Die EU diskutiert weiterhin darüber, ob sie beim Kampf gegen Kindesmissbrauch Grundrechte aushebeln will. Am Verhandlungstisch sitzt auch Deutschland. Doch nicht alle Parteien legen vor der Bundestagswahl offen, wie sie zu dem umstrittenen Gesetzesvorschlag stehen.
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Wer auch immer die nächste Bundesregierung stellt: Sie wird Deutschland in den EU-Verhandlungen rund um die sogenannte Chatkontrolle vertreten. Bislang hatte die Ampel-Koalition mit ihrer Ablehnung dazu beigetragen, dass sich der EU-Rat nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte – und hat so die Einführung der Massenüberwachung mitverhindert. Ein Rückzieher Deutschlands könnte dazu führen, dass die bisherige Sperrminorität der EU-Länder einreißt.
Die Chatkontrolle ist Teil eines Gesetzesvorschlags der EU-Kommission aus dem Jahr 2021. Erklärtes Ziel ist, den sexualisierten Missbrauch von Kindern im Internet zu bekämpfen. Besonders brisant in dem Maßnahmenpaket ist der Vorschlag, Online-Dienste mit Anordnungen zu verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer:innen automatisiert auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht an Behörden zu melden.
Greifen soll die Auflage selbst bei Ende-zu-Ende-verschlüsselten Inhalten. Beispielsweise ist mit sogenanntem Client-Side-Scanning möglich, in eigentlich vertraulich versandte Nachrichten hineinzuschauen, bevor sie verschlüsselt werden. IT-Sicherheitsforscher:innen sehen darin eine Gefahr für Privatsphäre, IT-Sicherheit, Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie.
Schon im Jahr 2023 hatte das EU-Parlament diese Form von „Massenüberwachung“ abgelehnt. Die Position des EU-Rates wird deshalb entscheidend dafür sein, welche Richtung die abschließenden Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament einschlagen werden.
Die Positionen deutscher Parteien
Nicht alle Parteien legen in ihren Wahlprogrammen offen, wie sie zu diesem Gesetzesvorschlag stehen. In den Programmen von CDU und CSU sowie der SPD fehlt ein Hinweis auf die potenziell folgenschwere Umgehung von Verschlüsselung.
Von den Unionsparteien erhielten wir trotz mehrfacher Nachfragen keine inhaltliche Antwort. Sollten sie diese nachreichen, werden wir den Artikel aktualisieren.
Die SPD verweist auf das EU-Wahlprogramm aus dem Vorjahr. Darin heißt es: „Das Umgehen oder Aufbrechen von Verschlüsselung, das Zurückhalten von Schwachstellen sowie den Einsatz von Spähsoftware durch private oder staatliche Stellen lehnen wir ab. Der anlasslosen Speicherung von Daten genauso wie der anlasslosen Kontrolle digitaler Kommunikation stellen wir uns ebenso entschieden entgegen.“
Grüne: „Instrumente der anlasslosen Massenüberwachung wie Vorratsdatenspeicherungen, Chatkontrolle oder die biometrische Erfassung im öffentlichen Raum lehnen wir ab.“
Linke: „Biometrische Videoüberwachung und Chat-Kontrollen wollen wir verbieten.“
FDP: „Wir lehnen Netzsperren, Chatkontrollen, Uploadfilter, die Vorratsdatenspeicherung und andere Formen der anlasslosen Datenerfassung ab.“
BSW: „Beispielhaft sind die Diskussionen zur ‚Chatkontrolle‘ in der EU und die jüngst von der Rest-Ampel wieder ins Spiel gebrachte Vorratsdatenspeicherung. Diesen Weg in die völlige Überwachung wollen wir stoppen und das Sammeln und Speichern individueller Verhaltensdaten verbieten.“
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