Volkswagen schließt Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus. Während die Belegschaft geschockt regiert, loben Ökonomen die Entscheidung.
Volkswagen bereitet sich auf eine turbulente Betriebsversammlung vor. Nach der Ankündigung vom Montag, Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht länger auszuschließen, muss sich der Vorstand am Mittwoch den Fragen der Mitarbeiter stellen. Betriebsratschefin Daniela Cavallo rechnet bei der Betriebsversammlung in Wolfsburg mit deutlich Unmutsbekundungen. "Die Belegschaft ist aktuell natürlich sehr verunsichert." Und das werde sie am Mittwoch auch deutlich machen, wenn Markenchef Thomas Schäfer im Beisein von Konzernboss Oliver Blume aufs Podium trete.
Zuspruch kam dagegen von Wirtschaftsexperten. "Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sprach von einem notwendigen Weckruf. Ohne einschneidende Maßnahmen drohe Volkswagen, in einigen Jahren zum Sanierungsfall zu werden. "Die Situation ist noch im Griff, aber in wenigen Jahren kann das ganze existenzgefährdend werden." Dem müsse man nun vorbeugen. "Und das geht nicht mit Samthandschuhen."
Beschäftigungssicherung nach 30 Jahren aufgekündigt
Europas größter Autobauer hatte am Montag angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den bisher eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung bis 2029 soll nach 30 Jahren aufgekündigt werden, die Schließung ganzer Standorte in Deutschland nicht länger Tabu sein. Gewerkschaft und Betriebsrat kündigen umgehend massiven Widerstand an. IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger sprach von einem "unverantwortlichen Plan", der die "Grundfesten von Volkswagen erschüttert".
CDU-Chef Friedrich Merz sieht in den verschärften Sparplänen von Volkswagen einen wirtschaftspolitischen Weckruf für die Bundesregierung. "Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug", kritisierte Merz bei einer CDU-Veranstaltung in Osnabrück. Das gelte nicht nur für Volkswagen, sondern für große Teile der deutschen Industrie - neben der Autoindustrie etwa auch die Chemie und der Maschinenbau, sagte Merz. Dafür seien zuallererst die politischen Rahmenbedingungen verantwortlich.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte mit Blick auf die VW-Krise: Entscheidungen müssten in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern erfolgen und das Ziel im Blick behalten, dass Deutschland ein starker Automobilstandort bleibe. "Alle Beteiligten müssen ihrer Verantwortung für die Beschäftigten in den Standorten gerecht werden." Habeck nannte die Autoindustrie einen Eckpfeiler des Industriestandorts Deutschland. "Das soll auch so bleiben."
Ökonomen lehnen staatliche Rettung ab
Führende Ökonomen warnten die Politik davor, jetzt mit gezielten Rettungsmaßnahmen gegen drohende Werkschließungen anzugehen. "Die Politik sollte sich bei dieser Erneuerung heraushalten und darf nicht den Fehler begehen, alte Strukturen zu zementieren und die notwendige Transformation zu behindern", betonte DIW-Präsident Fratzscher. "Die fehlende Zukunftsfähigkeit Volkswagens ist primär das Resultat eigener Fehlentscheidungen und nicht die Verantwortung der Politik."
Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte vor direkten staatlichen Eingriffen. Zwar habe der Staat durchaus eine Rolle, wenn es darum gehe, den Strukturwandel zu begleiten. "Direkt die Automobilindustrie zu retten, halte ich aber nicht für den richtigen Weg", sagte sie der "Rheinischen Post".
Bundesländer kämpfen für ihre Standorte
Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil hatte VW zuvor aufgefordert, Standortschließungen zu vermeiden. Dass bei VW Handlungsbedarf bestehe, sei unstreitig, sagte der SPD-Politiker, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt. "Dabei erwarten wir, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt." Darauf werde die Landesregierung ein besonderes Augenmerk legen. Niedersachsen ist mit Werken in Wolfsburg, Emden, Braunschweig, Hannover, Salzgitter und Osnabrück wichtigster VW-Standort.
Auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), in dessen Bundesland drei VW-Werke liegen, hatte sich nach der VW-Ankündigung alarmiert gezeigt. "Der Freistaat steht zu allen sächsischen Standorten und fest an der Seite der Kolleginnen und Kollegen in Zwickau, Chemnitz und Dresden", sagte er laut Mitteilung. Vor allem das reine Elektroautowerk in Zwickau leidet derzeit unter der schwachen Nachfrage nach Batteriefahrzeugen. Sachsen unterstütze daher die Forderungen, eine Verkaufsprämie für Elektrofahrzeuge wieder einzuführen, so Dulig. Der Absatz von E-Autos war massiv eingebrochen, nachdem der Bund die bisherige Kaufprämie 2023 gestrichen hatte.