig sind." In diesem Sinne gebe es große Lücken.

Bundesregierung plant Finanzbildungsstrategie

Bereits im März 2023 hatten das Bundesfinanzministerium (BMF) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Initiative Finanzielle Bildung gestartet und die OECD beauftragt, eine Empfehlung für eine Finanzbildungsstrategie vorzulegen. In einer Bestandsaufnahme identifizierte die Organisation daraufhin im Mai dieses Jahres gravierende Mängel. So sind nur etwas mehr als die Hälfte aller Erwachsenen von ihren Finanzplänen fürs Alter überzeugt, und ein Viertel könnte die Lebenshaltungskosten bei Verlust der Haupteinnahmequelle keine drei Monate lang decken. Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsniveau sowie Frauen hätten eine geringe Finanzkompetenz.

Am 24. September übergab die OECD den Vorschlag an die Ministerien. Darin fordert sie Kreisen zufolge eine Stärkung der finanziellen Bildung vor allem "in fünf prioritär anzusehenden Themenbereichen": Teilnahme am Finanz- und Kapitalmarkt, langfristiges Sparen und Altersvorsorge, Verhinderung von Überschuldung und verantwortungsvoller Umgang mit Krediten, Stärkung der digitalen Finanzkompetenz sowie Umsetzung von Nachhaltigkeitspräferenzen. Nun soll "zeitnah eine Finanzbildungsstrategie des Bundes erarbeitet werden", teilt das BMF gegenüber tagesschau.de mit. Ob das von den Wirtschaftsweisen vorgeschlagene "Kinderstartgeld" Teil der Strategie sein wird, ist offen. "Den Vorschlag des SVR Wirtschaft können wir nicht kommentieren."

Kinder und Eltern könnten "verschiedene Finanzzyklen erleben"

"Das Kinderstartgeld kann die nationale Finanzbildungsstrategie sinnvoll ergänzen", heißt es dagegen vom Sachverständigenrat. Es ziele darauf ab, Finanzverhalten durch das Lernen aus Erfahrungen zu stärken - anstatt auf theoretisches Wissen. Das Instrument solle "eine Teilnahme am Kapitalmarkt bereits früh im Leben verankern und dadurch langfristige Erfahrungen mit entsprechenden Anlagen und deren Renditechancen für breite Bevölkerungsschichten ermöglichen", argumentieren die Wirtschaftsweisen.

Zudem wirke das Programm auch auf die Finanzkompetenz der Eltern, da sie zunächst die Kapitalanlage für ihre Kinder übernehmen und den Fonds nach bestimmten Kriterien aussuchen können. Ab einem Alter von 15 Jahren sollen die Kinder schließlich selbst darüber entscheiden können. In den zwölf Jahren könnten also beide "verschiedene Finanzzyklen erleben und von den Vorteilen einer breit gestreuten Anlage profitieren". In der Schule sollen die Kinder außerdem bis zum Ende der Ansparphase alles Nötige lernen, um dann eigenständig Entscheidungen treffen zu können.

"Unverzichtbares Kernelement" sei ein breit diversifizierter UCITS-Fonds mit einem hohen Aktienanteil sowie Anteilen an festverzinslichen Wertpapieren. Dies ermögliche im langen Anlagehorizont eine "solide Rendite mit geringem Risiko". Sollten die Eltern keine "aktive" Anlageentscheidung treffen, würden die Einzahlungen in einen Fonds mit einem hundertprozentigen Aktienanteil fließen. Im Median werde dann nach zwölf Jahren ein Portfoliowert von über 2.100 Euro erreicht. Bei einer Aktienquote von 75 Prozent wären es dem SVR Wirtschaft zufolge 1.990 Euro, bei 50 Prozent 1.867 Euro.

Kosten von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr

"Es ist wichtig, dass sich etwas tut. Der Vorschlag des SVR ist interessant und könnte langfristig etwas bewirken", sagt Andreas Peichl, Leiter des Zentrums für Makroökonomik und Befragungen am Münchener ifo Institut, gegenüber tagesschau.de. Er erhöhe die Anreize, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Darüber hinaus wären aber "sicherlich begleitende Bildungsmaßnahmen" entscheidend. "Grundsätzlich verstehe ich die Motivation für den Vorschlag", meint auch DIW-Fachmann Menkhoff. Über eigene Erfahrungen den Zugang zum Kapitalmarkt zu fördern ergebe Sinn.

Bei der konkreten Umsetzung stelle sich aber die Frage, ob sich die Leute durch das "Kinderstartgeld" wirklich auch damit beschäftigen. "Bei zehn Euro im Monat könnte man ja auch meinen, sich nicht darum kümmern zu müssen", so Menkhoff. In anderen Ländern habe sich gezeigt, dass bei ähnlichen Mechanismen häufig die Standardoption gewählt werde. "Dann ist nicht wirklich etwas gewonnen." Der Sachverständigenrat verweist in seinem Policy Brief auf Staaten wie Israel, das Vereinigte Königreich, die USA und Kanada, in denen schon über sogenannte Child Development Accounts (CDA) der langfristige Vermögensaufbau gefördert wird.

Ein weiteres Problem an der Ausgestaltung ist laut Menkhoff der Anlagehorizont. "Die Zeiträume, die man braucht, dass die risikobereinigte Rendite immer besser wird, sind sehr lang. Beim Vorschlag des Sachverständigenrats ist die Anlage jedoch durch die monatliche Sparrate von zehn Euro zeitgewichtet kürzer als sechs Jahre." Darüber hinaus ist sich der Forscher ohnehin nicht sicher, ob der Zeitpunkt angesichts der aktuellen Probleme im Bundeshaushalt richtig gewählt ist. Das Konzept würde den Staat nach Angaben der "Wirtschaftsweisen" langfristig jährlich rund 1,5 Milliarden Euro kosten.

"Geringe Anbindung an die Lebenswirklichkeit"

Auch andere Ökonomen halten das "Kinderstartgeld" aus diesem Grund für unrealistisch. "Die technischen Aspekte des Konzepts sind nicht das Problem des Vorschlags, sondern seine geringe Anbindung an die Lebenswirklichkeit", sagt Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, im Interview mit tagesschau.de. Dass die öffentlichen Haushalte gerade nicht in der Lage sind, aus einem übervollen Reservoir an Finanzmitteln zu schöpfen, sei doch allseits bekannt. In den anderen Ländern werde die Förderung durch die Erhebung von Studiengebühren gegenfinanziert. Das sehe der Vorschlag hierzulande aber nicht vor.

"Wenn es vor allem darum geht, die Auswirkungen von Portfolio-Entscheidungen auf den Verlauf des angesparten Kapitals zu verdeutlichen, dann ginge das zweifellos auch ohne jeglichen Einsatz finanzieller Mittel im Mathematik-Unterricht", so Schmidt. Stattdessen schlägt der ehemalige Wirtschaftsweise neben verpflichtenden Lerneinheiten in der Schule eine verpflichtende Weiterbildung der Lehrkräfte in Grundzügen ökonomischer Zusammenhänge und den Einsatz von Lernmaterialien mit praktischem Bezug zum Wirtschaftsleben vor.

Auch für Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln ist die Subvention "als Maßnahme fraglich, um Verhalten zu verändern, auch wenn es positive Effekte geben könnte". Sinnvoller wäre, die finanzielle Bildung an Schulen direkt zu stärken, betont auch der Leiter für die Themen Bildung, Innovation und Migration. "Hier könnten auch Planspiele langfristig eingesetzt werden, um die Effekte von Anlagen am Kapitalmarkt zu simulieren und Chancen und Risiken einzuordnen. Mit zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ließe sich direkt für den Unterricht individuelle Förderungen im Bildungssystem eine größere Wirkung erzielen.

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